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"Dumme Kuh!" lautet eine gängige Beschimpfung. Doch die Nutztiere sind alles andere als dumm: Rinder sind sehr soziale Tiere. Sie bauen Freundschaften auf, haben starke Bindungen zu ihrem Nachwuchs und zeigen Gefühle. Autorin: Claudia Steiner (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Maximilian Knoller, Landwirt vom Seekuhhof in Dießen am Ammersee;
Dr. Jan Langbein, Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern;
Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler, Landwirtin und Professorin für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Der Podcast zur bekannten Fernsehsendung Anna und die wilden Tiere für Kinder
Linktipps:
WirTier – Ein Podcast über die Begegnung von Mensch und Tier - HIER
WirTier Folge 04 - Auf Kuh-Fühlung HIER
Das Schwein - Verkanntes Borstentier HIER
Multitalent Pferd - Freund, Lasttier und Kriegsgerät HIER
Linktipps:
Erfolgreiches Rinderhandling, Wahrnehmen, verstehen, kommunizieren
HIER
Kuhgebundene Kälberaufzucht
HIER (PDF)
Forscher lehren Kühe aufs Klo zu gehen
HIER
Der Sprachführer: Kühe verstehen
HIER
Körpersprache von Kühen
HIER
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK
ATMO 1 / 2 (Schmatzen, Schnaufen, Muh)
SPRECHERIN
Kühe leben in Herden – mit einer klaren Hierarchie. Wer Chefin ist, hat das Sagen, auch im Stall. Und die Jüngeren, Schmächtigeren müssen sich unterordnen und auch mal zur Seite gehen, wenn die Ranghöhere kommt.
01 Zsp Kuh (Knoller)
Das war jetzt auch wieder so eine Art kurzer Konflikt, weil die eine, die jetzt weggeht, die hat noch kein Halsband. Die hat noch nicht gekalbt. Die läuft gerade in der Herde mit, um das mal alles kennenzulernen. Und die andere hat jetzt mal gesagt: Ne, du bist hier nicht die Chefin.
SPRECHERIN
…sagt Maximilian Knoller vom Seekuhhof in Dießen am Ammersee. In seinem Biobetrieb können 75 Milchkühe und gut 30 Kälber und Jungtiere in verschiedenen Bereichen im Stall herumlaufen. Von April bis Oktober sind die Tiere auf der Weide. Doch wenn es im Sommer zu heiß ist, kommen die Kühe auch freiwillig zurück in den kühlen, schattigen Stall. Sie haben nämlich eine Wohlfühltemperatur zwischen vier und 16 Grad.
ATMO 1 / 2
SPRECHERIN
Die Milchkühe befinden sich auf der rechten Seite des Stalls, die jüngeren – nach Alter gruppiert – auf der linken. In der Mitte ist ein Wellness-Bereich mit Bürste, die anfängt sich zu drehen, wenn die Tiere dagegen stoßen. Im Sommer gibt es noch eine kühle Dusche von oben. Einige Kühe fressen Heu, andere liegen auf Stroheinstreu oder Gummimatten, wieder andere gehen herum. Dass es in Herden klare Rangordnung gibt, sagen auch Wissenschaftler. Der promovierte Verhaltenswissenschaftler Jan Langbein arbeitet am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern.
02 Zsp Kuh (Langbein)
Kühe leben in sozialen Gruppen, … und haben innerhalb dieser Gruppe dann über kurz oder lang eine stabile Rangordnung ausgebildet. Wo also ganz klar ist, wer ist das Alphatiers in der Gruppe und zuerst Zugang zu bestimmten Ressourcen hat, beziehungsweise wer in der Rangordnung weiter unten steht und sich unterordnen muss.
MUSIK
ATMO 1/ 2
SPRECHERIN
„Dumme Kuh!“, lautet eine gängige Beschimpfung. Doch tatsächlich sind Rinder alles andere als dumm. Sie sind lernfähig, haben Gefühle und sogar beste Freundinnen. Die Haltungsbedingungen haben jedoch einen großen Einfluss darauf, inwieweit Kühe ihre natürliche Interaktion mit anderen Artgenossen ausleben können. Die Verbindung von Kuh zu Kuh ist eng. Forscher beobachten unterschiedlichste Kontakte. Eva Zeiler nennt als Beispiel die gegenseitige Fellpflege. Die Landwirtin und Tierärztin ist Professorin für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
03 Zsp Kuh (Zeiler)
Dieses gegenseitige Belecken - sei es jetzt an der Schulter oder Halsregion oder Kopfregion - das kann man ja auch auf der Weide immer wieder sehen oder auch im Stall. Das ist nicht nur: Ich pfleg dir jetzt das Fell. Sondern das ist schon auch so ein: „Ich mag dich …“.
SPRECHERIN
Tatsächlich gibt es sogar Hinweise darauf, dass Kühe manche Tiere aus der Herde lieber mögen als andere. Man könnte sagen, sie haben beste Freundinnen. Dafür erfasste ein Team um Jan Langbein in vier Durchgängen mit einem automatischen Tracking-System jeweils die Bewegungsmuster von Gruppen mit 12 bis 15 Tieren im Stall – je über zwei Wochen.
04 Zsp. Kuh (Langbein)
Wir haben in einem ersten Schritt in Auswertung dieser Tracking-Daten in mehreren Durchgängen nachweisen können, dass bestimmte Tiere mit bestimmten anderen Tieren in der Gruppe überdurchschnittlich häufig in benachbarten Liegeboxen liegen, während sie mit anderen Tieren in der Gruppe unterdurchschnittlich häufig benachbarte Liegeboxen besetzen. Und dann haben wir uns solche Paare rausgenommen und haben mal postuliert, möglicherweise ist das ein Hinweis auf ein gutes oder ein spezielles freundschaftliches, in Anführungsstrichen, Verhältnis miteinander.
SPRECHERIN
Im Anschluss daran wurde diese Annahme mittels des sogenannter Social Buffering Tests überprüft. Dabei wurden die Kühe von der Gruppe getrennt und verbrachten 30 Minuten mit ihrer bevorzugte Liegenachbarin in einem unbekannten Raum. Trennung von der Gruppe, neue Umgebung – das bedeutet Stress für die Tiere. In einem weiteren Versuch verbrachten die Rinder erneut 30 Minuten in dem Raum, dieses Mal aber mit einem Tier, zu dem sie offenbar keine enge Bindung haben. In beiden Situationen maß das Team zu Beginn und am Ende des Versuchs das Bindungshormon Oxytocin, das Stresshormon Cortisol sowie die Herzfrequenz - und sie beobachten das Verhalten der Kühe. Jan Langbein:
05 Zsp. Kuh (Langbein)
Das heißt, einmal ist in der Stresssituation ein Buddy dabei und einmal ist jemand dabei, zu dem gar keine große Beziehung besteht. Und wir wollten wissen: Wenn diese Paare, die wir aufgrund der gemeinsamen Liegeboxen oder benachbarten Liegenboxen-Benutzung gefunden haben, so etwas wie Buddys sind, dann sollte sich das in so einer Stresssituation bemerkbar machen - dahingehend, dass der bevorzugte soziale Partner diese Stresssituation besser abpuffert als jedes andere Tier, also ein beliebiges anderes Tier.
SPRECHERIN
Noch sind nicht alle Daten ausgewertet – die Forscher hoffen aber, nachweisen zu können, dass Kühe soziopositive Beziehungen, also so etwas wie beste Freundinnen haben. Auch Maximilian Knoller kennt solche Beispiele. In seinem Stall sind die jüngeren Tiere nach Alter gruppiert und durch Gitter getrennt. Wenn ein Tier aus der Gruppe noch kleiner ist als die anderen, kommt es noch nicht in die nächsthöhere Gruppe.
06 Zsp Kuh (Knoller)
Und wenn dann aber zwei, drei Tage immer noch von der Box nach drüben gerufen wird, dann weiß man: Okay, da war anscheinend noch ein Kalb, was mit dem ziemlich dicke war ((und jetzt natürlich irgendwie getrennt wurde. … Die sehen sich, die haben den Sichtkontakt, die können sich immer noch beschnuppern. Aber sie sind halt nicht ganz beieinander, da ist eigentlich nur ein Gitter dazwischen. Aber da könnte man schon darauf anspielen zu sagen: Okay, da haben die Tiere auch eine Bindung untereinander aufgebaut, die derzeit gerade durch dieses Gitter getrennt wird.))
Atmo Kuhglocken / Alm (Schallarchiv)
SPRECHERIN
Die folgende Geschichte von Eva Zeiler, die aus dem steirischen Ennstal stammt, mag anekdotisch klingen. Aber sie verdeutlicht, wie eng die Tiere mit ihrer Herde verbunden sind. Sie hatten zuhause eine Leitkuh. Susi war jeden Sommer auf der Alm.
07 Zsp Kuh (Zeiler)
Ich glaub, sie war damals zwölf Jahre alt, also richtig alt für eine Kuh. Und dann haben wir beschlossen, ne, wir lassen jetzt unten, sie darf nicht auf die Alm, weil sie ist halt einfach schon gebrechlich, sie ist einfach schon alt. Und die anderen Kühe wurden aufgetrieben, und die Susi muss unten bleiben und die ist richtig depressiv geworden. Die … war richtig fertig. So nach dem Motto: Jetzt haben sie mich abgeschrieben. Und wir haben gesagt, ja gut, die frisst nimmer gescheit. Und der Tierarzt hat nichts gefunden. (…) Ja, wir haben sie letztendlich dann vier Tage später nachgetrieben, weil wir einfach gesagt haben: Hilft ja nichts, entweder du brichst Dir oben jetzt die Haxen. Aber die hat das dann noch drei Sommer lang durchgezogen.
SPRECHERIN
Trennung – auch wenn einzelne Tiere verkauft oder zum Schlachter gebracht werden - und Neugruppierung bringen Unruhe in die Herde. Dieser Stress kann sich negativ auf die Gesundheit und auch die Milchproduktion auswirken. Eine mögliche Konsequenz für Nutztierhalter könnte sein, dass sie versuchen, die Gruppen so stabil wie möglich zu halten oder wenigstens beste Freundinnen nicht zu trennen.
MUSIK
ATMO 1 / 2 + Kuhglocke (Schallarchiv)
SPRECHERIN
Auch die Bindung zwischen Kuh und Kalb ist sehr eng. Mütter beschützen ihr Kalb - zum Beispiel auch auf der Alm. Angriffe von Kühen auf Wanderer hängen meist damit zusammen, dass Menschen den Kleinen zu nahegekommen sind.
MUSIK
SPRECHERIN
Damit Kühe ihr Leben lang Milch geben, müssen sie etwa einmal pro Jahr ein Kalb bekommen. Der Durchschnitt pro Tier in Bayern lag 2023 bei 8.300 Kilogramm Milch, Öko-Kühe gaben im Schnitt zwischen 6.100 und 7.500 Kilogramm Milch. In vielen Betrieben werden die Tiere künstlich besamt. In nur wenigen Bauernhöfen bleiben die Kälber nach der Geburt bei der Mutter oder wahlweise bei einer Amme. In dem Fall werden die Kälber gesäugt. Die Kühe werden trotzdem gemolken. Der Bauer oder die Bäuerin verzichtet aber auf einen Teil der Milch. Diese Art der Aufzucht benötigt allerdings separate Stallungen oder Begegnungsstätten. Eva Zeiler forscht zum Thema kuhgebundene Kälberaufzucht. Sie sieht klare Vorteile:
08 Zsp. Kuh (Zeiler)
Wir merken ganz genau, dass die Kälber die kuhgebunden aufgezogen werden, sei es jetzt bei der Amme oder bei der eigenen Mutter, dass die eine ganz andere Sozialkompetenz haben, wenn die dann später wieder in den Herdenverbund als Jungkuh zurückkommen. Also die haben … diesen Kuh-Knigge erlernt und meistern den auch gut und können damit in diesen neuen, doch auch stressigen Situationen viele kompetenter umgehen. (…) ((Wenn ich da eine Kindergartentante – spricht eine Amme oder die Mama - dabei habe, dann lernen die Kälber halt schon von klein auf: Wie ist die Interaktion? Wie ist die Rangordnung? Wie funktioniert das?))
SPRECHERIN
Derzeit werden Kälber jedoch oft so aufgezogen, dass sie in Gruppen mit anderen Kälbern gehalten werden, die etwa gleich alt sind. Das heißt: Sie sind zuerst im Kälberbereich, danach im Jungtierbereich. Ab einem Alter von etwa 15 Monaten können sie frühestens zum ersten Mal besamt werden. Die Kuh ist dann neun Monate lang trächtig. Erst nach dem ersten Kalb kommt das Tier in die Gruppe der Milchkühe. Lernen von Größeren ist so nicht möglich. Eva Zeiler:
09 Zsp Kuh (Zeiler)
Und da ist keiner dabei, der sagt: Ne, so macht man das nicht, benimm dich. Und da müsste man stallbautechnisch schon, denke ich, bissl trauen, neue Wege zu gehen.
ATMO 3 / 4 Kälber-Muh/Schnaufen, Rumlaufen
SPRECHERIN
((Auch im Biolandbau dürfen Kuh und Kalb direkt nach der Geburt getrennt werden. Auf dem Hof von Maximilian Knoller wachsen die Kälber ebenfalls nicht zusammen mit der Mutter auf, vor allem weil der Stall dafür nicht ausgelegt ist. Kälber mögen es zum Beispiel etwas wärmer als adulte Tiere, vertragen weniger Zugluft und sind empfindlicher gegenüber Keimen. Die Kälber bekommen die sogenannte Biestmilch aus einem Tränkeeimer mit Saugaufsatz. Diese gelbe, dickflüssige Milch, die die Kuh direkt nach der Geburt produziert, ist reich an Mineralstoffen und Antikörpern, was wichtig für das Immunsystem der Kleinen ist.)) Manche Höfe – auch im Biolandbau - trennen Kuh und Kalb direkt nach der Geburt, manche nach ein paar Tagen, einige wenige Betriebe erst nach Wochen oder Monaten. Jeder Tag, an dem Kuh und Kalb zusammenbleiben können, sei ein gewonnener Tag, sagt Eva Zeiler.
10 Zsp. Kuh (Zeiler)
Es ist nachgewiesen, dass die Kälber, die bei den Kühen länger bleiben können - und ich bin jetzt nicht bei drei Tagen, sondern bei drei Monaten - dass die Kühe immer wieder den Peri-Analbereich zum Beispiel sauber lecken und dadurch Durchfallerreger-Keime vom Kalb aufnehmen und automatisch Antikörper bilden. Und das wiederum trinkt das Kalb dann wieder mit und wird dadurch wieder vital und hat ein besseres Immunsystem.
SPRECHERIN
Je länger Kalb und Kuh zusammenbleiben, desto stärker ist in der Regel die Bindung. Dies führt dann häufig dazu, dass die Kuh nach der Trennung nach ihrem Kalb sucht und nach ihm ruft – oft tagelang. Trotz des Trennungsschmerzes sieht auch Jan Langbein Vorteile, wenn Mutter und Kalb lange zusammenbleiben.
11 Zsp. Kuh (Langbein)
Dadurch, dass das Kalb … bei der Mutter trinken kann, hat es ein besseres Wachstumsverhalten, eine wesentlich stabilere Tiergesundheit und in dieser Zeit auch ein reiches emotionales Erleben, was die Tiere möglicherweise dann trotz der folgenden Trennung resilienter macht, also widerstandsfähiger macht, für alles das, was auf das Tier in Zukunft noch zukommt.
MUSIK
SPRECHERIN
Kühe lernen schnell. Wenn sie zum Beispiel regelmäßig mit ihren Namen angesprochen werden, erkennen sie diesen. Auch reagieren sie auf Lockrufe. Auf Youtube gibt es ein Video eines ostfriesischen Bauern, der seinen Kühen: „Komm her, komm“ zuruft. Die Tiere auf der Weide trotten daraufhin recht zügig in Richtung Stall. Rinder können - wie viele Tiere - konditioniert werden: Positives Verhalten kann zum Beispiel durch Futter belohnt und verstärkt werden. Diese Tatsache nutzte ein Team um Jan Langbein, für ein Toilettentraining.
12 Zsp. Kuh (Langbein)
Wir alle müssen lernen, auf die Toilette zu gehen. Unsere Babys lernen das, Hund und Katze lernen das. Warum sollte jetzt ausgerechnet das Rind dazu nicht in der Lage sein?
SPRECHERIN
Dahinter steckt ein ernsthaftes Problem: Kühe sind für einen großen Teil der Ammoniakemissionen verantwortlich. Ammoniak ist ein umweltschädliches Gas. Eine Kuh scheidet pro Tag etwa 20 bis 30 Liter Urin aus. Wenn sich im Stall Urin und Kot vermischen, dann läuft folgende chemische Reaktion ab: Das von Bakterien im Kot gebildete Enzym Urease spaltet den Harnstoff. Der Harnstoff im Urin wird dann mithilfe von Wasser in Ammoniak und Kohlendioxid aufgespalten. Nach Angaben des Umweltbundesamts stammen mehr als 70 Prozent der gesamten Ammoniakemissionen aus der Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel – der Anteil aus der Rinderhaltung beträgt 43 Prozent.
ATMO 1/ 2 + Kuh pieselt/kackt (Schallarchiv)
SPRECHERIN
Wenn die Tiere allerdings lernen, nur in einem bestimmten Bereich des Stalls zu urinieren, können Urin und Kot getrennt und Ammoniakemissionen deutlich reduziert werden. Mit insgesamt 16 Kälbern machte das Team ein Toilettentraining. Wenn die Tiere an einem speziellen Ort im Stall urinierten, bekamen sie eine Belohnung in Form von Melasse oder gequetschter Gerste. Wenn sie nicht in der dafür vorgesehenen Latrine urinierten, kam für wenige Sekunden ein kurzer Wasserstrahl von oben. Jan Langbein:
13 Zsp. Kuh (Langbein)
Von diesen 16 Kälbern haben elf gelernt, zuverlässig die Latrine aufzusuchen, sprich 75 Prozent aller Urinationen in der Latrine zu machen. Und das war ein relativ kurzer Trainingszeitraum, manche der Tiere haben das in 5, 6, 7 Trainingssessions von jeweils 30 Minuten gelernt. / ((Was wirklich faszinierend zu sehen war, dass manche Tiere im Verlauf des Trainings sich selbst korrigiert haben. Das heißt also, die standen auf dem Gang zwei, drei Meter vor der Latrine und haben dann angefangen zu urinieren. Die Dusche setzt ein. Sie haben gestoppt, den Urinationsvorgang, sind in die Latrine gegangen und haben dann fortgesetzt.))
SPRECHERIN
Jan Langbein geht davon aus, dass mit ausreichend Zeit auch die übrigen Kälber noch gelernt hätten, die Latrine aufzusuchen. Bis so ein System in der Praxis umgesetzt werden kann, wird es aber dauern. So muss zum Beispiel auch noch geklärt werden, wie sich die Tiere bei einer kombinierten Stall- und Weidehaltung verhalten.
Musik
ATMO 1 / 2 oder Schallarchiv
SPRECHERIN
Landwirte berichten, dass sich Kühe vom Charakter unterscheiden. Manche sind zurückhaltend wie die 16 Jahre alte Edith. Die gescheckte Kuh ist deutlich älter als die anderen Tiere im Seekuhhof und mit ihren 16 Jahren die dienstälteste Kuh im Stall von Maximilian Knoller. Gerade die weiß-braun gescheckte Rasse Fleckvieh wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur auf Leistung, sondern auch auf Gutmütigkeit gezüchtet, sagt Eva Zeiler.
14 Zsp. Kuh (Zeiler)
Die sind sehr phlegmatische, sehr ruhige Tiere geworden. Man versucht, jetzt halt auch zunehmend des Interieur, (…) das Innere Wesen mit in die Zuchtwertschätzung aufzunehmen. Was man bei Pferden ja schon viel, viel länger macht. (…) Ich könnte Ihnen einen Besamungsbullen nennen, wo ich mich dann echt auch mal geweigert habe, mit dem zu besamen, weil die Töchter so: „Uaaaa, da ist eine Fliege oder huch, da ist ein Staubkorn. Also das ist furchtbar. ((Also man braucht schon robuste Tiere, die, wenn es mal ein bisschen lauter ist und Technik im Stall kann laut sein (…), dass die da einfach total entspannt das kennen und damit umgehen.))
SPRECHERIN
Andere Tiere sind explorativ, also erkunden gerne ihre Umgebung. Und wieder andere Kühe benehmen sich wie verschmuste Hunde. Maximilian Knoller:
15 Zsp. Kuh (Knoller)
Die Zwitschie, wenn ich da an die Box reingehe, dann will die einen versuchen aufzufressen. Also die ist wirklich so aufdringlich, wo ich mir dann halt später die Gedanken mache, wenn sie dann mal eine große Kuh ist und natürlich mehr Gewicht hat als ich. Ob sie dann auch wirklich ihr Gewicht auch mal ausnutzen kann, das ist natürlich dann so ein zweischneidiges Schwert. … ((Wir haben letzte Woche die Fenster oben ausgehangen. Und dann ist sie nur neben einem gestanden. Also die hat einen fast gar nicht in Ruhe arbeiten lassen, weil die einfach weiß: Okay, jetzt habe ich Zeit. Jetzt muss ich gestreichelt werden.))
SPRECHERIN
Der Charakter von Kühen hat für Landwirte durchaus Bedeutung, nicht nur was die Sicherheit im Stall angeht. Der Charakter hat möglicherweise auch wirtschaftliche Auswirkungen. So ist es denkbar, dass eine eher introvertierte Kuh, die in der Rangordnung deshalb vielleicht weiter unten steht, mehr Stress erfährt und dadurch weniger Leistung bringt, sprich weniger Milch gibt. Jan Langbein:
16 Zsp. Kuh (Langbein)
Alles das rückt zunehmend auch ins Interesse der Wissenschaft, war aber über lange Jahre nicht sozusagen das Nummer-eins-Thema… sonst haben wir immer geguckt: Wie ist die Leistung der Gruppe, wie ist die Futteraufnahme der Gruppe und dann haben wir einen Mittelwert, und damit kann man arbeiten und so weiter. Und dann sind das Leistungsgruppen. Aber da können einige Tiere in der Leistungsgruppe ganz fehl am Platz sein, weil wenn sie anders gefüttert werden würden, dann würden sie eben noch mehr Leistung abrufen können. Und das geht einher mit solchen Persönlichkeitsmerkmalen, die sowohl physiologisch als auch verhaltensorientiert sein können und dann zunehmend eine Rolle spielen.
ATMO 1 /2
SPRECHERIN
Dass Rinder, die in der Rangordnung weiter unten stehen, trotzdem ausreichend Futter bekommen, oder auch Kühe, die sehr viel Milch geben und deshalb zusätzliches Futter brauchen, kann Hightech im Stall regeln. In der Mitte des Stalls vom Seekuhhof steht eine Kraftfutterstation. Ein Computer erkennt das Halsband der jeweiligen Kuh und gibt ihr genau die Ration Kraftfutter, die sie braucht. Während das Tier frisst, geht hinten ein Riegel nach unten, so dass andere Kühe das fressende Tier nicht wegscheuchen können. Maximilian Knoller:
17 Zsp. Kuh (Knoller)
Die hat halt auf einen Tag verteilt – keine Ahnung - vier Kilo, was sie da bekommt. Aber sie bekommt nicht auf einmal die vier Kilo, sondern sie kann halt dann jetzt mal reingehen. Nach zwei, drei Stunden darf sie‘s dann wieder versuchen. Also wenn sie dazwischen mal reingeht, dann kriegt sie halt nichts. (…) Ja, das ist so wie für den Menschen die Süßigkeiten, die holt man sich halt, sobald es was gibt, dann wird sich da was geschnappt. ))
ATMO 2 / 3
SPRECHERIN
Muh ist übrigens nicht gleich muh. Es gibt unterschiedliche Kuh-Laute, die verschiedene Zustände, Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken. Eva Zeiler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
18 Zsp. Kuh (Zeiler)
Kühe sind sehr vokale Tiere. (…) Ich kann ganz klar erkennen vom Ton: Kann die nicht, mag die nicht oder will die nicht. Und auch Kühe, wenn die quasi in Interaktion sind zu ihren Kälbern, dann können die die rufen und sagen: „Jetzt komm bitte und trink bei mir“ zum Beispiel - oder „wo bist du“? Das ist ein ganz eigener Klang. Aber auch umgekehrt kann das Kalb die Mutter rufen und klar sagen: Mama, ich habe jetzt Hunger, wo bist du? Und dann steht die auch auf. Und dann geht die auch zu diesen Kälberbereich hin und dann finden die sich. (…) Ja, wir unterschätzen ist immer, muss ich ganz klar sagen. (…) ((Ich komme aus Österreich, wir haben ein Alpengebiet zu Hause, wenn da sich - warum auch immer - eine Kalbin von der restlichen Herde separiert, die plärrt solange und so deutlich und so vehement, also das ist wieder ein anderer Klang. So nach dem Motto: „Wo seid ihr?“, „Wo ist der Rest?“. ))
SPRECHERIN
Auch im Stall von Maximilian Knoller geben Kühe so manche Geräusche von sich. Und auch er sagt, er könne hören, wie es seinen Rindern gehe.
19 Zsp. Kuh (Knoller)
Wenn wir wissen, dass eine Kuh kurz vom Abkalben ist, und man sitzt auf der Terrasse, und dann kriegt man irgendein Geräusch mit. Es hört sich einfach dann auch anders an. Also wenn eine Kuh zum Beispiel auch gerade ihre Wehen hat, dann merkt man schon den Unterschied. Also man weiß: Okay, im Stall ist gerade irgendwas anders. Und dann hat man da auch schon ein bisschen ein Gehör für. Zum Beispiel die eine jetzt gerade, die das Geräusch von sich gibt, die ist gerade am Tiefenentspannen. (Muh im Hintergrund) Also es gibt Geräusche, wo man dann sagt: Okay, jetzt schauen wir mal schnell, was los ist. Aber es gibt eben auch solche Geräusche, wo man sich denkt. Ja, es geht gerade gut.
MUSIK
SPRECHERIN
Im Mai 2024 gab es in Deutschland rund 3,7 Millionen Milchkühe. Im Idealfall bekommen Kühe Futter, Wasser, Licht, Luft, Ruhe, Raum, eine Weide – und Kontakt zu ihrer Herde. Das haben jedoch nicht alle: Obwohl die Zahlen rückläufig sind und seit Jahren über ein Verbot diskutiert wird, lebten 2020 in Deutschland noch mehr als eine Million Rinder zeitweise oder ganzjährig in Anbindehaltung. Interaktion mit Artgenossen ist so nur sehr eingeschränkt möglich. Denn sie stehen mit einer Kette fixiert an einer Stelle, können sich nicht umdrehen und nicht herumlaufen.
ATMO Kühe auf Weide (Schallarchiv)
SPRECHERIN
Doch Kühe wollen sich bewegen. Das kann man besonders gut im Frühjahr beobachten, wenn sie nach dem Winter zum ersten Mal wieder aus dem Stall gelassen werden und auf die Weide dürfen. Da wird gehüpft, gesprungen, gerannt. Maximilian Knoller:
20 Zsp. Kuh (Knoller)
Es ist jedes Mal ein Highlight. (…) Ich könnte es mir ohne Weide bei den Kühen nicht mehr vorstellen. Du machst das Tor auf, die springen, rennen, laufen rum. Und dann, wenn sie mal die Ruhe haben und anfangen, das Gras zu fressen, da fühlt man sich einfach wohl das. Es lässt sich schwer beschreiben, weil es einfach ja richtig schön ist, dann zuzugucken.
SPRECHERIN
Kühen, die immer angebunden sind, fehlt diese Erfahrung. Deshalb sagt die Landwirtin und Tierärztin Eva Zeiler.
21 Zsp. Kuh (Zeiler)
Und darum bin ich absolut der Meinung, dass eine ganzjährige Anbindehaltung nicht nur nicht tiergerecht ist, sondern halt einfach absolut aus der Zeit gefallen.
SPRECHERIN
Konventionelle, aber auch Biolandwirte sind Unternehmer. Sie verkaufen Milch und Fleisch. Die Aufzucht muss sich rentieren. Das heißt: Verbraucher müssen bereit sein, einen zusätzlichen Aufwand zum Beispiel in der Haltung und damit für mehr Tierwohl zu bezahlen. Denn oft sind aufwändige Umbauarbeiten notwendig, um den Tieren mehr Platz, mehr Bewegungsmöglichkeiten und bessere Begegnungsräume zu schaffen.
MUSIK
Atmo 1 / 2 / 3
SPRECHERIN
Je mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Kühe herausfinden, umso klarer wird, dass sie keineswegs anspruchslose Nutztiere sind, die nur Milch und Fleisch produzieren, sondern kontaktfreudige Wesen mit Bedürfnissen und Gefühlen. Eva Zeiler:
22 Zsp. Kuh (Zeiler)
Kühe sind freundlich, Kühe sind supercoole Wesen und sie sind auch sehr respektvoll. Und ich finde, das sollte man auch sein im Umgang zu ihnen.
4.5
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"Dumme Kuh!" lautet eine gängige Beschimpfung. Doch die Nutztiere sind alles andere als dumm: Rinder sind sehr soziale Tiere. Sie bauen Freundschaften auf, haben starke Bindungen zu ihrem Nachwuchs und zeigen Gefühle. Autorin: Claudia Steiner (BR 2025)
Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Maximilian Knoller, Landwirt vom Seekuhhof in Dießen am Ammersee;
Dr. Jan Langbein, Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern;
Prof. Dr. Dr. Eva Zeiler, Landwirtin und Professorin für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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MUSIK
ATMO 1 / 2 (Schmatzen, Schnaufen, Muh)
SPRECHERIN
Kühe leben in Herden – mit einer klaren Hierarchie. Wer Chefin ist, hat das Sagen, auch im Stall. Und die Jüngeren, Schmächtigeren müssen sich unterordnen und auch mal zur Seite gehen, wenn die Ranghöhere kommt.
01 Zsp Kuh (Knoller)
Das war jetzt auch wieder so eine Art kurzer Konflikt, weil die eine, die jetzt weggeht, die hat noch kein Halsband. Die hat noch nicht gekalbt. Die läuft gerade in der Herde mit, um das mal alles kennenzulernen. Und die andere hat jetzt mal gesagt: Ne, du bist hier nicht die Chefin.
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…sagt Maximilian Knoller vom Seekuhhof in Dießen am Ammersee. In seinem Biobetrieb können 75 Milchkühe und gut 30 Kälber und Jungtiere in verschiedenen Bereichen im Stall herumlaufen. Von April bis Oktober sind die Tiere auf der Weide. Doch wenn es im Sommer zu heiß ist, kommen die Kühe auch freiwillig zurück in den kühlen, schattigen Stall. Sie haben nämlich eine Wohlfühltemperatur zwischen vier und 16 Grad.
ATMO 1 / 2
SPRECHERIN
Die Milchkühe befinden sich auf der rechten Seite des Stalls, die jüngeren – nach Alter gruppiert – auf der linken. In der Mitte ist ein Wellness-Bereich mit Bürste, die anfängt sich zu drehen, wenn die Tiere dagegen stoßen. Im Sommer gibt es noch eine kühle Dusche von oben. Einige Kühe fressen Heu, andere liegen auf Stroheinstreu oder Gummimatten, wieder andere gehen herum. Dass es in Herden klare Rangordnung gibt, sagen auch Wissenschaftler. Der promovierte Verhaltenswissenschaftler Jan Langbein arbeitet am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern.
02 Zsp Kuh (Langbein)
Kühe leben in sozialen Gruppen, … und haben innerhalb dieser Gruppe dann über kurz oder lang eine stabile Rangordnung ausgebildet. Wo also ganz klar ist, wer ist das Alphatiers in der Gruppe und zuerst Zugang zu bestimmten Ressourcen hat, beziehungsweise wer in der Rangordnung weiter unten steht und sich unterordnen muss.
MUSIK
ATMO 1/ 2
SPRECHERIN
„Dumme Kuh!“, lautet eine gängige Beschimpfung. Doch tatsächlich sind Rinder alles andere als dumm. Sie sind lernfähig, haben Gefühle und sogar beste Freundinnen. Die Haltungsbedingungen haben jedoch einen großen Einfluss darauf, inwieweit Kühe ihre natürliche Interaktion mit anderen Artgenossen ausleben können. Die Verbindung von Kuh zu Kuh ist eng. Forscher beobachten unterschiedlichste Kontakte. Eva Zeiler nennt als Beispiel die gegenseitige Fellpflege. Die Landwirtin und Tierärztin ist Professorin für Tierproduktionssysteme in der ökologischen Landwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
03 Zsp Kuh (Zeiler)
Dieses gegenseitige Belecken - sei es jetzt an der Schulter oder Halsregion oder Kopfregion - das kann man ja auch auf der Weide immer wieder sehen oder auch im Stall. Das ist nicht nur: Ich pfleg dir jetzt das Fell. Sondern das ist schon auch so ein: „Ich mag dich …“.
SPRECHERIN
Tatsächlich gibt es sogar Hinweise darauf, dass Kühe manche Tiere aus der Herde lieber mögen als andere. Man könnte sagen, sie haben beste Freundinnen. Dafür erfasste ein Team um Jan Langbein in vier Durchgängen mit einem automatischen Tracking-System jeweils die Bewegungsmuster von Gruppen mit 12 bis 15 Tieren im Stall – je über zwei Wochen.
04 Zsp. Kuh (Langbein)
Wir haben in einem ersten Schritt in Auswertung dieser Tracking-Daten in mehreren Durchgängen nachweisen können, dass bestimmte Tiere mit bestimmten anderen Tieren in der Gruppe überdurchschnittlich häufig in benachbarten Liegeboxen liegen, während sie mit anderen Tieren in der Gruppe unterdurchschnittlich häufig benachbarte Liegeboxen besetzen. Und dann haben wir uns solche Paare rausgenommen und haben mal postuliert, möglicherweise ist das ein Hinweis auf ein gutes oder ein spezielles freundschaftliches, in Anführungsstrichen, Verhältnis miteinander.
SPRECHERIN
Im Anschluss daran wurde diese Annahme mittels des sogenannter Social Buffering Tests überprüft. Dabei wurden die Kühe von der Gruppe getrennt und verbrachten 30 Minuten mit ihrer bevorzugte Liegenachbarin in einem unbekannten Raum. Trennung von der Gruppe, neue Umgebung – das bedeutet Stress für die Tiere. In einem weiteren Versuch verbrachten die Rinder erneut 30 Minuten in dem Raum, dieses Mal aber mit einem Tier, zu dem sie offenbar keine enge Bindung haben. In beiden Situationen maß das Team zu Beginn und am Ende des Versuchs das Bindungshormon Oxytocin, das Stresshormon Cortisol sowie die Herzfrequenz - und sie beobachten das Verhalten der Kühe. Jan Langbein:
05 Zsp. Kuh (Langbein)
Das heißt, einmal ist in der Stresssituation ein Buddy dabei und einmal ist jemand dabei, zu dem gar keine große Beziehung besteht. Und wir wollten wissen: Wenn diese Paare, die wir aufgrund der gemeinsamen Liegeboxen oder benachbarten Liegenboxen-Benutzung gefunden haben, so etwas wie Buddys sind, dann sollte sich das in so einer Stresssituation bemerkbar machen - dahingehend, dass der bevorzugte soziale Partner diese Stresssituation besser abpuffert als jedes andere Tier, also ein beliebiges anderes Tier.
SPRECHERIN
Noch sind nicht alle Daten ausgewertet – die Forscher hoffen aber, nachweisen zu können, dass Kühe soziopositive Beziehungen, also so etwas wie beste Freundinnen haben. Auch Maximilian Knoller kennt solche Beispiele. In seinem Stall sind die jüngeren Tiere nach Alter gruppiert und durch Gitter getrennt. Wenn ein Tier aus der Gruppe noch kleiner ist als die anderen, kommt es noch nicht in die nächsthöhere Gruppe.
06 Zsp Kuh (Knoller)
Und wenn dann aber zwei, drei Tage immer noch von der Box nach drüben gerufen wird, dann weiß man: Okay, da war anscheinend noch ein Kalb, was mit dem ziemlich dicke war ((und jetzt natürlich irgendwie getrennt wurde. … Die sehen sich, die haben den Sichtkontakt, die können sich immer noch beschnuppern. Aber sie sind halt nicht ganz beieinander, da ist eigentlich nur ein Gitter dazwischen. Aber da könnte man schon darauf anspielen zu sagen: Okay, da haben die Tiere auch eine Bindung untereinander aufgebaut, die derzeit gerade durch dieses Gitter getrennt wird.))
Atmo Kuhglocken / Alm (Schallarchiv)
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Die folgende Geschichte von Eva Zeiler, die aus dem steirischen Ennstal stammt, mag anekdotisch klingen. Aber sie verdeutlicht, wie eng die Tiere mit ihrer Herde verbunden sind. Sie hatten zuhause eine Leitkuh. Susi war jeden Sommer auf der Alm.
07 Zsp Kuh (Zeiler)
Ich glaub, sie war damals zwölf Jahre alt, also richtig alt für eine Kuh. Und dann haben wir beschlossen, ne, wir lassen jetzt unten, sie darf nicht auf die Alm, weil sie ist halt einfach schon gebrechlich, sie ist einfach schon alt. Und die anderen Kühe wurden aufgetrieben, und die Susi muss unten bleiben und die ist richtig depressiv geworden. Die … war richtig fertig. So nach dem Motto: Jetzt haben sie mich abgeschrieben. Und wir haben gesagt, ja gut, die frisst nimmer gescheit. Und der Tierarzt hat nichts gefunden. (…) Ja, wir haben sie letztendlich dann vier Tage später nachgetrieben, weil wir einfach gesagt haben: Hilft ja nichts, entweder du brichst Dir oben jetzt die Haxen. Aber die hat das dann noch drei Sommer lang durchgezogen.
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Trennung – auch wenn einzelne Tiere verkauft oder zum Schlachter gebracht werden - und Neugruppierung bringen Unruhe in die Herde. Dieser Stress kann sich negativ auf die Gesundheit und auch die Milchproduktion auswirken. Eine mögliche Konsequenz für Nutztierhalter könnte sein, dass sie versuchen, die Gruppen so stabil wie möglich zu halten oder wenigstens beste Freundinnen nicht zu trennen.
MUSIK
ATMO 1 / 2 + Kuhglocke (Schallarchiv)
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Auch die Bindung zwischen Kuh und Kalb ist sehr eng. Mütter beschützen ihr Kalb - zum Beispiel auch auf der Alm. Angriffe von Kühen auf Wanderer hängen meist damit zusammen, dass Menschen den Kleinen zu nahegekommen sind.
MUSIK
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Damit Kühe ihr Leben lang Milch geben, müssen sie etwa einmal pro Jahr ein Kalb bekommen. Der Durchschnitt pro Tier in Bayern lag 2023 bei 8.300 Kilogramm Milch, Öko-Kühe gaben im Schnitt zwischen 6.100 und 7.500 Kilogramm Milch. In vielen Betrieben werden die Tiere künstlich besamt. In nur wenigen Bauernhöfen bleiben die Kälber nach der Geburt bei der Mutter oder wahlweise bei einer Amme. In dem Fall werden die Kälber gesäugt. Die Kühe werden trotzdem gemolken. Der Bauer oder die Bäuerin verzichtet aber auf einen Teil der Milch. Diese Art der Aufzucht benötigt allerdings separate Stallungen oder Begegnungsstätten. Eva Zeiler forscht zum Thema kuhgebundene Kälberaufzucht. Sie sieht klare Vorteile:
08 Zsp. Kuh (Zeiler)
Wir merken ganz genau, dass die Kälber die kuhgebunden aufgezogen werden, sei es jetzt bei der Amme oder bei der eigenen Mutter, dass die eine ganz andere Sozialkompetenz haben, wenn die dann später wieder in den Herdenverbund als Jungkuh zurückkommen. Also die haben … diesen Kuh-Knigge erlernt und meistern den auch gut und können damit in diesen neuen, doch auch stressigen Situationen viele kompetenter umgehen. (…) ((Wenn ich da eine Kindergartentante – spricht eine Amme oder die Mama - dabei habe, dann lernen die Kälber halt schon von klein auf: Wie ist die Interaktion? Wie ist die Rangordnung? Wie funktioniert das?))
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Derzeit werden Kälber jedoch oft so aufgezogen, dass sie in Gruppen mit anderen Kälbern gehalten werden, die etwa gleich alt sind. Das heißt: Sie sind zuerst im Kälberbereich, danach im Jungtierbereich. Ab einem Alter von etwa 15 Monaten können sie frühestens zum ersten Mal besamt werden. Die Kuh ist dann neun Monate lang trächtig. Erst nach dem ersten Kalb kommt das Tier in die Gruppe der Milchkühe. Lernen von Größeren ist so nicht möglich. Eva Zeiler:
09 Zsp Kuh (Zeiler)
Und da ist keiner dabei, der sagt: Ne, so macht man das nicht, benimm dich. Und da müsste man stallbautechnisch schon, denke ich, bissl trauen, neue Wege zu gehen.
ATMO 3 / 4 Kälber-Muh/Schnaufen, Rumlaufen
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((Auch im Biolandbau dürfen Kuh und Kalb direkt nach der Geburt getrennt werden. Auf dem Hof von Maximilian Knoller wachsen die Kälber ebenfalls nicht zusammen mit der Mutter auf, vor allem weil der Stall dafür nicht ausgelegt ist. Kälber mögen es zum Beispiel etwas wärmer als adulte Tiere, vertragen weniger Zugluft und sind empfindlicher gegenüber Keimen. Die Kälber bekommen die sogenannte Biestmilch aus einem Tränkeeimer mit Saugaufsatz. Diese gelbe, dickflüssige Milch, die die Kuh direkt nach der Geburt produziert, ist reich an Mineralstoffen und Antikörpern, was wichtig für das Immunsystem der Kleinen ist.)) Manche Höfe – auch im Biolandbau - trennen Kuh und Kalb direkt nach der Geburt, manche nach ein paar Tagen, einige wenige Betriebe erst nach Wochen oder Monaten. Jeder Tag, an dem Kuh und Kalb zusammenbleiben können, sei ein gewonnener Tag, sagt Eva Zeiler.
10 Zsp. Kuh (Zeiler)
Es ist nachgewiesen, dass die Kälber, die bei den Kühen länger bleiben können - und ich bin jetzt nicht bei drei Tagen, sondern bei drei Monaten - dass die Kühe immer wieder den Peri-Analbereich zum Beispiel sauber lecken und dadurch Durchfallerreger-Keime vom Kalb aufnehmen und automatisch Antikörper bilden. Und das wiederum trinkt das Kalb dann wieder mit und wird dadurch wieder vital und hat ein besseres Immunsystem.
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Je länger Kalb und Kuh zusammenbleiben, desto stärker ist in der Regel die Bindung. Dies führt dann häufig dazu, dass die Kuh nach der Trennung nach ihrem Kalb sucht und nach ihm ruft – oft tagelang. Trotz des Trennungsschmerzes sieht auch Jan Langbein Vorteile, wenn Mutter und Kalb lange zusammenbleiben.
11 Zsp. Kuh (Langbein)
Dadurch, dass das Kalb … bei der Mutter trinken kann, hat es ein besseres Wachstumsverhalten, eine wesentlich stabilere Tiergesundheit und in dieser Zeit auch ein reiches emotionales Erleben, was die Tiere möglicherweise dann trotz der folgenden Trennung resilienter macht, also widerstandsfähiger macht, für alles das, was auf das Tier in Zukunft noch zukommt.
MUSIK
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Kühe lernen schnell. Wenn sie zum Beispiel regelmäßig mit ihren Namen angesprochen werden, erkennen sie diesen. Auch reagieren sie auf Lockrufe. Auf Youtube gibt es ein Video eines ostfriesischen Bauern, der seinen Kühen: „Komm her, komm“ zuruft. Die Tiere auf der Weide trotten daraufhin recht zügig in Richtung Stall. Rinder können - wie viele Tiere - konditioniert werden: Positives Verhalten kann zum Beispiel durch Futter belohnt und verstärkt werden. Diese Tatsache nutzte ein Team um Jan Langbein, für ein Toilettentraining.
12 Zsp. Kuh (Langbein)
Wir alle müssen lernen, auf die Toilette zu gehen. Unsere Babys lernen das, Hund und Katze lernen das. Warum sollte jetzt ausgerechnet das Rind dazu nicht in der Lage sein?
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Dahinter steckt ein ernsthaftes Problem: Kühe sind für einen großen Teil der Ammoniakemissionen verantwortlich. Ammoniak ist ein umweltschädliches Gas. Eine Kuh scheidet pro Tag etwa 20 bis 30 Liter Urin aus. Wenn sich im Stall Urin und Kot vermischen, dann läuft folgende chemische Reaktion ab: Das von Bakterien im Kot gebildete Enzym Urease spaltet den Harnstoff. Der Harnstoff im Urin wird dann mithilfe von Wasser in Ammoniak und Kohlendioxid aufgespalten. Nach Angaben des Umweltbundesamts stammen mehr als 70 Prozent der gesamten Ammoniakemissionen aus der Haltung von Rindern, Schweinen und Geflügel – der Anteil aus der Rinderhaltung beträgt 43 Prozent.
ATMO 1/ 2 + Kuh pieselt/kackt (Schallarchiv)
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Wenn die Tiere allerdings lernen, nur in einem bestimmten Bereich des Stalls zu urinieren, können Urin und Kot getrennt und Ammoniakemissionen deutlich reduziert werden. Mit insgesamt 16 Kälbern machte das Team ein Toilettentraining. Wenn die Tiere an einem speziellen Ort im Stall urinierten, bekamen sie eine Belohnung in Form von Melasse oder gequetschter Gerste. Wenn sie nicht in der dafür vorgesehenen Latrine urinierten, kam für wenige Sekunden ein kurzer Wasserstrahl von oben. Jan Langbein:
13 Zsp. Kuh (Langbein)
Von diesen 16 Kälbern haben elf gelernt, zuverlässig die Latrine aufzusuchen, sprich 75 Prozent aller Urinationen in der Latrine zu machen. Und das war ein relativ kurzer Trainingszeitraum, manche der Tiere haben das in 5, 6, 7 Trainingssessions von jeweils 30 Minuten gelernt. / ((Was wirklich faszinierend zu sehen war, dass manche Tiere im Verlauf des Trainings sich selbst korrigiert haben. Das heißt also, die standen auf dem Gang zwei, drei Meter vor der Latrine und haben dann angefangen zu urinieren. Die Dusche setzt ein. Sie haben gestoppt, den Urinationsvorgang, sind in die Latrine gegangen und haben dann fortgesetzt.))
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Jan Langbein geht davon aus, dass mit ausreichend Zeit auch die übrigen Kälber noch gelernt hätten, die Latrine aufzusuchen. Bis so ein System in der Praxis umgesetzt werden kann, wird es aber dauern. So muss zum Beispiel auch noch geklärt werden, wie sich die Tiere bei einer kombinierten Stall- und Weidehaltung verhalten.
Musik
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Landwirte berichten, dass sich Kühe vom Charakter unterscheiden. Manche sind zurückhaltend wie die 16 Jahre alte Edith. Die gescheckte Kuh ist deutlich älter als die anderen Tiere im Seekuhhof und mit ihren 16 Jahren die dienstälteste Kuh im Stall von Maximilian Knoller. Gerade die weiß-braun gescheckte Rasse Fleckvieh wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur auf Leistung, sondern auch auf Gutmütigkeit gezüchtet, sagt Eva Zeiler.
14 Zsp. Kuh (Zeiler)
Die sind sehr phlegmatische, sehr ruhige Tiere geworden. Man versucht, jetzt halt auch zunehmend des Interieur, (…) das Innere Wesen mit in die Zuchtwertschätzung aufzunehmen. Was man bei Pferden ja schon viel, viel länger macht. (…) Ich könnte Ihnen einen Besamungsbullen nennen, wo ich mich dann echt auch mal geweigert habe, mit dem zu besamen, weil die Töchter so: „Uaaaa, da ist eine Fliege oder huch, da ist ein Staubkorn. Also das ist furchtbar. ((Also man braucht schon robuste Tiere, die, wenn es mal ein bisschen lauter ist und Technik im Stall kann laut sein (…), dass die da einfach total entspannt das kennen und damit umgehen.))
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Andere Tiere sind explorativ, also erkunden gerne ihre Umgebung. Und wieder andere Kühe benehmen sich wie verschmuste Hunde. Maximilian Knoller:
15 Zsp. Kuh (Knoller)
Die Zwitschie, wenn ich da an die Box reingehe, dann will die einen versuchen aufzufressen. Also die ist wirklich so aufdringlich, wo ich mir dann halt später die Gedanken mache, wenn sie dann mal eine große Kuh ist und natürlich mehr Gewicht hat als ich. Ob sie dann auch wirklich ihr Gewicht auch mal ausnutzen kann, das ist natürlich dann so ein zweischneidiges Schwert. … ((Wir haben letzte Woche die Fenster oben ausgehangen. Und dann ist sie nur neben einem gestanden. Also die hat einen fast gar nicht in Ruhe arbeiten lassen, weil die einfach weiß: Okay, jetzt habe ich Zeit. Jetzt muss ich gestreichelt werden.))
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Der Charakter von Kühen hat für Landwirte durchaus Bedeutung, nicht nur was die Sicherheit im Stall angeht. Der Charakter hat möglicherweise auch wirtschaftliche Auswirkungen. So ist es denkbar, dass eine eher introvertierte Kuh, die in der Rangordnung deshalb vielleicht weiter unten steht, mehr Stress erfährt und dadurch weniger Leistung bringt, sprich weniger Milch gibt. Jan Langbein:
16 Zsp. Kuh (Langbein)
Alles das rückt zunehmend auch ins Interesse der Wissenschaft, war aber über lange Jahre nicht sozusagen das Nummer-eins-Thema… sonst haben wir immer geguckt: Wie ist die Leistung der Gruppe, wie ist die Futteraufnahme der Gruppe und dann haben wir einen Mittelwert, und damit kann man arbeiten und so weiter. Und dann sind das Leistungsgruppen. Aber da können einige Tiere in der Leistungsgruppe ganz fehl am Platz sein, weil wenn sie anders gefüttert werden würden, dann würden sie eben noch mehr Leistung abrufen können. Und das geht einher mit solchen Persönlichkeitsmerkmalen, die sowohl physiologisch als auch verhaltensorientiert sein können und dann zunehmend eine Rolle spielen.
ATMO 1 /2
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Dass Rinder, die in der Rangordnung weiter unten stehen, trotzdem ausreichend Futter bekommen, oder auch Kühe, die sehr viel Milch geben und deshalb zusätzliches Futter brauchen, kann Hightech im Stall regeln. In der Mitte des Stalls vom Seekuhhof steht eine Kraftfutterstation. Ein Computer erkennt das Halsband der jeweiligen Kuh und gibt ihr genau die Ration Kraftfutter, die sie braucht. Während das Tier frisst, geht hinten ein Riegel nach unten, so dass andere Kühe das fressende Tier nicht wegscheuchen können. Maximilian Knoller:
17 Zsp. Kuh (Knoller)
Die hat halt auf einen Tag verteilt – keine Ahnung - vier Kilo, was sie da bekommt. Aber sie bekommt nicht auf einmal die vier Kilo, sondern sie kann halt dann jetzt mal reingehen. Nach zwei, drei Stunden darf sie‘s dann wieder versuchen. Also wenn sie dazwischen mal reingeht, dann kriegt sie halt nichts. (…) Ja, das ist so wie für den Menschen die Süßigkeiten, die holt man sich halt, sobald es was gibt, dann wird sich da was geschnappt. ))
ATMO 2 / 3
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Muh ist übrigens nicht gleich muh. Es gibt unterschiedliche Kuh-Laute, die verschiedene Zustände, Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken. Eva Zeiler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
18 Zsp. Kuh (Zeiler)
Kühe sind sehr vokale Tiere. (…) Ich kann ganz klar erkennen vom Ton: Kann die nicht, mag die nicht oder will die nicht. Und auch Kühe, wenn die quasi in Interaktion sind zu ihren Kälbern, dann können die die rufen und sagen: „Jetzt komm bitte und trink bei mir“ zum Beispiel - oder „wo bist du“? Das ist ein ganz eigener Klang. Aber auch umgekehrt kann das Kalb die Mutter rufen und klar sagen: Mama, ich habe jetzt Hunger, wo bist du? Und dann steht die auch auf. Und dann geht die auch zu diesen Kälberbereich hin und dann finden die sich. (…) Ja, wir unterschätzen ist immer, muss ich ganz klar sagen. (…) ((Ich komme aus Österreich, wir haben ein Alpengebiet zu Hause, wenn da sich - warum auch immer - eine Kalbin von der restlichen Herde separiert, die plärrt solange und so deutlich und so vehement, also das ist wieder ein anderer Klang. So nach dem Motto: „Wo seid ihr?“, „Wo ist der Rest?“. ))
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Auch im Stall von Maximilian Knoller geben Kühe so manche Geräusche von sich. Und auch er sagt, er könne hören, wie es seinen Rindern gehe.
19 Zsp. Kuh (Knoller)
Wenn wir wissen, dass eine Kuh kurz vom Abkalben ist, und man sitzt auf der Terrasse, und dann kriegt man irgendein Geräusch mit. Es hört sich einfach dann auch anders an. Also wenn eine Kuh zum Beispiel auch gerade ihre Wehen hat, dann merkt man schon den Unterschied. Also man weiß: Okay, im Stall ist gerade irgendwas anders. Und dann hat man da auch schon ein bisschen ein Gehör für. Zum Beispiel die eine jetzt gerade, die das Geräusch von sich gibt, die ist gerade am Tiefenentspannen. (Muh im Hintergrund) Also es gibt Geräusche, wo man dann sagt: Okay, jetzt schauen wir mal schnell, was los ist. Aber es gibt eben auch solche Geräusche, wo man sich denkt. Ja, es geht gerade gut.
MUSIK
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Im Mai 2024 gab es in Deutschland rund 3,7 Millionen Milchkühe. Im Idealfall bekommen Kühe Futter, Wasser, Licht, Luft, Ruhe, Raum, eine Weide – und Kontakt zu ihrer Herde. Das haben jedoch nicht alle: Obwohl die Zahlen rückläufig sind und seit Jahren über ein Verbot diskutiert wird, lebten 2020 in Deutschland noch mehr als eine Million Rinder zeitweise oder ganzjährig in Anbindehaltung. Interaktion mit Artgenossen ist so nur sehr eingeschränkt möglich. Denn sie stehen mit einer Kette fixiert an einer Stelle, können sich nicht umdrehen und nicht herumlaufen.
ATMO Kühe auf Weide (Schallarchiv)
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Doch Kühe wollen sich bewegen. Das kann man besonders gut im Frühjahr beobachten, wenn sie nach dem Winter zum ersten Mal wieder aus dem Stall gelassen werden und auf die Weide dürfen. Da wird gehüpft, gesprungen, gerannt. Maximilian Knoller:
20 Zsp. Kuh (Knoller)
Es ist jedes Mal ein Highlight. (…) Ich könnte es mir ohne Weide bei den Kühen nicht mehr vorstellen. Du machst das Tor auf, die springen, rennen, laufen rum. Und dann, wenn sie mal die Ruhe haben und anfangen, das Gras zu fressen, da fühlt man sich einfach wohl das. Es lässt sich schwer beschreiben, weil es einfach ja richtig schön ist, dann zuzugucken.
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Kühen, die immer angebunden sind, fehlt diese Erfahrung. Deshalb sagt die Landwirtin und Tierärztin Eva Zeiler.
21 Zsp. Kuh (Zeiler)
Und darum bin ich absolut der Meinung, dass eine ganzjährige Anbindehaltung nicht nur nicht tiergerecht ist, sondern halt einfach absolut aus der Zeit gefallen.
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Konventionelle, aber auch Biolandwirte sind Unternehmer. Sie verkaufen Milch und Fleisch. Die Aufzucht muss sich rentieren. Das heißt: Verbraucher müssen bereit sein, einen zusätzlichen Aufwand zum Beispiel in der Haltung und damit für mehr Tierwohl zu bezahlen. Denn oft sind aufwändige Umbauarbeiten notwendig, um den Tieren mehr Platz, mehr Bewegungsmöglichkeiten und bessere Begegnungsräume zu schaffen.
MUSIK
Atmo 1 / 2 / 3
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Je mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Kühe herausfinden, umso klarer wird, dass sie keineswegs anspruchslose Nutztiere sind, die nur Milch und Fleisch produzieren, sondern kontaktfreudige Wesen mit Bedürfnissen und Gefühlen. Eva Zeiler:
22 Zsp. Kuh (Zeiler)
Kühe sind freundlich, Kühe sind supercoole Wesen und sie sind auch sehr respektvoll. Und ich finde, das sollte man auch sein im Umgang zu ihnen.
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