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Den Essay hat der Humanist Michel de Montaigne erfunden, mit seinen philosophischen Versuchen, französisch: essayer. Er war ein Philosoph, der nach der Wahrheit eher tastete, als dass er sie vollmundig verkündet hätte.
Credits
Autor dieser Folge: Christian Schuler
Regie: Irene Schuck
Sprecher/in: Beate Himmelstoß,Thomas Loibl, Friedrich Schloffer
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
Alles Geschichte – Der History-Podcast
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzählerin
Es ist die Nacht vom 23. auf den 24. August 1572. In Paris ist soeben mit großem Pomp die Hochzeit des Hugenotten Heinrich von Navarra mit der Katholikin Margarete von Valois gefeiert worden. Ein Fest, das Versöhnung zwischen den verfeindeten Parteien stiften und damit die Einheit des Reiches stärken sollte. Doch es kommt anders.
Musik:
"Hitchhiker" - Komponist und Ausführender: Jeremiah Cymerman - Album: Badlands Label: 5049 Records – 5049-006 - Länge: 0'51
Erzählerin:
Ein gescheitertes Attentat auf den Hugenottenführer Coligny löst Unruhen aus. Augenzeugen berichten von Massakern:
Zitator 2
„Da setzte überall in Paris ein Gemetzel ein, dass es bald keine Gasse mehr gab, auch die allerkleinste nicht, wo nicht einer den Tod fand. Und das Blut floss über die Straßen, als habe es stark geregnet ... Schon war der Fluss mit Leichen bedeckt und ganz rot vom Blut.“
Erzählerin
Unter dem Namen „Bartholomäusnacht“ sind diese Pogrome in die Geschichte eingegangen. Tausende Menschen fielen ihnen zum Opfer, vor allem protestantische Hugenotten. Und bei den Unruhen, die anschließend auf das ganze Land übergriffen, starben noch einmal einige zehntausend. Die Reformation in Frankreich war damit blutig niedergeschlagen worden, die Versöhnung zwischen den Parteien gescheitert. Hugenotten wanderten in den folgenden Jahren zu Hunderttausenden nach England, in die Schweiz und nach Preußen aus. Frankreich war durch die Aufstände und Verfolgungen zunächst politisch, dann durch die Auswanderungswellen auch wirtschaftlich geschwächt. Auch Bordeaux war von den Unruhen betroffen.
Musik:
"Hitchhiker" - Komponist und Ausführender: Jeremiah Cymerman - Album: Badlands Label: 5049 Records – 5049-006 - Länge: 0'35
Zitator 1
„O des ungeheuren Krieges! Andere Kriege wirken auswärts, dieser gegen sich selbst, zerfleischt und zerstört sich durch sein eigenes Gift ... Er soll den Aufruhr dämpfen, und ist selbst voller Aufruhr; will den Ungehorsam strafen, und gibt davon ein Beispiel; wird zur Verteidigung der Gesetze geführt, und ist offenbare Rebellion gegen seine eigenen. Wohin ist es mit uns gekommen?“
Erzählerin
Der das schreibt, sitzt im Turm seines Schlosses, 60 Kilometer östlich von Bordeaux, wo er bis vor kurzem als Berufungsrichter tätig gewesen war. Mit 38 Jahren hatte er seinen Dienst quittiert und sich auf das Anwesen zurückgezogen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte: Schloss Montaigne.
Zitator 1
„Genug nun für andere gelebt – leben wir zumindest dies letzte Stück des Lebens für uns.“
Erzählerin
Hier, auf Schloss Montaigne, war Michel Eyquem, wie er eigentlich hieß, 1533 zur Welt gekommen; hier hatte er den größten Teil seiner Kindheit verbracht; hier wollte er fortan im Kreise seiner Familie das stille Leben eines gelehrten Landedelmannes führen. Er nahm das Studium der lateinischen Klassiker wieder auf, mit denen er aufgewachsen war - Lukrez, Horaz, Seneca - und begann, das Werk zu verfassen, mit dem sein Name bis heute untrennbar verbunden ist: die drei Bände der „Essais“.
Musik:
"Bernie Alap" - Ausführende: Hank Roberts, Marc Ducret & Jim Black - Album: Green - Komponist: Hank Roberts Label: Winter & Winter – 910 141-2
Länge: 1'06
Erzählerin:
Weit über tausend Seiten mit Aufsätzen, Betrachtungen und anekdotenreichen Reflexionen, die sich im wahrsten Sinn des Wortes um Gott und die Welt drehen.
Zitator 1
„Ich trage unausgegorene und nicht zu Ende gedachte Einfälle vor ..., nicht um die Wahrheit zu definieren, sondern um sie zu suchen.“
Erzählerin
Montaigne tritt gern unter der Maske des Unwissenden auf, aus Bescheidenheit oder aus Koketterie. Oder auch um etwaige Erwartungen des Publikums von vornherein zu unterlaufen. Denn hier soll kein schlüssiges philosophisches System erdacht werden. Hier verkündet einer nicht mit Pomp eine neue Lehre, die alle anderen widerlegen will. Der Autor der Essais schreibt zunächst zu seinem eigenen Vergnügen. Und was dabei herauskommt, nennt er „Essais“, eine Textgattung, die bis dahin unbekannt war und die sich vom französischen Verb „essayer“, versuchen, ableitet.
O-Ton Stöferle (ab 24:50)
Der Essai, (wenn man ihn heute definieren müsste,) definiert sich dadurch, dass ein Ich über ein beliebiges Thema versuchsweise sich schriftlich auslässt oder versuchsweise ein Thema erkundet. Ich denke, so muss man das bei Montaigne auch verstehen, mit der Präzisierung, dass der Gegenstand eigentlich sein Ich ist.
Erzählerin
Sagt Dagmar Stöferle, Romanistin und Dozentin an der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Zitator 1
„Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser.“
Erzählerin
… heißt es im Vorwort des ersten Bandes der Essais.
Zitator 1
„Es warnt dich schon zu Beginn, dass ich mir darin kein anderes Ziel gesetzt habe als ein häusliches und privates. Um deinen Nutzen ging es mir dabei so wenig wie um meinen Ruhm. Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Verwandten und Freunde gewidmet.
Sie sollen, wenn sie mich verloren haben (und das wird bald sein), darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsstimmung wiederfinden. ... Wäre es mir darum gegangen, die Gunst der Welt zu gewinnen, so hätte ich mich besser herausgeputzt ... Ich will aber, dass man mich darin in meiner schlichten, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Gesuchtheit und Geziertheit: denn ich bin es, den ich hier darstelle.“
O-Ton Stöferle (ab 6:25)
Das ist ja die Kunst des Essais, wie es an manchen Stellen heißt, dass ihm kein Gegenstand zu gering ist und kein Gegenstand zu hoch, dass er immer das Abseitige ins Auge fasst, und gerechtfertigt wird das durch das erklärte Ziel, sich selbst zum Gegenstand zu machen.
Erzählerin
In den Essais meldet sich also einer zu Wort, der das Leben als Jurist und Parlamentsrat von Bordeaux, als Familienvater und wacher Beobachter des Zeitgeschehens in vielen Facetten kennengelernt hat, der sich nun aber schreibend und denkend auf sich selbst besinnen möchte. In einer Zeit politischer Zerrissenheit und konfessioneller Spaltung erprobt er die Weisheit der Klassiker an sich, seinem eigenen Leben und seiner Zeit. So werden die Essais zu einem Werk der Selbstbehauptung - und zelebrieren zugleich die Lust an der eigenen geistigen Beweglichkeit.
Auffallend ist, dass Montaigne in den Jahrhunderten nach seinem Tod bei Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern mindestens ebenso viel Resonanz gefunden hat wie bei Philosophen.
Und unter den Philosophen schätzten ihn vor allem solche, die - wie Montaigne selbst - mit der systematischen Unabgeschlossenheit ihrer Gedanken gut leben konnten und denen - wie Montaigne - an prägnanter Formulierung ebenso gelegen war wie an gedanklicher Schärfe: Brillante Stilisten also wie Voltaire, Diderot - oder auch Friedrich Nietzsche, der die vielleicht schönste und berühmteste Huldigung an Montaigne formuliert hat:
Zitator 2
„Dass ein solcher Mensch geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden ... Mit ihm würde ich es halten, wenn die Aufgabe gestellt wäre, es sich auf Erden heimisch zu machen.“
Musik: "Aurora lucis rutilat" - Orlando di Lasso SC006440011 1'11
Erzählerin
Michel de Montaignes Kindheit und Jugend fallen in die Amtszeit von König Franz I., der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus Frankreich eine absolutistische Monarchie machte. Franz war es auch, der damit begann, die Institutionen der Macht in Paris zu bündeln, auf Kosten weitgehend selbständiger Regionen wie etwa der Guyenne und ihres Zentrums Bordeaux. Es gab Unruhen und Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Zeitweise wurden Bordeaux die Stadtrechte aberkannt.
Montaignes Vater, Pierre Eyquem, hatte den König auf verschiedenen Feldzügen begleitet, zugleich aber hatte er hohe Ämter in Bordeaux inne, als Jurist und später als Bürgermeister. Es gelang ihm, eine vermittelnde Position zwischen König und Stadt einzunehmen und für Bordeaux, bei aller Loyalität zum König, die Stadtrechte zurückzugewinnen. Diese ausgleichende und diplomatische Haltung, der alles radikale Eiferertum verhasst war, sollte sich auf seinen Sohn vererben.
Zitator 1
„Man sieht sehr gewöhnlich, dass gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten.“
Erzählerin
Michel Eyquem wurde – wie sein Vater - Jurist und später Bürgermeister von Bordeaux. Auch seine Lebenszeit war gekennzeichnet von Kriegen und Bürgerkriegen, vor allem konfessioneller Art. Und wie sein Vater blieb Montaigne königstreu und katholisch, verabscheute jedoch jede Art des Fanatismus:
Zitator 1:
„In dem Streit, durch welchen Frankreich jetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei ohne Zweifel diejenige, welche die alte Religion und alte Verfassung des Landes verficht. Gleichwohl sieht man unter den redlichen Leuten, welche daran hängen ... viele, welche durch Leidenschaft die Grenzen der Billigkeit überschreiten und zuweilen ungerechte, gewalttätige und dabei unüberlegte Entschlüsse fassen.“
4.5
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Den Essay hat der Humanist Michel de Montaigne erfunden, mit seinen philosophischen Versuchen, französisch: essayer. Er war ein Philosoph, der nach der Wahrheit eher tastete, als dass er sie vollmundig verkündet hätte.
Credits
Autor dieser Folge: Christian Schuler
Regie: Irene Schuck
Sprecher/in: Beate Himmelstoß,Thomas Loibl, Friedrich Schloffer
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
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Erzählerin
Es ist die Nacht vom 23. auf den 24. August 1572. In Paris ist soeben mit großem Pomp die Hochzeit des Hugenotten Heinrich von Navarra mit der Katholikin Margarete von Valois gefeiert worden. Ein Fest, das Versöhnung zwischen den verfeindeten Parteien stiften und damit die Einheit des Reiches stärken sollte. Doch es kommt anders.
Musik:
"Hitchhiker" - Komponist und Ausführender: Jeremiah Cymerman - Album: Badlands Label: 5049 Records – 5049-006 - Länge: 0'51
Erzählerin:
Ein gescheitertes Attentat auf den Hugenottenführer Coligny löst Unruhen aus. Augenzeugen berichten von Massakern:
Zitator 2
„Da setzte überall in Paris ein Gemetzel ein, dass es bald keine Gasse mehr gab, auch die allerkleinste nicht, wo nicht einer den Tod fand. Und das Blut floss über die Straßen, als habe es stark geregnet ... Schon war der Fluss mit Leichen bedeckt und ganz rot vom Blut.“
Erzählerin
Unter dem Namen „Bartholomäusnacht“ sind diese Pogrome in die Geschichte eingegangen. Tausende Menschen fielen ihnen zum Opfer, vor allem protestantische Hugenotten. Und bei den Unruhen, die anschließend auf das ganze Land übergriffen, starben noch einmal einige zehntausend. Die Reformation in Frankreich war damit blutig niedergeschlagen worden, die Versöhnung zwischen den Parteien gescheitert. Hugenotten wanderten in den folgenden Jahren zu Hunderttausenden nach England, in die Schweiz und nach Preußen aus. Frankreich war durch die Aufstände und Verfolgungen zunächst politisch, dann durch die Auswanderungswellen auch wirtschaftlich geschwächt. Auch Bordeaux war von den Unruhen betroffen.
Musik:
"Hitchhiker" - Komponist und Ausführender: Jeremiah Cymerman - Album: Badlands Label: 5049 Records – 5049-006 - Länge: 0'35
Zitator 1
„O des ungeheuren Krieges! Andere Kriege wirken auswärts, dieser gegen sich selbst, zerfleischt und zerstört sich durch sein eigenes Gift ... Er soll den Aufruhr dämpfen, und ist selbst voller Aufruhr; will den Ungehorsam strafen, und gibt davon ein Beispiel; wird zur Verteidigung der Gesetze geführt, und ist offenbare Rebellion gegen seine eigenen. Wohin ist es mit uns gekommen?“
Erzählerin
Der das schreibt, sitzt im Turm seines Schlosses, 60 Kilometer östlich von Bordeaux, wo er bis vor kurzem als Berufungsrichter tätig gewesen war. Mit 38 Jahren hatte er seinen Dienst quittiert und sich auf das Anwesen zurückgezogen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte: Schloss Montaigne.
Zitator 1
„Genug nun für andere gelebt – leben wir zumindest dies letzte Stück des Lebens für uns.“
Erzählerin
Hier, auf Schloss Montaigne, war Michel Eyquem, wie er eigentlich hieß, 1533 zur Welt gekommen; hier hatte er den größten Teil seiner Kindheit verbracht; hier wollte er fortan im Kreise seiner Familie das stille Leben eines gelehrten Landedelmannes führen. Er nahm das Studium der lateinischen Klassiker wieder auf, mit denen er aufgewachsen war - Lukrez, Horaz, Seneca - und begann, das Werk zu verfassen, mit dem sein Name bis heute untrennbar verbunden ist: die drei Bände der „Essais“.
Musik:
"Bernie Alap" - Ausführende: Hank Roberts, Marc Ducret & Jim Black - Album: Green - Komponist: Hank Roberts Label: Winter & Winter – 910 141-2
Länge: 1'06
Erzählerin:
Weit über tausend Seiten mit Aufsätzen, Betrachtungen und anekdotenreichen Reflexionen, die sich im wahrsten Sinn des Wortes um Gott und die Welt drehen.
Zitator 1
„Ich trage unausgegorene und nicht zu Ende gedachte Einfälle vor ..., nicht um die Wahrheit zu definieren, sondern um sie zu suchen.“
Erzählerin
Montaigne tritt gern unter der Maske des Unwissenden auf, aus Bescheidenheit oder aus Koketterie. Oder auch um etwaige Erwartungen des Publikums von vornherein zu unterlaufen. Denn hier soll kein schlüssiges philosophisches System erdacht werden. Hier verkündet einer nicht mit Pomp eine neue Lehre, die alle anderen widerlegen will. Der Autor der Essais schreibt zunächst zu seinem eigenen Vergnügen. Und was dabei herauskommt, nennt er „Essais“, eine Textgattung, die bis dahin unbekannt war und die sich vom französischen Verb „essayer“, versuchen, ableitet.
O-Ton Stöferle (ab 24:50)
Der Essai, (wenn man ihn heute definieren müsste,) definiert sich dadurch, dass ein Ich über ein beliebiges Thema versuchsweise sich schriftlich auslässt oder versuchsweise ein Thema erkundet. Ich denke, so muss man das bei Montaigne auch verstehen, mit der Präzisierung, dass der Gegenstand eigentlich sein Ich ist.
Erzählerin
Sagt Dagmar Stöferle, Romanistin und Dozentin an der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Zitator 1
„Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser.“
Erzählerin
… heißt es im Vorwort des ersten Bandes der Essais.
Zitator 1
„Es warnt dich schon zu Beginn, dass ich mir darin kein anderes Ziel gesetzt habe als ein häusliches und privates. Um deinen Nutzen ging es mir dabei so wenig wie um meinen Ruhm. Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Verwandten und Freunde gewidmet.
Sie sollen, wenn sie mich verloren haben (und das wird bald sein), darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsstimmung wiederfinden. ... Wäre es mir darum gegangen, die Gunst der Welt zu gewinnen, so hätte ich mich besser herausgeputzt ... Ich will aber, dass man mich darin in meiner schlichten, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Gesuchtheit und Geziertheit: denn ich bin es, den ich hier darstelle.“
O-Ton Stöferle (ab 6:25)
Das ist ja die Kunst des Essais, wie es an manchen Stellen heißt, dass ihm kein Gegenstand zu gering ist und kein Gegenstand zu hoch, dass er immer das Abseitige ins Auge fasst, und gerechtfertigt wird das durch das erklärte Ziel, sich selbst zum Gegenstand zu machen.
Erzählerin
In den Essais meldet sich also einer zu Wort, der das Leben als Jurist und Parlamentsrat von Bordeaux, als Familienvater und wacher Beobachter des Zeitgeschehens in vielen Facetten kennengelernt hat, der sich nun aber schreibend und denkend auf sich selbst besinnen möchte. In einer Zeit politischer Zerrissenheit und konfessioneller Spaltung erprobt er die Weisheit der Klassiker an sich, seinem eigenen Leben und seiner Zeit. So werden die Essais zu einem Werk der Selbstbehauptung - und zelebrieren zugleich die Lust an der eigenen geistigen Beweglichkeit.
Auffallend ist, dass Montaigne in den Jahrhunderten nach seinem Tod bei Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern mindestens ebenso viel Resonanz gefunden hat wie bei Philosophen.
Und unter den Philosophen schätzten ihn vor allem solche, die - wie Montaigne selbst - mit der systematischen Unabgeschlossenheit ihrer Gedanken gut leben konnten und denen - wie Montaigne - an prägnanter Formulierung ebenso gelegen war wie an gedanklicher Schärfe: Brillante Stilisten also wie Voltaire, Diderot - oder auch Friedrich Nietzsche, der die vielleicht schönste und berühmteste Huldigung an Montaigne formuliert hat:
Zitator 2
„Dass ein solcher Mensch geschrieben hat, dadurch ist wahrlich die Lust, auf dieser Erde zu leben, vermehrt worden ... Mit ihm würde ich es halten, wenn die Aufgabe gestellt wäre, es sich auf Erden heimisch zu machen.“
Musik: "Aurora lucis rutilat" - Orlando di Lasso SC006440011 1'11
Erzählerin
Michel de Montaignes Kindheit und Jugend fallen in die Amtszeit von König Franz I., der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus Frankreich eine absolutistische Monarchie machte. Franz war es auch, der damit begann, die Institutionen der Macht in Paris zu bündeln, auf Kosten weitgehend selbständiger Regionen wie etwa der Guyenne und ihres Zentrums Bordeaux. Es gab Unruhen und Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Zeitweise wurden Bordeaux die Stadtrechte aberkannt.
Montaignes Vater, Pierre Eyquem, hatte den König auf verschiedenen Feldzügen begleitet, zugleich aber hatte er hohe Ämter in Bordeaux inne, als Jurist und später als Bürgermeister. Es gelang ihm, eine vermittelnde Position zwischen König und Stadt einzunehmen und für Bordeaux, bei aller Loyalität zum König, die Stadtrechte zurückzugewinnen. Diese ausgleichende und diplomatische Haltung, der alles radikale Eiferertum verhasst war, sollte sich auf seinen Sohn vererben.
Zitator 1
„Man sieht sehr gewöhnlich, dass gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten.“
Erzählerin
Michel Eyquem wurde – wie sein Vater - Jurist und später Bürgermeister von Bordeaux. Auch seine Lebenszeit war gekennzeichnet von Kriegen und Bürgerkriegen, vor allem konfessioneller Art. Und wie sein Vater blieb Montaigne königstreu und katholisch, verabscheute jedoch jede Art des Fanatismus:
Zitator 1:
„In dem Streit, durch welchen Frankreich jetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei ohne Zweifel diejenige, welche die alte Religion und alte Verfassung des Landes verficht. Gleichwohl sieht man unter den redlichen Leuten, welche daran hängen ... viele, welche durch Leidenschaft die Grenzen der Billigkeit überschreiten und zuweilen ungerechte, gewalttätige und dabei unüberlegte Entschlüsse fassen.“
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