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Erdöl – Wie wir abhängig wurden


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Benzin, Kunststoff, Dünger, Medikamente: Produkte aus Erdöl sind in alle Bereiche des modernen Lebens eingesickert. Dabei war von Anfang klar, dass es sich um einen endlichen Rohstoff handelt. Aber Erdöl trug eben entscheidend zu unserem materiellen Wohlstand bei - und war immer wieder entschiedend in Kriege verwickelt. Von Maike Brzoska

Credits

Autor/in dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Caroline Ebner, Patrick Zeilhofer, Andreas Dirscherl
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:

 - Frank Uekötter, Umwelthistoriker und Professor an der Universität Bochum

- Andreas Goldthau, Politologe und Professor an der Universität Erfurt

- Robert Groß, Umwelthistoriker, Forscher am Institut für Soziale Ökologie der Universität Wien


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Literatur:

-       Frank Uekötter, „Der Strudel. Eine Umweltgeschichte der modernen Welt“ – beschreibt in vielen Beispielen die ökologischen und technologischen Entwicklungen der letzten Jahrhunderte und wie sie miteinander zusammenhängen.


-       Heike Buchter, „Ölbeben. Wie die USA unsere Existenz gefährden“ – analysiert kritisch, welche globalen Risiken die Ölpolitik der USA hat.

-     Daniel Yergin, „Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht“ – sehr detailreiches und spannend geschriebenes Buch über die Geschichte des Erd

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Er wurde eines Besseren belehrt. Im August 1859 stießen Drake und seine Männer tatsächlich auf Erdöl, in 20 Metern Tiefe. Und dann tat Drake genau das, wofür er bis dahin so verlacht worden war: Er pumpte die schwarze Flüssigkeit nach oben.

Drakes Fund gilt als Beginn der modernen Ölgeschichte. Wie wichtig der Rohstoff einmal werden würde, ließ sich Mitte des 19. Jahrhunderts – auch mit viel Fantasie – kaum erahnen. Denn mit der Zeit sickerte das Erdöl langsam aber sicher in immer mehr Bereiche unseres Alltags ein. Tatsächlich ist vielen Menschen heute gar nicht bewusst, wie viele Dinge aus Erdöl sie täglich nutzen, sagt der Umwelthistoriker Prof. Frank Uekötter (sprich: Ükötter). Er lehrt an der Ruhr Universität Bochum.

01 O-TON (Uekötter)

Das Magische an Erdöl ist: Es steckt in vielen Dingen drin, denen man das zunächst mal gar nicht ansieht.

Musik Friction 



SPRECHERIN

Denn aus Erdöl werden nicht nur Heizöl oder Treibstoffe wie Benzin, Diesel oder Kerosin gemacht, sondern viele weitere Produkte: Kosmetika wie Shampoo oder Make Up, Waschmittel, Medikamente, Bodenbeläge, wie zum Beispiel Asphalt, und auch Düngemittel. Daneben basieren die allermeisten Kunststoffe auf Erdöl, also die ganzen Sachen aus Plastik. Das zeigt, wie vielseitig der Rohstoff ist. Wie viele Formen er annehmen kann.

02 O-TON (Uekötter)

Erdöl ist so ein bisschen das Chamäleon unter den Energieträgern. Es wandelt sich.

SPRECHERIN

Tatsächlich ist unsere heutige Welt ohne Erdöl kaum denkbar, im Moment jedenfalls. Man könnte auch sagen: Wir sind abhängig, manche sagen sogar: süchtig. Wäre es überhaupt möglich, ohne Erdöl auszukommen?

03 O-TON (Uekötter)

Das ist die große, anhaltende Herausforderung. Das ist gewissermaßen ganz langsam Abhängigkeiten reduzieren und natürlich Alternativen aufbauen.

SPRECHERIN

Damit begann man hierzulande nach den Ölpreisschocks in den 1970ern, und bis dahin soll die Geschichte in diesem Beitrag erzählt werden. Wobei man sagen muss: Es war eine sehr langsame Entwicklung weg vom Öl, die auch noch lange nicht abgeschlossen ist.

04 O-TON (Uekötter)

Denn in dieser Nummer des ressourcenintensiven fossilen Lebensstils, da stecken wir in der Moderne halt sehr, sehr tief drin. Und ich denke, aus dem Erdölzeitalter kommen wir genauso raus, wie wir reingekommen sind: mit vielen kleinen Schritten.

Musik ARD-Labelmusik White wherever you look 

 

SPRECHERIN

Zu den ersten dieser vielen kleinen Schritte gehörte, dass die Menschen zu der Zeit von Edward Drake begannen, Erdöl, in Form von Petroleum, für ihre Lampen zu nutzen. Das war sehr viel günstiger als das Walfett, das ohnehin nur schwer zu bekommen war. Man nannte die Petroleumlampen damals das „Neue Licht“. Es machte lange Arbeitstage und sogar Nachtschichten möglich. Auf diese Weise förderte das Erdöl auch die Industrialisierung.

Gleichzeitig machte es einige Menschen ungeheuer reich.

Musik ARD-LAbelmusik Expedition 



1870 gründete ein gewisser John D. Rockefeller sein Unternehmen Standard Oil. Bald schon kontrollierte er den überwiegenden Teil des damaligen Ölgeschäfts – von der Förderung, über die Verarbeitung in Raffinerien, bis hin zum Transport mit der Eisenbahn. Die Monopolstellung erlaubte es ihm, Preise fast nach Belieben zu setzen. Rockefeller gilt als reichster Mensch der modernen Geschichte. Je nach Lesart wird er als genialer Unternehmer bezeichnet – oder als skrupelloser Geschäftsmann. Damit zeigte sich schon damals etwas, das charakteristisch ist für das Ölgeschäft: Es ist ein Big Business, wo Anstand oder Freundschaften nicht selten auf der Strecke bleiben. Ein häufig kolportiertes Zitat lautet:

05 O-TON (Uekötter)

Ölfreundschaften sind sehr schlüpfrig. Das fasst es ganz gut. Das ist tatsächlich globaler Kapitalismus in seiner ganzen Pracht. Es geht um sehr viel Geld. Es geht um globale Machtspiele.

SPRECHERIN

Und auch um geopolitische Interessen. Denn immer wieder gab und gibt es Konflikte, ja auch kriegerische Auseinandersetzungen um den begehrten Rohstoff Öl. Aber um das zu erzählen, braucht es einen eigenen Beitrag…

Musik ARD-Labelmusik White wherever you look´´

Zurück ins 19. Jahrhundert: Da drohte Erdöl erst mal überflüssig zu werden, denn die Glühbirne setzte sich Ende des Jahrhunderts immer weiter durch, das Neue Licht war schon wieder veraltet. Aber eine weitere Erfindung sorgte dafür, dass Erdöl bald begehrter werden sollte als je zuvor.

ZITATOR 2 (förmlich)

Patentschrift Nummer 37435. Vorliegende Construction bezweckt den Betrieb hauptsächlich leichter Fuhrwerke (…), wie solche zur Beförderung von 1 bis 4 Personen verwendet werden.

Musik M Ray of light 

SPRECHERIN

1886 meldete Carl Benz sein „Automobil“ mit Verbrenner-Motor zum Patent an. Wenig später fuhr seine Frau Berta mit einem Benz von Mannheim nach Pforzheim, eine Strecke von über 100 Kilometern. Sie wollte zeigen, dass das Auto alltagstauglich war. Denn ihre Landsleute waren skeptisch. Wegen der vielen Pannen, aber auch weil es teuer war. Eine technische Spielerei für Wohlhabende sei das Automobil, so lautete der Tenor damals. Kaiser Wilhelm der Zweite soll sogar gesagt haben:

ZITATOR 1

Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.

Musik Autostrada 

SPRECHERIN

Ganz anders in den USA: Dort wurde das Auto bald zum Massenprodukt. Auch dank des Unternehmers Henry Ford, der 1913 in Michigan das Fließband einführte. Die Massenproduktion machte die Autos sehr viel günstiger – und damit erschwinglich für immer mehr Menschen. 1920 fuhren bereits mehr als acht Millionen Fahrzeuge durch die USA. Das Auto – und damit auch Treibstoffe wie Benzin und Diesel – wurden Teil des American Way of Life.

 

Musik Ocean's Deep

Gleichzeitig veränderten die neuartigen Fahrzeuge mit Verbrenner-Motoren auch die Kriegsführung. Der Erste Weltkrieg war der erste motorisierte Krieg der Geschichte. Neben Pferdekutschen, Dampflokomotiven und Dampfschiffen kamen erstmals auch Lastwagen, Panzer und Flugzeuge zum Einsatz. So gesehen war der Erste Weltkrieg auch eine Art Kräftemessen zwischen den Energieträgern Erdöl und Kohle. Wobei die Alliierten, allen voran Großbritannien, vor allem auf Erdöl setzten.

06 O-TON (Uekötter)

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg stellt die Royal Navy um von Kohle auf Erdöl. Einfach deshalb, weil man damit Schlachtschiffe schneller fahren lassen konnte.

 

SPRECHERIN

Durchgesetzt hatte das der damalige britische Marineminister und spätere Premier Winston Churchill. Allerdings hatte Großbritannien ein Problem: Das Land verfügte damals selbst kaum über Öl. Damit der britischen Flotte der Treibstoff nicht ausgeht, erwarb Großbritannien daher 51 Prozent an der Anglo-Persian Oil Company. Die englisch-persische Ölfirma war das erste Unternehmen, das Erdöl im Nahen Osten förderte. Mit den 51 Prozent übernahmen die Briten de facto die Kontrolle über die persischen Ölressourcen. Churchill war überzeugt:

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