Radiowissen

Die Wirkung der Farben - Von der Evolution bis zur Inneneinrichtung


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Wir sehen Farben, sobald wir die Augen öffnen: Die Farbe des Himmels, der Wände in unserer Wohnung oder die Farben in einem Blumenstrauß. All die Millionen von Farbnuancen auf unserem Planeten sind nicht nur ein Produkt der Evolution, Farben nehmen auch tagtäglich Kontakt mit uns auf: Mit uns und unserem Empfinden. (BR 2022)

Autor/in dieser Folge: Anja Mösing
Regie: Martin Trauner
Es sprach: Irina Wanka
Technik: Adele Kurdziel
Redaktion: Susanne Poelchau

Linktipps:

Wir empfehlen außerdem die Plattform Colour.education. Es handelt sich um ein gemeinnütziges Projekt der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Farbzentrums zur Vermittlung von Wissen und Erfahrungen aus allen Forschungs-, Theorie-, und Praxisfeldern der Farbe.
Hier finden Sie aufschlussreiche Videos mit Vorträgen von Experten zum Thema Farbe:
EXTERNER LINK | COLOUR.EDUCATION

BIOTOPIA Festival „SINNE – Die Welt durch andere Augen sehen!“
Tauchen Sie in die Welt der Sinneswahrnehmung von Mensch, Tier und anderen Spezies ein! Das BIOTOPIA – Naturkundemuseum Bayern lädt zu seinem BIOTOPIA Festival ein – am 01. und 02. Oktober 2022:
EXTERNER LINK | https://www.biotopia.net/de/festival-sinne


Literaturtipps:

Farblich sehr ansprechend gestaltetes Buch, das in viele Bereiche der psychologischen Farbforschung vorstößt und immer verständlich und mit vielen Beispielen erklärt. Ein Grundlagenbuch und ein Glücksgriff:
Axel Buether: Die geheimnisvolle Macht der Farben, Droemer Verlag, München 2020

Interessante Sammlung zu Farb-Assoziationen, basierend auf schriftlichen Befragungen von 1888 Personen:
Eva Heller: Wie Farben wirken, Rowohlt Verlag, Hamburg 1989 und 2004

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Die Intensivstation des Wuppertaler Universitäts-Krankenhauses: Das Personal in weißen, grünen oder blauen Kitteln, die schwerkranken Patienten angeschlossen an Schläuche, Maschinen und Monitore. Wer hier liegt, hatte eine schwere Operation, einen Unfall, oder vielleicht einen Schlaganfall hinter sich. Nicht gerade ein Ort, an dem man einen Farbforscher vermuten würde! Jemanden, der sich die Gestaltung der Wände und die Beleuchtung auf der Intensivstation genau anschaut. Aber genau das ist passiert. Zwischen 2017 und 2019 hat Professor Axel Buether hier im Krankenhaus für eine Renovierung gesorgt, die von seinem Team wissenschaftlich begleitet wurde. Die Fragestellung lautete: 

 

ZSP 1   BUETHER   

Können wir zur Gesundung der Patienten beitragen, indem wir mit ganz einfachen Mitteln wie Änderung der Leuchtmittel, es war ja nicht viel Geld vorhanden - oder Änderung der Raumfarbe, indem wir neu streichen, eine andere Atmosphäre herstellen? Und damit hatten wir ein wissenschaftliches Setting. Und dann haben wir gesagt: Okay, dann machen wir das nicht nur in den Patientenzimmern, sondern dann nehmen wir uns die gesamte Intensivstation! Und dann gucken wir auch nicht nur nach dem Wohlbefinden der Patienten, sondern auch nach dem des medizinischen und des Pflegepersonals nach der Umgestaltung.

 

SPRECHERIN

Axel Buether ist Professor an der Bergischen Universität Wuppertal.

Er hat im Grenzbereich von Neuropsychologie und Umweltgestaltung promoviert. Und noch immer staunt er über das Ergebnis der zweijährigen Studie, die er am Wuppertaler Krankenhaus machen durfte:

 

ZSP 2   BUETHER   

Die Erwartung ist, wenn man eine Station mit Farbe gestaltet, dass man das Wohlbefinden tatsächlich steigern kann. Also dass sich Menschen wohler fühlen, damit hatte ich gerechnet! Dass sie vielleicht auch ein bisschen von ihrer Angst abbauen. Was für mich total verblüffend war, dass wir tatsächlich auch Implikationen auf den Gesundheitszustand hatten. Wir hatten also im Endeffekt 30 Prozent weniger Verbrauch von Neuroleptika. Und das ist ein Medikament, was vor allen Dingen zur Delir-Prävention gegeben wird. Das heißt bei Wahnvorstellungen, wild um sich schlagende oder schreiende Patienten kann man sich vorstellen. Um das zu verhindern, wird dann mit Medikamenten entgegengewirkt. Und da konnten wir auf der gesamten Station im Jahr danach den Verbrauch um 30 Prozent senken. Und das war schon eine Sensation!

 

MUSIK „crystal math“ – C161112/003 (0:30)

 

SPRECHERIN

Mit Farbgestaltung den Medikamentenverbrauch senken? Klingt umwerfend! Nur wie können Farben so etwas bewirken? Zunächst muss man wissen, dass Farben tatsächlich auf uns Menschen Einfluss nehmen. Und zwar zu 99 Prozent unbewusst, dafür aber ganz unmittelbar und intensiv.

ZSP 3 BUETHER   

Die moderne Farbpsychologie geht empirisch vor. Wir versuchen also zu schauen: Wie sind die Wirkungen von Farben auf das Erleben und Verhalten von Menschen? Was sind da naturwissenschaftlich erklärbare Ursachen? Und wie können wir damit auch gezielt gestalten und kommunizieren?

 

SPRECHERIN

Heute wird an verschiedenen Orten dazu geforscht, wie Farben auf Menschen wirken. Mit Befragungen direkt vor Ort: in Schulen, in Kitas, an Arbeitsplätzen, in Krankenhäusern…... Denn der Kontext, in dem man eine Farbe wahrnimmt, ist ganz entscheidend für ihre Wirkung:

 

ZSP 4    BUETHER   

Das hat man lange Zeit ausgeblendet und dachte, man kann quasi überall nach Farben fragen: Dann sieht man am Bildschirm vielleicht einen Raum und dann erzählen einem die Leute, ob sie sich damit wohlfühlen. Es ist aber ein Unterschied, ob sie das am Bildschirm sehen, oder tatsächlich in ihrer Wohnung raumgreifend an die Wand gestrichen haben! Oder ob sie damit morgens selbst ins Büro laufen müssen als Kleidung, als wenn sie das an einer Person im Computer beurteilen.

 

ATMO 2 (Archiv) Krankenhausgang/ Lungenmaschine

 

MUSIK „crystal math“ – C161112/002 (0:30)

SPRECHERIN

Für die Studie am Wuppertaler Krankenhaus befragten die Forscher zunächst Patientinnen und Pflegepersonal, auch der Medikamentenverbrauch der Patienten wurde festgehalten, ebenso die Krankheitstage des Personals. Und in die Farb-Studie sollte sich das medizinische und das Pflegepersonal von Anfang an mit einbringen. Für sie begann nun ein Lernprozess – so wie für jeden, der sich zum ersten Mal intensiv mit Farbe beschäftigt:

 

ATMO (Archiv) Gruppengemurmel / Workshop, weiter darüber:

 

ZSP 5 BUETHER

Ich komme dann immer so mit 2000 Farbkarten. Und dann suchen erst mal die Menschen raus: Farben, die sie zum Beispiel schön finden. Dann suchen sie raus: Farben, die sie hässlich finden. Und dann gucken wir uns die alle an. Und wenn die alle so in einer Reihe liegen, dann kann keiner am Ende mehr sagen, was ist jetzt eigentlich schön oder hässlich? Weil da sind Konventionen dabei, Wertvorstellungen dabei. Und dann merkt man, wenn man aber Farben zum Beispiel für seine Kinder aussuchen würde, würde man vielleicht eher doch die nehmen, die man gerade als hässlich bezeichnet hat. Und dann merkt man, dass der Kontext sehr stark die Wirkung einer Farbe bestimmt: Wenn ich für stark Schutzsuchende oder geschwächte Personen wie auf Intensivstationen, Farben aussuche, ist das natürlich völlig anders, als wenn ich jetzt in der Schule gestalte, in der Kita, oder auch eine Arbeitssituation gestalte.

 

SPRECHERIN

Axel Buether hat in seinem 2020 erschienen Buch „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ die neuesten Erkenntnisse der Farbforschung zusammengefasst. Warum Farben für uns so bedeutend sind, liegt für ihn auf der Hand:

 

ATMO: vielfältige Natur, Insekten, darüber

 

MUSIK „Interludio3

ZSP 6 BUETHER   

Für mich ist das tatsächlich eine Frage der biologischen Wirkung. Was gibt es für biologische Wirkungen der Farben? So etwas wie Orientieren, Verstecken, Tarnen, Werben.

 

SPRECHERIN

Insgesamt hat Buether sieben überlebenswichtige biologische Aufgaben für Farben in der Natur gefunden. Erstens Orientierung: Wohin kann ich mich bewegen? Zweitens Gesundheit: Was tut mir gut? Wo fühl ich mich wohl? Drittens Warnung: Worauf soll ich aufmerksam werden? Viertens Tarnung: Wie kann ich optisch fast verschwinden? Fünftens Werbung: Wie kann ich auf mich aufmerksam machen? Sechstens Status: Wie kann ich meine Position in einer Hierarchie betonen? Und siebtens Verständigung: Wie kann ich mit Farben kommunizieren?

 

Schon bei dieser knappen Aufzählung merkt man, dass die biologischen Aufgaben in sämtliche Lebensbereiche hineinspielen. Und kurioser Weise tun sie das, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wie ein stummes, farbiges Leit-System der Natur.

 

ZSP  7 BUETHER   

Das muss einen Sinn machen, weil das verbraucht bei uns tatsächlich einen ganz-ganz großen Teil unserer Ressourcen, unserer biologischen. Man sagt, dass so etwa 60 bis 80 Prozent unseres Gehirns mit der Verarbeitung von Farbinformationen verbunden ist.

 

MUSIK „Moto perpetuo“ – C115959/0 (0:20)

 

SPRECHERIN

Also bekommt ein viel größerer Teil unseres Gehirns Farb-Informationen weitergeleitet, die von unseren Augen eingesammelt werden, als zum bloß faktischen Erfassen eines Gegenstandes nötig wäre. Farb-Informationen werden bis in ältere Gehirn-Regionen gesendet wie den Thalamus und dort mit anderen Sinnesempfindungen abgeglichen: Geschmack, Temperatur, Erregung. Im Thalamus werden dann beispielsweise Spontanreaktionen verursacht:

 

ATMO (Archiv) Bremsenquietschen

 

ZSP  8 BUETHER   

Denken Sie mal an die rote Ampel: Sie müssen die rote Ampel noch gar nicht gesehen haben, aber unser Blick geht schon dahin, ja? Weil Rot im Prinzip unsere Augen magisch anzieht. Und da sparen wir Bruchteile von Sekunden, die uns vielleicht helfen, dann doch noch zu bremsen. Weil wir tatsächlich nicht erst suchen müssen, sondern unsere Augen werden wie ferngesteuert tatsächlich zu diesen roten Signalen geführt.

SPRECHERIN

An der intensiven Wirkung, die Rot auf uns hat, kann man auch gut sehen, wie unterschiedlich die Bedeutung dieser Signal-Farbe aufgeladen ist. Wir sehen einfach mal Rot und dann?

 

ZSP  9 BUETHER   

Wenn man dieses rote Signal mal durchs Gehirn verfolgt, ist es tatsächlich so: Thalamus heißt Achtung, dann geht es weiter:

Im visuellen Kortex wird es tatsächlich wie auf so einer Landkarte irgendwo kontextualisiert. Und dann geht es weiter in die Gedächtnis-Areale unseres Gehirns, wo es dann irgendwo mit Inhalten in Zusammenhang gebracht wird. Also Rot könnte jetzt bedeuten: eine Farbe der Liebe, oder der Wut, oder: Halten! Ampel! Und je nach Kontext wird dann entsprechend die Bedeutung abgerufen.

 

MUSIK „Sea weed in Trance“ – CD80060/004 (0:43)

 

SPRECHERIN

Wie vorteilhaft Farben für Lebewesen aller Art von Beginn an gewirkt haben, darauf verweisen Evolutionsbiologen gerne. Schon unter den ersten Organismen unseres Planeten gab es die Blau-Algen, die sich mit Hilfe des Ur-Farbstoffs Chlorophyll mit einem lichtempfindlichen Fleck sozusagen hin zur Sonne orientieren konnten, um so Energie aufzunehmen. Auch schon eine Art Kommunikation per Farbe!

 

ATMO Dschungel / Vögel, darüber:

 

ZSP  10 BUETHER   

Wenn wir jetzt nicht die ganze Evolution durchgehen können, aus Zeitgründen, können wir vielleicht die zweite große Stufe anschauen: die Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt. Es gibt über 300.000 Blütenpflanzen und parallel - koevolutionär - hat sich auch die Farb-Wahrnehmung in der Tierwelt entwickelt! Die Blütenpflanzen haben gelernt, über Farbsignale mit ihrer Umwelt zu kommunizieren, weil die haben ja keine Fortbewegungs-Instrumente. Die können also nicht ihren Standort von alleine wechseln. Die brauchen also die Tiere mit ihren Flügeln und Schwimmflossen und Beinen, um ihren Standort über die Welt auszubreiten. Also ein evolutionärer Vorteil, ganz klar: Wenn ich kommunizieren kann, locke ich mir tatsächlich Lebewesen mit Beinen Flügeln und so weiter an, indem ich denen Nektar zum Beispiel in Blüten gebe oder mit meinen Früchten Werbung betreibe. Un


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