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Dass Umfragen genutzt werden, um Meinung zu machen – das könnte man sich gerade noch vorstellen. Dass Umfragen darauf angelegt werden, dass Umfrage-Ergebnisse zurechtgebogen werden, um Meinung zu machen, das ist schon ein bisschen schwerer zu begreifen. Und schon gar nicht zu rechtfertigen. Das geschieht aber zurzeit mit dem klar erkennbaren Ziel, die Anhänger des BSW zu entmutigen. Umfragen des Umfrageinstituts Forsa zum Beispiel lassen das BSW unter 5 Prozent sinken. Schauen Sie sich mal diese Übersicht über verschiedene Umfragen der letzten Zeit an. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Hier ist der Link zur Quelle dieser Tabelle.
Zwischenbemerkung: Im Folgenden geht es um Vorgänge in Westdeutschland, also in der alten Bundesrepublik.
Jene, die in der alten Bundesrepuplik Wahlkämpfe planten und die Planungen umsetzten, hatten immer schon die Möglichkeit genutzt, Meinungsbefragungen so zurechtzubiegen, dass ein für sie positiver Effekt auf das Wahlverhalten erzielt wurde. Das älteste mir bekannte Beispiel reicht zurück bis zur Bundestagswahl 1965. Bis dahin, also von 1949 bis 1965, gab es immer nur Bundeskanzler von der CDU. Die damalige Konkurrenz, die SPD, hatte sich zwar schon 1949, also zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland West, Hoffnungen gemacht, mitzuregieren. Aber 1949 hatte es nicht geklappt, 1953 nicht, 1957 nicht und auch nicht 1961. Jetzt aber, 1965, so das Ziel und die damalige Stimmung, müsse der Kanzlerwechsel gelingen.
Diese Suggestion, anders kann man es wohl kaum ausdrücken, wurde vom damals tonangebenden Meinungsforschungsinstitut, dem Institut Allensbach und seiner Leiterin Elisabeth Noelle-Neumann unterfüttert. – Das Ergebnis sah aber ganz anders aus: die CDU/CSU erreichte 1965 47,6 Prozent der Zweitstimmen, die SPD nur 39,3 Prozent. Und CDU-Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter Dufhues ließ mit Rückendeckung von Frau Noelle-Neumann wissen, dass man absichtlich den Eindruck erweckt habe, die Mehrheit der CDU/CSU sei gefährdet, die Kopf-an-Kopf-Propaganda sei eine Wahllist gewesen, um die Bürger an die Urne zu bringen.
Über diesen Vorgang habe ich auf den NachDenkSeiten schon einmal berichtet. Siehe hier; es lohnt sich wegen der jetzt stattfindenden Wiederholung, die damalige Analyse und Beschreibung nachzulesen.
Ich will noch von einem weiteren einschlägigen Vorgang berichten: Nach Ende meiner Tätigkeit als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt 1982 war ich unter anderem als Wahlkampfberater tätig. In dieser Funktion war ich beteiligt an der Wahlkampfplanung für die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, auch im Jahr 1985. Noch gut erinnere ich mich daran, dass der damalige Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der NRW-SPD, Bodo Hombach, am Ende einer der regelmäßigen Wahlkampfplanungsbesprechungen anmerkte: Er werde sich in Bälde mit dem Leiter des Umfrageinstituts treffen, das für die NRW-SPD arbeite. Wichtiger Gegenstand des Gesprächs sei die Frage, welches Umfrage-Ergebnis die SPD wolle. – Wir mussten nicht lange nachdenken, wir waren uns sofort einig: Das Ergebnis soll signalisieren, dass die Mehrheit der SPD gefährdet ist. Das dann veröffentlichte Umfrageergebnis entsprach unseren Wünschen und die damit verbundene Behauptung, die Mehrheit der SPD sei gefährdet, wirkte. Das Ergebnis: 52,1 Prozent für die NRW-SPD.
Schon damals gab es solche und solche Institute. Mit Forsa konnte man rechnen. Siehe dazu auch ein Beitrag vom Dezember 2007 zum Thema.
Was lernen wir daraus für den Umgang mit angeblichen Umfragen zum BSW?
Nach den Umfragen der jüngeren Vergangenheit konnte das BSW bei Umfragen zur Bundestagswahl bis zu 10 Prozent, bei Landtagswahlen zweistellige Werte erreichen. Diese Erwartungen wurden durch die tatsächlichen Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen mit 11,8 Prozent, Thüringen 15,8 Prozent und Brandenburg 13,5 Prozent gestützt.
Wäre ich Gegner des Bündnisses Sahra Wagenknecht und für die Strategie zum Umgang mit dem BSW verantwortlich, dann würde ich dem für meine politische Gruppierung arbeitenden Meinungsforschungsinstitut vorschlagen, Ergebnisse von Umfragen zu präsentieren, die das BSW in einer wackligen Position zeigen. Dies zu behaupten, ist angesichts der guten Ergebnisse bei den Landtagswahlen zwar schwierig, aber mit dem Hinweis auf die 6,2 Prozent bei der Europawahl und den Disput in Thüringen kann man ja eine Art Abstiegstrend insinuieren. Die Botschaft an die Wählerinnen und Wähler wäre: Verschenkt eure Stimme nicht an einen unsicheren Kantonisten. Und ich würde diese Behauptung mit neuen Umfrageergebnissen unterfüttern. Die Helfer für diese Strategie würde ich wie aktuell geschehen beispielsweise bei Forsa finden.
Dieses Institut hat schon geleistet, wie man an der oben wiedergegebenen Tabelle mit der Forsa-Umfrage vom 19. November sehen kann: Dort sind für das BSW 4 Prozent notiert – weit unterhalb der anderen Notizen zwischen 9 und 6 Prozent.
Der Wahlkampf gegen das BSW wird sich jedenfalls des von Forsa publizierten Umfrageergebnisses bedienen. Es wird gestreut werden, wer BSW wähle, verschenke seine Stimme. Wegen der 5-Prozent-Klausel werden 4 Prozent ja nicht mitgezählt.
Warum das BSW so eingebrochen sein soll, wie Forsa behauptet, ist schwer zu erklären. Gut, es gab Irritationen wegen Thüringen. Aber dass sich das bundesweit so stark auswirken soll, dass eine Partei, die in drei Bundesländern vor kurzem noch gute zweistellige Werte erreicht hat, jetzt nur noch unter 5 Prozent erzielen soll, ist nicht nachzuvollziehen. Da sind Machenschaften, wie geschildert durchaus nicht neuentdeckte Machenschaften, am Werk. So arbeitet man halt schon über ein halbes Jahrhundert lang mit Umfragen als Mittel der Meinungsmache.
Titelbild: stockwerk-fotodesign / Shutterstock
Zum Jahreswechsel bekommt jeder Versicherte eine elektronische Patientenakte aufgedrückt. Nur wer aktiv widerspricht, bleibt verschont und vielleicht unbehelligt. Dem großen Rest verspricht Bundesminister Lauterbach optimale Versorgung und medizinische Innovation, in einem Land, dessen Bevölkerung nicht mehr älter wird und welches das europaweit teuerste Gesundheitssystem beheimatet. Wohin das ganze Geld wohl wandert? Von Ralf Wurzbacher.
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Vor fünf Wochen erhielt Karl Lauterbach (SPD) den Big Brother Award in der Kategorie Gesundheit. Den alljährlich durch den Verein Digitalcourage verliehenen „Oskar für Datenkraken“ hat er sich mit dem von ihm mitverantworteten Europäischen Gesundheitsdatenraum – European Health Data Space (EHDS) – „verdient“ und dessen nationaler Umsetzung, dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Beide Regelwerke erleichtern die Erhebung, den Austausch und die Nutzbarkeit von Gesundheitsdaten für, wie es so schön heißt, „gemeinwohlorientierte Zwecke“.
Der noch amtierende Bundesgesundheitsminister blieb der Preisverleihung in Bielefeld fern und verpasste die „Laudatio“ durch Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise, früher Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein. Mit den neuen Gesetzen werde ein zentraler Grundsatz der Medizin in Frage gestellt, nämlich die „ärztliche Schweigepflicht“, befand er, und weiter: „Galt bisher, dass Behandlungsdaten grundsätzlich vertraulich zu behandeln sind, so gilt künftig, dass diese Daten Dritten grundsätzlich zur Verfügung gestellt werden können.“ Weichert zeigte sich desillusioniert. Er sei „lange ein Fan“ von Lauterbach gewesen, doch beim Thema Datenschutz knüpfe dieser „nicht nur voll bei seinem Vorgänger“ Jens Spahn (CDU) an, „er verschlimmert dessen verfassungswidrige Pläne zur sogenannten Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten sogar“.
Ladenhüter
Den Verfassungsbruch gibt es demnächst als Kassenleistung. Ein für Deutschland entscheidender Baustein im Rahmen der EU-Digitalisierungsstrategie ist die elektronische Patientenakte (ePA), die im kommenden Jahr „für alle“ eingerichtet werden soll. Was viele nicht wissen: Die ePA existiert bereits seit Januar 2021 auf freiwilliger Basis, also auf aktiven Antrag derer, die das Angebot nutzen wollen. Allerdings ist der Zuspruch statistisch kaum messbar, nach Angaben der Bundesärztekammer hat lediglich „ein Prozent aller“ rund 73 Millionen gesetzlich Versicherten zugegriffen. Was ein Datenhüter für die breite Masse werden sollte, ist bisher ein echter Ladenhüter. Warum wohl?
Die Macher in Politik, bei Verbänden und in den Reihen der Gesundheitsökonomie behaupten, der bürokratische Aufwand sei einfach zu groß gewesen. Deshalb wird das Prozedere jetzt „vereinfacht“, durch Umstellung auf das mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen (DigiG) implementierte Opt-out-Modell. Demnach wird für jeden eine ePA eingerichtet, es sei denn, der Betroffene widerspricht dem ausdrücklich. Der Dreh wird die Nutzerzahlen in die Höhe schießen lassen, der verbreitete Hang zur Bequemlichkeit wird es richten. Die Bundesregierung rechnet damit, dass im kommenden Jahr 80 Prozent der Versicherten in das System eingebunden sein werden.
Zum Glück zwingen
Ob sie davon auch profitieren, steht auf einem anderen Blatt. Die Verantwortlichen jedenfalls tun so, als bringe die ePA nichts als Vorteile und als wäre der Quasi-Automatismus zum Mitmachen das opportune Mittel, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Derzeit werden die Versicherten von ihren Kassen mehr oder weniger umfassend über die anstehenden Änderungen und darüber informiert, wie und zu welchem Grad sie eine Teilnahme ablehnen beziehungsweise begrenzen können. Zur Auswahl stehen mehrere Möglichkeiten: vom Komplettverzicht über bestimmte Zugriffs- und Einstellungsbeschränkungen bis hin zur Absage an eine Verwendung von Daten zu Forschungszwecken.
Hierin liegt die eigentliche „Revolution“ der Neuerung. Die in der ePA abgelegten Daten werden der Forschung zur Verfügung gestellt. Akteure, die sie nutzen wollen, stellen einen Antrag an das Forschungsdatenzentrum des Bundes (FDZ), wo sämtliche Informationen gesammelt und gespeichert werden. Dabei soll nicht nur die „unabhängige“ Wissenschaft, etwa in Gestalt der staatlich finanzierten Forschungsinstitute, Zugriff bekommen, sondern prinzipiell auch die kommerzielle Gesundheitswirtschaft, zum Beispiel die großen Pharmakonzerne. Selbstredend soll auch das nur zum Besten der Menschen geschehen, zugunsten der Entwicklung moderner Therapien und Medikamente oder zur Bekämpfung unheilbarer Krankheiten wie Krebs.
Technik könnte Leben retten
Wollte man all diese Aspekte in der Diktion von Datenschützer Weichert unter „Sekundärnutzung“ fassen – worin bestünde dann der „Primärnutzen“? Die Argumente der Befürworter wirken zunächst überzeugend: Sämtliche Daten, die bisher in einer Praxis, Klinik oder durch sonstige Gesundheitsdienstleister einzeln abgelegt wurden, werden künftig digital gebündelt, um sie bei Bedarf schnell und zielgerichtet abzurufen. Leistungserbringer wie Ärzte, Therapeuten und Apotheker gewinnen einen umfassenden Überblick über die Krankheitsgeschichte ihrer Patienten, um auf dieser Basis die beste Behandlung zu gewährleisten. Beispielsweise können so Mehrfachuntersuchungen vermieden oder in Notfallsituationen falsche Eingriffe verhindert werden. Wenn etwa ein Patient nicht ansprechbar ist, dringend ein Medikament benötigt, aber keine Auskunft über bestehende Arzneimittelallergien geben kann, genügt ein Blick in seine ePA, und der Notarzt bewahrt ihn und sich vor einer mithin fatalen Fehlentscheidung. Im äußersten Fall könnte die Patientenakte also durchaus Leben retten.
Solche und andere denkbare Vorzüge sind nicht von der Hand zu weisen. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass das System wirklich reibungslos funktioniert und alle für eine optimale Versorgung erforderlichen Informationen tatsächlich zusammenlaufen und bei Bedarf einsehbar sind. Das allein ist angesichts der technischen Herausforderungen längst nicht ausgemacht (dazu mehr weiter unten). Grenzen seiner Tauglichkeit ergeben sich indes schon aus den (noch) offerierten Entscheidungsfreiheiten der Nutzer, mit welchen Daten sie ihre Akte bestücken und wem sie über welchen Zeitraum Zugang dazu gewähren möchten. Tatsächlich sollen Versicherte die ePA über eine App auf dem Smartphone, Tablet oder PC eigenverantwortlich verwalten können. Zum Beispiel wäre es ihnen überlassen, nur einzelne Dokumente (Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen) oder bestimmte Bereiche wie Orthopädie oder Dermatologie freizugeben, sei es aus Sorge vor Diskriminierungen, zum Beispiel im Fall von Aids-Patienten, oder aus Scham, etwa bei Genitalerkrankungen.
Selbstbestimmung ade
Diese Eingriffsrechte bergen jedoch Gefahren dahingehend, dass Behandelnde aus der unvollständigen Akte die falschen Schlüsse ziehen und ihnen mitunter über Leben und Tod entscheidende Informationen verborgen bleiben. Damit könnte sich der beschworene Fortschritt durch die ePA ins exakte Gegenteil verkehren – zumal dann, wenn Mediziner künftig der ePA blind vertrauen und von bisher üblichen Verfahren zur Abklärung des Zustands ihrer Patienten (Aktenstudium, Absprache mit Kollegen) absehen. Letztlich könnte die ePA ihre Potenziale unter der Bedingung tatsächlich unabhängiger und einzig auf das Patientenwohl kaprizierter Leistungserbringer nur dann zur Entfaltung bringen, wenn sie uneingeschränkt alle Daten allen Behandelnden offenlegt – und medizinische Laien (und das sind die allermeisten) gefälligst die Finger davon lassen müssten.
Das hätte indes einen sehr hohen Preis, weil sich so die informationelle Selbstbestimmung der Versicherten komplett erledigen würde. Dagegen wahren die Verantwortlichen mit ihrem (fürs erste) gewählten Modell immerhin noch den Schein, die Menschen blieben irgendwie doch Herr über ihre persönlichen Daten. Das ist natürlich Augenwischerei. Es ist zunächst anzunehmen, dass die allerwenigsten von den individuellen Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen und stattdessen den Komplettzugriff gestatten werden. Die ganzen Modalitäten überhaupt zu begreifen, erfordert allerhand Geduld und Reflexionsvermögen, und beides geht heutzutage vielen Bürgern ab (vergleiche dazu den Leitfaden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung). Gerade in Fragen des Datenschutzes herrscht in der Bevölkerung eine verbreitete Indifferenz. „Wen interessiert‘s, mit welchen Wehwehchen ich mich herumärgere – außer meinen Arzt.“
„Gute“ und „schlechte“ Risiken
Irrtum! Gesundheitsdaten sind heiß begehrt, insbesondere bei Versicherern und in der Pharmaindustrie. Das Wissen darüber, welches Gesundheitsprofil, welche Dispositionen ein Mensch hat, um später vielleicht schwer zu erkranken oder langfristig gesund zu bleiben, entscheidet schon heute darüber, ob eine Assekuranz einen Kunden will oder nicht. Privatversicherungen wählen wie selbstverständlich zwischen „guten“ und „schlechten“ Risiken, wobei Erstere geringere, Letztere höhere Prämien zahlen müssen. Zumindest in Tendenzen gibt es das heute auch bei den gesetzlichen Krankenkassen, unter denen die Beiträge je nach Versichertenstruktur (mehr Junge, mehr Alte) erheblich variieren können.
Zwar sollen die Kassen als Anbieter der Akte selbst keinen Zugriff auf die persönlichen ePA-Daten erhalten. Allerdings liegen ihnen ohnehin umfangreiche Informationen in den Abrechnungsdaten vor. Und nach den Regularien des besagten Gesundheitsdatennutzungsgesetzes sind sie neuerdings berechtigt, „in gesetzlich geregelten Fällen (der risikoadaptierten Krebsfrüherkennung oder im Rahmen einer Überprüfung der Arzneimittelsicherheit) auch auf solche Risiken (für die Gesundheit des Versicherten) hinweisen zu können“. Diese Verarbeitung dürfe nur im Interesse der Betroffenen erfolgen und diene der Patientensicherheit, heißt es seitens des Lauterbach-Ministeriums. „Verarbeitet eine Krankenkasse Daten entgegen den gesetzlichen Vorschriften, droht dem Vorstand ein Bußgeld.“
Fünf Jahre Blackbox
Nur wie wäre das nachzuvollziehen? Der Informatiker und Jurist Martin Weigele hat sich den Gesetzesbeschluss genauer angesehen. Darin sei geregelt, dass erst in fünf Jahren „die Zugriffe und die versuchten Zugriffe auf personenbezogene Daten der versicherten Personen beziehbar protokolliert werden“, sagte er im Oktober gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), und weiter: „Dass man so was machen kann, ist absoluter Standard.“ Aber eben nicht bei der ePA. „Dass anonym irgendwelche Dinge jetzt abgefragt werden können, die in dieser Patientenakte gespeichert werden, und niemand nachvollziehen kann, wer auf diese Daten zugreifen kann bis zum Jahr 2030. Das finde ich schon einen ziemlichen Hammer.“ Wegen dieser und anderer offener Fragen rät Weigele dazu, der Einrichtung einer ePA grundsätzlich zu widersprechen.
Er ist nur einer unter vielen Kritikern. Sorgen bereitet diesen auch der Stand der Umsetzung. Die elektronische Patientenakte soll ab Mitte Januar 2025 in ausgewählten Modellregionen getestet werden, um sie dann im März bundesweit auszurollen. Bisher sei jedoch „keines der beiden ePA-Aktensysteme von IBM und RISE – dort, wo die Gesundheitsdaten der Versicherten liegen – von der gematik zugelassen“, schrieb vor zwölf Tagen das Onlineportal Heise. Eigentlich sollten schon Mitte Oktober die Vertrauenswürdige Ausführungsumgebung (VAU) und die beiden Aktensysteme für Tests zur Verfügung stehen.
Kollateralnutzen
Auch sonst lauert offenbar ein ganzes Rudel an Unwägbarkeiten. So können zum Beispiel Bilddaten in den Formaten JPG und PNG zunächst nicht in die ePA eingestellt werden. Am 15. Januar werde es – wenn überhaupt – nur „dunkelgrüne Schrumpelbananensoftware“ in den Praxen und Apotheken geben, zitierte Heise einen IT-Hersteller. Dabei hatten die Ärzte schon im Frühjahr genug Ärger mit der Umstellung auf das sogenannte E-Rezept. Die ePA biete noch viel mehr Möglichkeiten, Praxisabläufe zu behindern, befand das Portal und verwies auf Befürchtungen, mit der sogenannten Innovation drohe demnächst die „digitale Schriftenrolle“.
Aber wenn alles so schlecht läuft und vor allem beim Datenschutz so vieles im Argen liegt, warum zieht die Regierung dann nicht die Reißleine? Antwort: Weil die Profiteure des Projekts so mächtig sind und mit den Hufen scharren. Anders ausgedrückt: Der „Primärnutzen“ liegt bei den Pharmakonzernen und privaten Gesundheitsdienstleistern, wogegen mögliche Vorteile für die Patienten bestenfalls als „Kollateralnutzen“ zu betrachten sind. Die Möglichkeit, demnächst zu „Forschungszwecken“ an gewaltige Datensätze von mithin 70 Millionen Versicherten zu gelangen, öffnet bisher unbekannte Profitquellen. Und um medizinischen Fortschritt geht es dabei allenfalls als nette Begleiterscheinung.
„Nebenwirkung Tod“
Wer sich seine Illusionen über das Gesundheitssystem in den kapitalistischen Zentren dieser Welt nehmen lassen will, sollte das Buch „Nebenwirkung Tod“ des inzwischen verstorbenen John Virapen lesen. Der packte darin 2007 als Ex-Topmanager des US-Konzerns Eli Lilly über die Machenschaften seines früheren Arbeitgebers aus. Geschildert wird ein Räderwerk aus Bestechung und Korruption, mit dem Ärzteschaft, Versicherungen und Wissenschaft zu Geschäftszwecken eingespannt wurden. In Stichpunkten: Hochgefährliche Medikamente fanden auf den Markt, nachdem in klinischen Studien etliche Todesfälle zu beklagen, aber systematisch vertuscht worden waren. Trotz selbstmörderischer und amoklaufender Patienten wurden die fraglichen Präparate unter den zugedrückten Augen der Aufsichtsbehörden jahrelang weiter vertrieben. Vermeintlich innovative Produkte waren reine Zufallsfunde, weil sich in Studien Nebenwirkungen plötzlich als vermarktungsfähig herausstellten (Fettabbau). Schon existente Wirkstoffe wurden minimal – etwa durch Veränderung nur eines Moleküls und ohne jeden Zusatznutzen – aufgepeppt, um ein neues Patent zu ergattern, das jahrelang die Kasse klingeln ließ. Laut Virapen waren dies keine singulären Ausrutscher, sondern das gängige Geschäftsmodell der gesamten Branche. Diese streiche ihre Gewinne nicht damit ein, Menschen gesund zu machen, sondern sie krank zu machen und zu erhalten, lautete sein Fazit.
Die NachDenkSeiten hatten jüngst über Vorwürfe gegen Eli Lilly berichtet, das Unternehmen habe sich seine Entscheidung zur Ansiedlung im rheinland-pfälzischen Alzey durch ein Gesetz der Ampelregierung vergelten lassen, das ihm das Geldverdienen leichter macht. Das würde ins Bild passen. Nach Angaben der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verschlingt das deutsche Gesundheitssystem mit Pro-Kopf-Ausgaben von 5.300 Euro und damit 50 Prozent über dem EU-Schnitt europaweit das meiste Geld. Zugleich ist die Lebenserwartung seiner Bevölkerung mit im Mittel 81,2 Jahren erstmals unter das EU-Mittel gerutscht. Daraus lässt sich schließen: Die Ausgaben landen über das übliche Maß hinaus als Profite bei Klinikkonzernen, Pharmaunternehmen und sonstigen Gesundheitsdienstleistern, ohne jeden Mehrwert für die Volksgesundheit – im Gegenteil.
Gruß von der Dystopie
Trotzdem braucht die Republik angeblich noch mehr Innovation und bekommt sie prompt, dank ePA. Bei der geballten Lobbymacht der Industrie nimmt es auch nicht wunder, wenn die beim FDZ lagernden Datenschätze ziemlich lausig gesichert werden. Die künftig zu Forschungszwecken vergebenen Daten sollen laut Gesetz lediglich pseudonymisiert und nicht anonymisiert werden. Fachleute beklagen, damit ließen sich die Informationen mit bloß geringem Aufwand der zugehörigen Einzelperson zuordnen. Außerdem müssen die Empfänger den Nachweis, wie und wofür sie die Daten verwendet haben, erst nach zwei Jahren nachliefern. Für den Fall eines Datenmissbrauchs droht der Gesetzgeber mit dem Wurf von Wattebällchen: Dann wäre ein Nutzungsverbot von maximal zwei Jahren fällig.
Die Risiken seien beträchtlich, warnte Datenschützer Weichert in seiner „Lobrede“ auf Lauterbach. Die Daten könnten in die Hände von Adresshändlern gelangen und die Krankenkassen versucht sein, Patienten hinter dem Rücken ihrer Ärzte zu günstigeren Therapien zu überreden. Man könne den Bogen auch „ins Dystopische“ spannen: „Wer kann künftig ausschließen, dass Versicherungsunternehmen oder Arbeitgeber aus solchen Daten ablesen, wer zum Beispiel wegen einer Depression behandelt wurde oder einen spezifischen Gendefekt hat?“ Zudem käme die Infrastruktur für die Datenbereitstellung vom Staat, „die Profite kommen der Industrie zugute“. Die Betroffenen würden „weder informiert, geschweige denn gefragt“.
Zum Abschluss grüßte Weichert den Abwesenden mit einem Zwinkern: „Herzlichen Glückwunsch, Gesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach.“ Man möchte hinzufügen: „Und bleiben Sie gesund!“
Titelbild: Nan_Got/shutterstock.com
Washington hat dem ukrainischen Militär die Erlaubnis erteilt, Langstreckenraketen auf Ziele tief im russischen Staatsgebiet abzuschießen. Die Entscheidung kommt wenig überraschend, nachdem das Pentagon im Sommer die Eskalation auf eine neue Stufe gehoben hat, indem es ankündigte, ab 2026, also nach den 1980er-Jahren, wieder Raketen unter US-Kommando in Deutschland zu stationieren, die tief in Russland einschlagen können. Beide Entscheidungen bedrohen die Sicherheit Europas und bringen die Aussicht auf einen Atomkrieg näher. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, warum es heute in Europa keinen ähnlichen Protest wie gegen die Stationierung der Pershings gibt. Ein Beitrag von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.
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Joe Biden hat der Ukraine die Erlaubnis erteilt, unter bestimmten Einschränkungen eine US-Langstreckenwaffe, das ATACMS-Raketensystem, auf russischem Territorium einzusetzen. Wie die New York Times berichtet, hat der US-Präsident diesen gefährlichen Schritt angesichts der Präsenz nordkoreanischer Truppen in Russland in der Region Kursk unternommen. Biden soll die Stationierung von ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von rund 300 Kilometern in dem Gebiet damit gerechtfertigt haben, dass die ukrainischen Streitkräfte sich auf russischem Boden verteidigen können und gleichzeitig eine Botschaft an das nordkoreanische Regime senden, keine weiteren Truppen zu entsenden. Darüber hinaus war die Entscheidung der USA vermutlich auch dadurch motiviert, den Ukrainern bei künftigen russisch-ukrainischen Friedensgesprächen eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen.
Bisher war die Regierung Biden strikt dagegen, dass die Ukraine russisches Territorium mit ihrem ATACMS-Überschallraketensystem angreift.
Die Ukraine bemüht sich seit Monaten um eine Genehmigung für den Einsatz der Raketen, mit dem Argument, dass die Waffe es ihr ermöglichen würde, „Ziele zu beschädigen, die die Kriegsmaschinerie des Kremls schwächen könnten“. Anfang dieses Jahres bat Kiew Washington, der Ukraine ATACMS-Raketensysteme zur Verfügung zu stellen, und im August darum, dass die ukrainischen Streitkräfte diese in Kursk einsetzen können. Wolodymyr Selenskyj kann also behaupten, dass einer der Punkte seines sogenannten Siegesplans erfüllt wurde. Das könnte für eine Weile verhindern, dass die Moral der ukrainischen Armee weiter geschwächt wird, und der Schritt der USA könnte die Briten und Franzosen sowie im Falle eines Wahlsieges der CDU auch die Deutschen zu einer ähnlichen Entscheidung veranlassen. Zwei Monate vor dem Abgang Joe Bidens und dem Amtsantritt des designierten US-Präsidenten Donald Trump, der damit gedroht hat, die Hilfe für die Ukraine zu kürzen, markiert die Entscheidung einen wichtigen Wandel in der Haltung der USA.
Der Schritt Bidens wurde gerade wegen Trumps Sieg erwartet. Der scheidende Präsident ist an nichts mehr gebunden, und wenn nicht zu seinen Vorstellungen, so passt sie doch in das Narrativ derer, die hinter ihm stehen. Außerdem kann er möglicherweise eine Situation schaffen, die bei einer überhaupt nicht auszuschließenden Eskalation den Handlungsspielraum des Nachfolgers einengt und es schwieriger macht, den Konflikt einzufrieren und einen Waffenstillstand mit starken Kompromissen für die Ukraine zu vereinbaren.
Doch die Entscheidung ist nach Ansicht vieler Experten nicht ohne Präzedenzfall. Wie Anatol Lieven in einem Beitrag darlegt, wurde sie im Wesentlichen dadurch ausgelöst, dass Deutschland zum ersten Mal seit den 1980er-Jahren zugestimmt hat, dass Washington ab 2026 drei Typen von US-Raketen auf seinem Territorium unter US-Kommando stationieren darf: den Marschflugkörper Tomahawk Block 4 mit einer Reichweite von etwas mehr als 1.000 Meilen (ca. 1.600 Kilometer), die Standard Missile-6 (SM-6) mit einer Reichweite von 370 Kilometern, die vor allem der Luftverteidigung dient, und die noch in der Entwicklung befindliche Long-Range Hypersonic Weapon LRHP (auch „Dark Eagle“ genannt) mit einer Reichweite von mehr als 2.900 Kilometern. Zwei dieser Raketen werden in der Lage sein, tief in Russland einzudringen und Moskau zu treffen.
Die Stationierung von Tomahawks und LRHP verstößt gegen den INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces) von 1987, der die Stationierung von bodengestützten Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.000 Kilometern verbietet.
Die Trump-Administration ist jedoch 2019 aus dem INF-Vertrag ausgetreten, und Russland hat daraufhin seine Einhaltung ausgesetzt. Die Regierung Biden hat keinen Versuch unternommen, über eine Rückkehr zu diesem Vertrag zu verhandeln. Sowohl die Trump- als auch die Obama-Administration haben behauptet, dass Russlands ballistische SRBM-Rakete Iskander (nuklearfähig, aber nicht nuklear bestückt) mit einer angeblichen Reichweite von weniger als 500 Kilometern (innerhalb der Grenzen des INF-Vertrags), die in Kaliningrad stationiert ist (ein isoliertes Gebiet in der Ostsee, angrenzend an Polen und Litauen, 526 Kilometer von Berlin entfernt), in Wirklichkeit eine größere Reichweite hat und somit gegen den Vertrag verstößt.
Es ist außerdem nicht ausgeschlossen, dass die Stationierung der Tomahawks von Washington für ein zukünftiges Abkommen mit Russland wie bei den Pershings vorgesehen ist, aber in der Zwischenzeit schaffen sie erhebliche Unsicherheit.
Der einzige erklärbare Zweck der Stationierung von Tomahawk-Raketen in Deutschland ist laut Lieven das Angebot, diese im Rahmen eines neuen Abkommens mit Russland zur Reduzierung der Atomwaffen wieder abzugeben. Dies war auch das einzige positive Ergebnis der Stationierung von Pershing-II-Raketen in Westdeutschland in den 1980er-Jahren. Die Entscheidung über die Stationierung der Pershings im Jahr 1979 war nämlich von der Ankündigung begleitet, dass ein Abkommen ausgehandelt werden würde. Die jetzige Entscheidung wurde nicht von einer solchen Erklärung begleitet, und die gesamte Entwicklung der Rüstungskontrollvereinbarungen in den letzten zehn Jahren ging in die entgegengesetzte Richtung, hin zu einem unkontrollierten Wettrüsten. Die Vereinigten Staaten haben die Vereinbarungen zur Gewährleistung der strategischen Stabilität aufgekündigt, was die Sicherheit Europas auf erkennbare Weise geschwächt hat.
Wenn man dann noch bedenkt, dass vor den Toren Europas Krieg herrscht und Washington unter diesen Umständen zulässt, dass tief liegendes russisches Territorium von US-Langstreckenraketen angegriffen wird, dann gibt es Grund zur Sorge. Die US-Amerikaner brauchen sich natürlich keine Sorgen über eine mögliche Eskalation der Situation zu machen, da russische Mittelstreckenraketen zwar Deutschland, nicht aber die Vereinigten Staaten treffen könnten. In solchen Situationen – oder besser gesagt, um sie zu verhindern – wäre die strategische Autonomie Europas vonnöten. Es scheint jedoch, dass die gegenwärtigen europäischen Eliten höchstens darüber reden. Straßenproteste oder der Rückgang der Popularität könnte die Politiker dazu zwingen, diese Autonomie herbeizuführen.
Dieser Beitrag ist zuerst im ungarischen Original auf Moszkvater erschienen.
Titelbild: Shutterstock / Mike Mareen
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Letzte Woche fand in Lissabon der Web Summit (WS), eine alljährliche Technologie-Konferenz statt, intern auch als „Davos der Tech-Branche“ benannt, mit über 70.000 Teilnehmern aus 160 Ländern. Am Rande kam es auf Initiative eines der Mitgründer von WS zu einer denkwürdigen Zusammenkunft. Rund 15 hochrangige Vertreter von internationalen Leitmedien aus den USA, England und Deutschland trafen auf Journalisten von „Alternativmedien“, um über das Thema „Desinformation“ und „Faktencheck“ zu diskutieren. Die NachDenkSeiten waren als einziges deutsches „Alternativ“-Medium eingeladen. Die Diskussion verlief zwischen produktiv und hitzig, angespannt. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Einleitende Anmerkung zum Verständnis über die Art der folgenden Berichterstattung: Die zwei aufeinanderfolgenden Paneldiskussionen zwischen Vertretern von Leit- und Alternativmedien im Rahmen des Web Summit in Lissabon, über die im weiteren Verlauf dieses Artikels berichtet wird, fanden unter der sogenannten „Chatham House Rule“ (Chatham-Haus-Regel) statt, die die Weitergabe von Inhalten vertraulicher Gespräche an Dritte regelt. Diese Regel lautet: „Bei Veranstaltungen, die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen.“ Es kann also nur in der Art, wie etwa auch über Bilderberg-Treffen geschrieben wird, bei dem übrigens auch die Chatham-Haus-Regel gilt, darüber berichtet werden.
Am Rande des Web Summits …
Im Rahmen des Web Summit in Lissabon, bei dem in diesem Jahr auch die Whistleblowerin Chelsea Manning zu Gast war, trafen bekannte Journalisten aus dem Feld der Mainstream-Presse und Vertreter von Alternativmedien in der portugiesischen Hauptstadt zusammen. In zwei aufeinanderfolgenden Diskussionsrunden wurden die derzeit wohl heikelsten Themen der modernen Medienwelt diskutiert. Die vorgegebenen Titel der beiden nichtöffentlichen Zusammenkünfte lauteten:
Etwas Kontext …
Das Treffen fand vor dem Hintergrund der Kontroversen um den Mitbegründer des Web Summit, den irischen CEO Paddy Cosgrave, statt, der erst kürzlich in seine Funktion als Vorstandsvorsitzender des WS zurückgekehrt war, nachdem er 2023 nach kritischen Äußerungen über Israels Vorgehen in Gaza zurücktreten musste. Zuvor hatten sich aus Protest gegen dessen Äußerungen große Technologiekonzerne wie Intel, Siemens, Google, Amazon und Meta vom WS 2023 zurückgezogen, ebenso hatte Robert Habeck damals seinen geplanten Besuch der Konferenz abgesagt. Cosgraves Rückkehr auf die Bühne und Leitung der Tech-Konferenz wurde von den genannten Tech-Vertretern in diesem Jahr sehr genau unter die Lupe genommen.
Der Auslöser für seinen kurzfristig erzwungenen Rücktritt 2023 war übrigens dieser Tweet:
„Ich bin schockiert über die Rhetorik und die Handlungen so vieler westlicher Staats- und Regierungschefs, mit Ausnahme insbesondere der irischen Regierung, die ausnahmsweise einmal das Richtige tut. Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen, auch wenn sie von Verbündeten begangen werden, und sie sollten als das bezeichnet werden, was sie sind.“
I’m shocked at the rhetoric and actions of so many Western leaders & governments, with the exception in particular of Ireland’s government, who for once are doing the right thing. War crimes are war crimes even when committed by allies, and should be called out for what they are.
— Paddy Cosgrave (@paddycosgrave) October 13, 2023
Es war diese am eigenen Leib erlebte Cancel-Erfahrung, die den irischen CEO dazu motivierte, Medienvertreter aus unterschiedlichen Lagern im Rahmen des Web Summit zusammenzubringen. Ein in diesen Zeiten wohl relativ einmaliges Format, welches allerdings auf beiden Seiten durch Journalisten aus den USA und England dominiert wurde, ergänzt um drei deutsche Journalisten. Vertreter aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder auch Süd- und Osteuropa fehlten völlig.
Let’s start …
Ein hochrangiger Vertreter einer deutschen Rundfunkanstalt erklärte gleich bei seinem Eingangsstatement nach der allgemeinen Vorstellungsrunde, dass man hier ja unter Westlern sei und die eigentlichen Probleme der Pressefreiheit eher in autoritären Staaten wie Russland und China zu suchen seien. Als konkretes Beispiel verwies die Person dann darauf, dass ja etwa der deutsche Auslandssender Deutsche Welle (DW) im Februar 2022 vom Kreml mit einem Sendeverbot belegt worden sei. Darauf folgte die Nachfrage, ob es nicht etwas widersprüchlich sei, die Schließung der DW zu beklagen, aber gleichzeitig nicht zu erwähnen, dass diesem Schritt das Verbot von RT in Deutschland vorausgegangen war und ob dieses Verbot wiederum gutgeheißen würde. Die Erwiderung lautete, man habe die Schließung von RT in Deutschland nicht befürwortet und sich eine andere Lösung erhofft. Diese Haltung hätte man auch so kommuniziert.
Daran schloss sich unmittelbar ein weiterer Diskussionspunkt an, eingeleitet durch die Frage, wieso die sogenannten Faktenchecks die Tendenz hätten, „immer nur nach unten zu treten“. Gemeint war damit, dass Faktenchecks sich beinahe ausnahmslos nur gegen viral gegangene X-Tweets von privaten Nutzern oder Veröffentlichungen kleinerer Online-Portale richten, aber so gut wie kein Fall bekannt ist, in dem sich private Faktenchecker oder staatlich finanzierte (im deutschen Fall z.B. Correctiv und DW) mit Veröffentlichungen großer Medienhäuser oder Nachrichtenagenturen auseinandersetzen würden. Als konkretes Beispiel wurde angesprochen, dass etwa ein aktueller Faktencheck der DW („Faktencheck: Verstößt NATO-Präsenz gegen 2+4-Vertrag?“) die Darstellung eines viralen Tweets, dass es sich bei dem neuen maritim-taktischen Hauptquartier in Rostock um ein NATO-Hauptquartier handeln würde, als „falsch“ bezeichnet, aber die identische Betitelung bei Tagesschau, SPIEGEL, dem eigenen polnischen DW-Ableger und fast allen anderen Leitmedien völlig unangetastet ließ.
Hier wurde zunächst von den Leitmedien-Vertretern immer wieder betont, man hätte keine Agenda (ein Vorwurf, der zu diesem Zeitpunkt gar nicht erhoben worden war), um im späteren Verlauf aber durchaus einzugestehen, dass das Ausklammern der großen Medienhäuser tatsächlich ein relevanter Kritikpunkt bei der Natur der derzeitigen Faktenchecks sei. Dabei kam in der weiteren Diskussion heraus, dass es bei der Faktencheck-Produktion eine relevante Rolle spielt, ob die entsprechende Faktenprüfung auch gut geklickt wird, und erfahrungsgemäß die Deklarierung als „falsch“ klicktechnisch vielversprechender sei als abwägende Bewertungen wie „teilweise…“, „fehlender Kontext“ oder gar „richtig“. Dies, das wurde durchaus selbstkritisch eingeräumt, könne zu einem gewissen „bias“ bei der Vorauswahl der zu faktcheckenden Themen führen. Ein Teilnehmer mit Sitz in London brachte den Aspekt in die Diskussion ein, dass ausgerechnet bei Faktenchecks oft die jüngsten, unerfahrensten und am schlechtesten bezahlten Journalisten der Redaktionen zum Einsatz kommen. Diese Beobachtung wurde länderübergreifend bestätigt. Vor diesem Hintergrund sei noch erwähnt, dass die Fauxpas des ARD-Faktenfinders Pascal Siggelkow (man denke etwa an seine legendäre Falschübersetzung „Sprengstoff in Pflanzenform“) auch schon bei den anglo-amerikanischen Kollegen die Runde gemacht hatten und für entsprechende Lacher und Kopfschütteln sorgten.
Es wird hitzig …
Bis zu diesem Punkt war die Diskussion leidenschaftlich, aber durchaus produktiv verlaufen.
Dies sollte sich ändern, sobald der Begriff „Zensur“ in die Debatte eingebracht wurde und die Teilnehmer über die Rolle von Plattformen bei der Kontrolle von Berichterstattung debattierten. Uneinigkeit herrschte insbesondere über die Bewertung der Twitter-Files, einer Reihe interner Mitteilungen, die Ende 2022 nach der Übernahme durch Elon Musk veröffentlicht worden waren. Einige Teilnehmer argumentierten, dass die Dateien Beweise für eine systemische Zensur lieferten, die von staatlichen und unternehmerischen Interessen beeinflusst sei. Ein Teilnehmer bezeichnete dies als „Zensur-Industrie-Komplex“. Andere taten die Twitter-Dateien wiederum als „nichts“ („nothing burger“) ab und deuteten an, dass die Enthüllungen übertrieben seien und es an stichhaltigen Beweisen für ein wirkliches Fehlverhalten oder gar Zensur fehle. Die Debatte offenbarte eine tiefe Kluft in der Frage, wie solche Enthüllungen zu interpretieren seien und inwieweit private Unternehmen für die Moderation und Unterdrückung von Inhalten zur Rechenschaft gezogen werden sollten.
Die Diskussion wurde interessanterweise besonders hitzig und kontrovers geführt, als es um die Frage ging, ob Journalisten Informationen von Regierungen oder suprastaatlichen Institutionen wie etwa der WHO unhinterfragt übernehmen sollten oder ob auch diese im Interesse der Transparenz hinterfragt werden sollten. Die aufschlussreiche Antwort eines Leitmedien-Vertreters: Er hätte für einen Faktencheck zwei oder drei Stunden Zeit, es sei völlig illusorisch und nicht zielführend, in so einem Rahmen auch noch anzufangen, Berichte oder Statistiken der WHO oder des Gesundheitsministeriums zu hinterfragen, dies seien schließlich „good faith institutions“ (dies kann man am ehesten noch mit „vertrauenswürdige Institutionen“ übersetzen). Danach verließ besagte Person mit hochrotem Kopf die Diskussion.
Es kam auch zu einem Disput darüber, wie mit den Äußerungen von Donald Trump umgegangen werden sollte. Ein Teilnehmer fragte, wie die Medien über eine Person berichten sollten, deren Aussagen häufig die traditionellen Standards der Berichterstattung infrage stellen. Während einige dafür plädierten, Trumps Behauptungen rigoros auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, warnten andere davor, dass die Konzentration auf jedes seiner Worte das Risiko berge, Fehlinformationen zu verstärken.
Ein freier Journalist verwies im weiteren Verlauf auf das kanadische Notstandsgesetz, das während der Trucker-Proteste in Ottawa im Jahr 2022 zur Sperrung von Bankkonten führte, als Beispiel für die Macht des Staates, Narrative zu beeinflussen oder zu unterdrücken, wobei Medien und Social-Media-Plattformen laut diesem eine unrühmliche und staatstragende Rolle bei der Einhegung der damaligen Truckerproteste gepielt hätten.
Auf der anderen Seite argumentierte ein in New York ansässiger Tech-Redakteur, dass solche Kritiken Gefahr liefen, den Grad an Koordinierung in Redaktionen überzubewerten, und wies darauf hin, dass Mainstream-Medien, selbst bei sich überschneidenden Ansichten, aus einer Vielzahl von Motiven heraus agieren und daher nie eine „gemeinsame Agenda“ vertreten könnten. Dem widersprachen andere Teilnehmer mit Verweis auf die sehr einseitige Berichterstattung im Themenkontext der Corona-Krise. Ein weiterer Leitmedien-Vertreter wies den Vorwurf der medialen Einseitigkeit zu Themen um Covid-19 zunächst vehement zurück, nur um dann kurz danach einzuräumen, dass seine Kinder ihn regelmäßig befragt und kritisiert hätten, wieso sein Sender so einseitig berichte und nur gewisse Experten zu Wort kommen ließe. Er habe diesen Vorwurf gegenüber seinen Kindern immer vehement bestritten, müsse aber in der Rückschau „vielleicht“ doch einräumen, dass es vereinzelt zu solchen Tendenzen gekommen sei.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich dieser Ansatz, rund je ein Dutzend Journalisten von alternativen und Mainstream-Medien, und in beiden Fällen auch in einer breiten politischen Streuung (von klassisch links, über linksliberal bis rechtskonservativ) in einem offenen Diskussionsformat zusammenzubringen, ausgezahlt und auf beiden Seiten Vorbehalte und Blasenbildung aufgebrochen hat.
Wie wichtig und für die Erneuerung der Medien unabdingbar dieser Versuch des Aufbrechens der Blasen ist, wurde einem gleich im Anschluss an die Diskussion vor Augen geführt. Denn unmittelbar im Anschluss an die geschilderte Diskussion gab es eine öffentliche Veranstaltung auf dem Web Summit, in welcher der NPR-Redakteur Bobby Allyn die zwei New-York-Times-Reporter Kate Conger und Ryan Mac zum Thema „Hat Elon Musk Twitter zerstört?“ befragte. Das war für die Zuhörer ungefähr so erkenntnisreich, als wenn DLF-Moderator Christian Schmitt die Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo und Margarete Stokowski zu deren Haltung zu Donald Trump befragt hätte.
Titelbild: Web Summit
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Am 13. November 2024 verurteilte ein Schiedsgericht „unter den Regeln der Internationalen Handelskammer“[1] – wie es auf der Homepage des österreichischen Energiekonzerns OMV heißt – den russischen Gasriesen Gazprom zu einer Geldstrafe von 230 Millionen Euro plus Zinsen. Noch am selben Tag verkündete der Vorstand der OMV, diese Summe mit aktuell offenen Forderungen verrechnen zu wollen. Für Gazprom kommt dies nicht in Frage, weshalb der russische Konzern am 16. November die Gaslieferung an die OMV einstellte. Von Hannes Hofbauer.
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Was von Weitem so aussieht wie ein ganz normaler Gerichtsstreit unter kapitalstarken Konzernen, ist tatsächlich Ausfluss einer langfristig vorbereiteten Provokation des größten österreichischen, teilverstaatlichten Betriebes gegen Russland. Auf diese Weise will Wien einen bis 2040 gültigen Liefer- und Abnahmevertrag für russisches Erdgas nach Österreich und eine 57-jährige Energiepartnerschaft zwischen den beiden Ländern beenden. Die OMV-Klage vor dem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer war mutwillig geplant und selbstbeschädigend ausgeführt.
SMV seit 1945, Sowjetgas seit 1968
Im Jahr 1968 schloss Österreich als erster westlicher Staat einen Erdgasliefervertrag mit der Sowjetunion ab. Als Drehscheibe dafür diente die Lagerstätte Baumgarten an der March. Der direkt an der slowakischen Grenze gelegene Ort eignete sich besonders dafür, weil in der Gegend schon zuvor Erdöl und Erdgas – freilich in weit geringerem Umfang – gefördert wurden. Von Baumgarten baute man 1974 Leitungen nach Italien, 1980 in die Bundesrepublik Deutschland und 1996 nach Ungarn.
Die österreichisch-sowjetische Energiepartnerschaft reicht indes noch viel weiter in die Vergangenheit zurück. Nach 1945 übernahm Moskau entsprechend der Potsdamer Verträge, wonach deutsches Eigentum zwecks Reparationen beschlagnahmt werden durfte, kleine Energieförderstellen in Ostösterreich und baute diese zu einem Großbetrieb unter dem Namen Sowjetische Mineralölverwaltung (SMV) aus. Nach dem Abzug der alliierten Truppen ging der Betrieb in die Hände der verstaatlichten Industrie über und wurde zur Österreichischen Mineralölverwaltung. Aus der SMV wurde die OMV. Diese ist auch heute noch im teilstaatlichen Besitz: 31,5 Prozent an der Aktiengesellschaft werden vom Staat Österreich gehalten, 24,9 Prozent vom Scheichtum Abu Dhabi.
Anfang Juni 2018 unterzeichneten Gazprom-Chef Alexej Miller und OMV-Chef Rainer Seele zum 50. Jahrestag der sowjetisch/russisch-österreichischen Energiepartnerschaft eine Verlängerung des seit 1968 bestehenden Gasliefervertrages. Im Beisein von Russlands Präsident Wladimir Putin und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz gestaltete sich die schlichte Zeremonie der Unterschriftsleistung als Festakt. Die neue Vereinbarung, die neben der Lieferverpflichtung auch eine Abnahmeverpflichtung enthielt, gilt bis zum Jahr 2040, was beiden Partnern eine langfristige Planungssicherheit garantierte. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es Querschüsse aus EU-Kreisen gegen die Vertragsverlängerung, befand man sich doch in Brüssel bereits seit 2014 in einem kleinen Wirtschaftskrieg mit Russland. EU-Mitgliedsstaaten war es verboten, Erdöl- und Erdgasfördertechnologien nach Russland zu exportieren, der Rohstoff selbst war allerdings von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen noch nicht betroffen.
Mit dem großen Wirtschaftskrieg gegen Russland, den die USA und die EU nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine vom Zaun gebrochen haben, geriet auch der österreichisch-russische Gasvertrag zunehmend unter Druck. Als Erstes bekam dies OMV-Chef Rainer Seele zu spüren. Der aus Deutschland stammende Manager ist für seinen Pragmatismus bekannt und wehrte sich immer wieder gegen moralisch aufgeladene antirussische Politikerstimmen. Als Präsident der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer stand er für einen fortgesetzten wirtschaftlichen Austausch zwischen Ost und West.
Gleichzeitig mit seinem Vertragsende als OMV-Chef sprach ihm die Jahreshauptversammlung des Konzerns im Jahr 2022 mehrheitlich das Misstrauen aus. Die Vertreter des Staates und die Aktionäre aus Abu Dhabi weigerten sich in einem international absolut unüblichen Vorgang, ihren Konzernchef zu entlasten. Damit schlossen sie sich der Empfehlung der „International Shareholder Services“ – einer Stimmrechtsberatergesellschaft (was es nicht alles gibt auf dieser Welt) – an. Der Vorwurf lautete auf Missachtung von Compliance-Regeln, genannt wurde z.B. ein Sponsorenvertrag mit dem russischen Fußballclub Zenit Sankt Petersburg. Doch im Visier standen vor allem die Lieferverträge mit Gazprom. Nach einem Jahr heftigsten Gerangels sprach die nächste OMV-Hauptversammlung dem bereits ausgeschiedenen Rainer Seele im Juni 2023 nachträglich doch noch das Vertrauen aus und entlastete ihn.
Österreich bezog zuletzt 85 Prozent seines Gases aus Russland.
Koste es, was es wolle: Raus aus russischem Gas
Der antirussische Kampf verlagerte sich in der Folge auf die Gerichtssäle – oder genauer: auf diverse internationale Schiedsgerichte. Im Januar 2023 reichte die OMV bei einem Schiedsgericht in Stockholm Klage gegen Gazprom ein, weil der russische Konzern seine Gasliefermengen nach Deutschland gedrosselt und kurzfristig eingestellt hatte. Österreich war zu keinem Zeitpunkt davon betroffen. Der Streitwert belief sich auf 575 Millionen Euro. Im April 2024 konnte Gazprom mittels eines Schiedsgerichts in Sankt Petersburg diese Klage erfolgreich zurückweisen. Die Lieferschwierigkeiten, so der russische Konzern, hätten mit der Sanktionspolitik der Europäischen Union zu tun und können Gazprom nicht angelastet werden.
Tatsächlich hatte Brüssel Ende Februar 2022 als Reaktion auf den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine mit einem Rundumschlag gegen die russische Wirtschaft gleich mehrere Sanktionspakete geschnürt, unter anderem das Einfrieren von 300 Milliarden US-Dollar an russischen Zentralbankgeldern und den Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System. Bereits zuvor hatte die deutsche Bundesregierung die Inbetriebnahme der fertiggestellten Nord-Stream-2-Pipeline mit bürokratischen Manövern verhindert. Russland sah sich wirtschaftlich an die Wand gedrängt und meldete seinerseits – um den Druck auf Deutschland und die EU zu erhöhen – Schwierigkeiten beim Transport von Gas durch Nord Stream 1. Ein – echter oder fingierter? – Turbinenschaden führte dazu, dass nur mehr 60 Prozent des vertraglich vereinbarten Gases in Deutschland ankamen, später waren es nur noch 40 Prozent. Die Reparatur der Siemens-Turbine konnte nur am Standort in Kanada durchgeführt werden, was dazu führte, dass Ottawa nach erfolgter Reparatur die Ausfuhr nach Russland verweigerte – Turbinen standen auf der kanadischen Sanktionsliste. Nachdem der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Sonderausfuhrgenehmigung erstritten hatte, ließen die russischen Zollpapiere auf sich warten. Auf diese Art und Weise ging der Kampf um russische Energie für Deutschland noch bis zum 26. September 2022, als eine Marine-Einheit – mutmaßlich aus den USA – mit der Sprengung von drei der vier Nord-Stream-Röhren der deutsch-russischen Energiepartnerschaft ein Ende setzte.
Am 13. November 2024 sprach ein Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer der OMV 230 Millionen Euro plus Zinsen als Schadensersatz für die erlittenen Ausfälle am deutschen Gasmarkt im Jahr 2022 zu. Das ist zum einen bemerkenswert, weil zu diesem Zeitpunkt die Sanktionsmaschine gegen Russland voll angelaufen war und sich dieses Schiedsgericht dessen freilich bewusst war, den „Fall“ jedoch so behandelte, als wäre er in wirtschaftlichen Friedenszeiten erfolgt. Zum anderen betrifft der Lieferausfall in Deutschland den österreichischen Markt in keiner Weise; und auch der langjährige, bis 2040 laufende Liefervertrag ist davon nicht tangiert. Umso unverständlicher ist es, dass die Chefetage der OMV am Tag nach dem Urteilsspruch des Schiedsgerichts verkündete, die 230 Millionen Euro mit zukünftigen Gaslieferungen nach Österreich verrechnen zu wollen. Dieses Vorgehen wird nur dann verständlich, wenn man es bewusst darauf angelegt hat, die österreichisch-russische Energiepartnerschaft auf diese Weise zu torpedieren. Und genau das ist die Rationalität hinter dem provokativen Vorgehen der neuen OMV-Riege und der hinter ihr stehenden Regierung als Eigentümervertreterin.
Drei Tage später, am 16. November 2024, stellte Gazprom die Gaslieferung an die OMV ein. Damit hat Letztere ein Argument in der Hand, dass Russland den bis 2040 geltenden Vertrag gebrochen hätte, was wohl der Sinn der ganzen Klageflut gewesen ist.
Die OMV setzt in Zukunft – ihrer eigenen Philosophie, möglichst nachhaltig und CO2-arm wirtschaften zu wollen, widersprechend – auf LNG-Gas aus den USA. Dieses soll über italienische Häfen die Alpen hinaufgepumpt werden, um dann wieder östlich von Wien in den Speicher Baumgarten zu fließen. Auch ist die Rede davon, dass sich bereits Zwischenhändler finden, die russisches Gas – als aserbaidschanisches umetikettiert – über die seit 1968 bestehende Pipeline nach Österreich bringen. Derzeit rechnen Kalkulanten für das kommende Jahr mit Preiserhöhungen von 20 Prozent, was von Politik und OMV zur Kenntnis genommen wird. Das muss einem, so ihr Tenor, der Kampf gegen Russland schon wert sein.
Titelbild: Photofex_AUT/shutterstock.com
Von Hannes Hofbauer ist zuletzt erschienen: Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland (Promedia Verlag)
[«1] Die „Internationale Handelskammer“ ist eine nichtstaatliche Organisation mit Sitz in Paris, die nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde.
Eins muss man den Grünen lassen – sie können Marketing. Waren Grünen-Parteitage früher für ihre bisweilen harten inhaltlichen Auseinandersetzungen verrufen, so war der jüngste Parteitag an diesem Wochenende zugegebenermaßen schon recht perfekt inszeniert. Die Transformation der Grünen zur modernen Habeck-Partei ist vollzogen, die Inhalte überwunden. Wir wohnten einer Krönungsmesse bei; einer Verkaufsveranstaltung, nur dass es hier nicht um ein neues Schneeballsystem für Finanzberater ging, das sonst auf derartigen Events präsentiert wird, sondern um den großen Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck, Robert I., der Grüne, der nun seinen Anhängern als „papabile“ für das Kanzleramt gilt. Offenbar sind die Grünen nun vollends ihrem Größenwahn erlegen. Von Jens Berger.
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Viele Menschen haben ein perverses Hobby. Meines ist es, Parteitage anzuschauen. Und es sind dabei nicht die mal mehr, meist weniger großen Reden der Vorsitzenden, die dann dem Fußvolk am Abend in Häppchen auch in der Tagesschau präsentiert werden. Nein, mich faszinieren vor allem die eher beiläufigen Inneneinblicke in Parteien. Die kleinen und großen Debatten, die zähen Geschäftsordnungsanträge, die Mauscheleien und Intrigen, so sie denn für Außenstehende überhaupt sichtbar werden. Besonders interessant waren früher immer Parteitage „linker“ Parteien, auf denen dann – meist symbolisch an den dafür vorgesehenen Stellen – herzhaft gestritten wurde. Da bekamen dann die „Realos“ von der Regierungsmannschaft Zunder von den „Fundis“ der Basis und es flogen die Farbbeutel. Gerade bei den Grünen gehörte es stets zur guten Sitte, dass ein „umstrittener“ Punkt „völlig überraschend“ von den Delegierten in einer „Kampfabstimmung“ gekippt wurde. Die Aufregung war groß … vor allem groß gespielt, ähneln Parteitage in ihrer Inszenierung doch – Ausnahmen bestätigen die Regel – meist mit all ihren Storylines eher dem Wrestling.
Man sollte diese Inszenierungen also bloß nicht zu ernst nehmen. Von ihnen lernen kann man jedoch viel; beispielsweise wie eine Partei sich nach außen darstellen will. War es gerade bei „linken“ Parteien früher stets Usus, sich als gelebte Demokratie zu präsentieren, in der es bisweilen auch mal rund geht und in der der Kampf um Deutungshoheit und künftige Positionen mit äußerstem Engagement geführt wird, so erinnerte die 50. Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen eher an einen Parteitag in Nordkorea – freilich übertragen auf deutsche Sehgewohnheiten. Über allem schwebte Robert der Grüne, Messias, Kanzler in spe, graumelierter Dampfplauderer, der deutsche Kim Jong-Un … alles, nur kein Schwachkopf.
Am Freitag begann der Parteitag mit dem großen Abend der Tränen. Mit Omid Nouripour, Ricarda Lang und Emily Büning wurden zunächst drei altgediente Schlachtrösser der Partei auf den grünen Gnadenhof abgeschoben; es wurde viel geweint und geherzt, dicke Menschen lagen sich in den Armen mit Kullertränen in den Äugchen, „nä wat ist dat schön“. Dann durften diverse Obergrüne noch gefühlte zehn Stunden viel von Freiheit, Freiheit, Freiheit, Sicherheit und der Ukraine erzählen und zwischendurch immer wieder der Kameraschwenk auf den feschen Robert Habeck, bei dem man nie so richtig weiß, ob er gerade besonders klug oder besonders dumm dreinschaut. Am späten Abend bekam dann tatsächlich auch noch eine Kritikerin für ein paar Minuten das Mikro und sagte was Vernünftiges über Diplomatie und Frieden – „das war der verhaltendste Beifall, den wir heute Abend gehört haben und das ist auch nicht verwunderlich, denn diese Position ist hier nicht Mehrheitsmeinung, sondern eher bei anderen Parteien zu finden“, so der weitsichtige Kommentar von Phoenix aus dem Off. Ja, die Grünen sind keine Partei der Diplomatie oder gar des Friedens. Da hat Phoenix schon recht.
Selbstkritik gehört ohnehin nicht zu den Stärken der Grünen. Den gesamten zweiten Tag des fröhlichen Stelldicheins noch fröhlicher Menschen erzählten die mal mehr, meist weniger bekannten Delegierten daher auf dem Podium, wie toll die Grünen doch sind, und je näher dann die große Krönungszeremonie von Robert dem Grünen kam, desto peinlicher wurde die Selbstbeweihräucherung. Die Grünen sind eine Sekte. Anders ist diese schier überbordende Autosuggestion nicht mehr zu erklären. Wenn man in die Gesichter der Delegierten schaute, wurde einem angst und bange – Sportpalast meets Pjöngjang, nur besser frisiert. Selbstverständlich durfte der große Vorsitzende, Robert der Grüne, auch noch eine ganze Stunde lang reden – das war zwar alles vollkommen belanglos und inhaltsleer, aber seit wann verkauft man Zuckerwasser mit inhaltlichen Argumenten? Robert der Grüne hat die Rolle des Wohlfühlpolitikers eingenommen; ein zeitgenössischer Messias, der die Sünden der Welt auf sich genommen und sie am eigenen Leib zum Kreuz hinaufgetragen hat – so wirkt zumindest sein stets ernster, leidender Dackelblick.
Ja, die Grünen haben in der Tat ein maximales Fremdschämpotential, vor allem wenn sie den Moralinsäure-Regler auf Anschlag gestellt haben und wieder mal einen auf „Wir sind die Guten!“ machen. Können Sie sich vorstellen, dass Friedrich Merz sich mitten auf dem Parteitag mit ein paar Delegierten in einen Stuhlkreis begibt und über soziale Gerechtigkeit menschelt? Natürlich ist das hochnotpeinlich und bis an die Grenze des Erträglichen inszeniert; aber zumindest schön ausgeleuchtet. Deutschland 2024 ist halt nicht Hollywood, sondern Büdelsdorf, nicht Obama oder Trump, sondern Robert. Und der ist ein Dampfplauderer; ein Dampfplauderer, der von seinen Anhängern – aus welchen Gründen auch immer – vergöttert wird. Deutet man die Blicke richtig, scheint er vor allem auf Frauen mittleren Alters einen ähnlichen Effekt wie ein semiprofessioneller Heiratsschwindler zu haben.
Zugegeben, diese Betrachtung ist recht oberflächlich und man könnte sie mir als frauenfeindlich auslegen. Dafür entschuldige ich mich bereits prophylaktisch. Ihnen fehlen die Inhalte? Mir auch. Den Grünen übrigens auch. Aber wer braucht schon Inhalte, wenn er Robert hat. Doch Halt! Erliegen die Grünen hier nicht selbst ihrer Autosuggestion? Dieser Schluss liegt nahe. Außerhalb der grünen Blase ist von der Vergötterung Robert des Grünen nämlich nicht viel zu spüren. Bei den üblichen Umfragen zur Politikerbeliebtheit liegt der ehemalige Kinderbuchautor nicht auf dem Niveau eines Messias, sondern auf dem Niveau von Olaf Scholz; das bekanntermaßen eher weltlich ist. Seine Grünen liegen derzeit in den Umfragen auch nur bei überschaubaren 11 Prozent – kaum mehr als das erst vor wenigen Wochen gegründete BSW. Vor drei Jahren raunten die Medien von einer neuen Volkspartei.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Habeck Welten. Auch wenn die Grünen fest davon überzeugt sind, nun mit ihrem graumelierten Messias Kurs auf das Kanzleramt zu nehmen, so hat abseits des Marketinggewitters lediglich ein überschaubar beliebter und bestenfalls leidlich begabter Politiker ohne jegliche realistische Erfolgsaussicht ein Wahlziel propagiert, an dem er ohne jede Chance scheitert. Und der Rest ist Schaumschlägerei. Belassen wir es dabei und hoffen, dass die kommende Regierung ohne grüne Beteiligung auskommt.
Titelbild: Screenshot Phoenix
Zurzeit läuft bei uns ein Lehrbeispiel für praktische Demokratie ab. Die SPD hat eigentlich einen Kanzler und damit hätte sie auch ganz selbstverständlich für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 einen Kanzlerkandidaten: Scholz. – Die Wahl zwischen den beiden ist aus meiner Sicht wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber das sehen offensichtlich einige Macher im Hintergrund anders. Sie wollen Pistorius und zeigen uns gegenwärtig, wie man mit Hilfe von Umfragen und der darauf gründenden Meinungsmache Kandidaten und dann eventuell sogar den Bundeskanzler macht. Albrecht Müller.
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Auf der ersten Seite der in meiner Region erscheinenden Rheinpfalz steht heute zu lesen, die Kanzlerdebatte entgleite der SPD. Die Parteispitze „müsse machtlos zusehen, wie immer mehr Genossen für Boris Pistorius als Kanzlerkandidat werben“. Einer dieser sogenannten Genossen, das Mitglied der konservativen Seeheimer, der rheinland-pfälzische SPD-Abgeordnete Joe Weingarten, wird zitiert. Nach seiner Meinung besitze Pistorius die nötigen Eigenschaften: „Tatkraft, die Nähe zu den Menschen und den Mut zu klaren Worten“.
Zur Unterstützung wird dann noch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa zitiert. Danach sprechen sich 59 Prozent der SPD-Anhänger für den jetzigen Verteidigungsminister als künftigen Kanzlerkandidaten aus.
Das alles wird auf der ersten Seite dieses meinungsführenden Blattes ausgebreitet und in vielen anderen Medien wiedergekaut. Hier ein kurzer Überblick über die Meldungen auf die Frage nach dem Vergleich von Pistorius und Scholz:
Dieses Medienbild wirkt selbstverständlich meinungsverstärkend. Ob es am Ende dann wirklich dabei bleibt, dass selbst Pistorius für Scholz als neuen Kanzlerkandidaten eintritt, ist offen und fraglich. Noch ist die Medienkampagne zur Kanzlerkandidatenschaft der SPD nicht zu Ende.
Warum wohl wird Pistorius propagiert? Wenn man in Rechnung stellt, dass die Rüstungswirtschaft dank ihres Potenzials an Werbung, an Anzeigen und Fernsehspots besonderen Einfluss auf die Medien hat, dann kann man die gestellte Frage leicht beantworten. Wer in heutigen Zeiten dafür wirbt, wir müssten wieder kriegstüchtig werden, hat bei den Meinungsmachern umgehend ein Stein im Brett. In deren Augen ist Scholz der weniger sichere Kantonist.
Jedenfalls ist es spannend zu beobachten, ob es mit dem amtierenden Kanzler Scholz auch beim Kanzlerkandidaten bleibt oder ob die herrschenden Meinungsmacher so mächtig sind, dass sie auch diese Konstellation noch umdrehen können.
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Screenshot Tagesschau
Die Welt steht am Abgrund des Krieges. Gestern hat Joe Biden der Ukraine erlaubt, US-amerikanische Langstreckenraketen einzusetzen. Unmittelbar danach haben laut Medienberichten auch Großbritannien und Frankreich die Freigabe entsprechender Raketen bekanntgegeben. Was sich derzeit vor unseren Augen vollzieht, ist wie eine 2. Kuba-Krise. Nur dieses Mal scheint die Eskalation gewollt. Und im Weißen Haus steht ein Präsident, der Hände im leeren Raum schüttelt. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
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Lesen Sie dazu auch: Tobias Riegel – Raketen auf Russland: Abgewählte US-Regierung setzt noch schnell die Welt in Brand
„Der militärisch-industrielle Komplex scheint sicherstellen zu wollen, dass der Dritte Weltkrieg beginnt, bevor mein Vater die Chance hat, Frieden zu schaffen und Leben zu retten“, sagte der Sohn von Donald gestern Abend in einem Tweet auf der Plattform X.
Damit spricht er aus, was viele derzeit denken. So wie eine rasche, friedliche Lösung im Ukraine-Krieg offenbar nicht gewollt ist, so drängt sich der Verdacht auf, dass der Krieg nun eskalieren soll. Selbst bei einer sehr zurückhaltenden Analyse fällt es schwer, das Offensichtliche anders zu interpretieren.
Feuer lässt sich nicht mit Benzin löschen. Mit der Freigabe von Langstreckenraketen ist es so, als würde jemand Benzin in ein ohnehin schon großes, loderndes Feuer schütten, das seit beinahe drei Jahren brennt. Wie dieser Jemand heißt, ist bekannt. Joe Biden, der Präsident der USA, riskiert mit diesem Schritt den 3. Weltkrieg. Ein Präsident, der auf Videos zu sehen ist, wie er seine Hand zur Begrüßung ausstreckt, wo niemand steht, setzt gerade die Welt in Brand.
Die Situation ist aber noch schlimmer. Einem Brandstifter, der vor den Augen der Öffentlichkeit mit Benzin und Feuer „spielt“, wird normalerweise sein Tun zügig unterbunden. Hier ist das nicht der Fall. Journalisten, die als „Wächter“ fungieren sollten, „berichten“, als ginge es um die Bekanntgabe irgendeiner einer unbedeutenden Veranstaltung. Kritik? Fehlanzeige.
Und kaum verbreiten Medien rund um den Globus die Nachricht aus dem Weißen Haus, ziehen auch schon Großbritannien und Frankreich nach. „Großbritannien und Frankreich billigen den Einsatz von Langstreckenraketen durch die Ukraine für Angriffe in Russland, berichtet Le Figaro“, lautet eine aktuelle Schlagzeile. Denkbar ist, dass nun auch Deutschland mit der Lieferung von Taurus nachziehen wird. Mit der Freigabe der Langstreckenraketen passiert, wovor Russland mehrmals ausdrücklich gewarnt hat.
„Es bedeutet, dass sich die NATO-Länder (…) im Krieg mit Russland befinden”, sagte Putin vor zwei Monaten. Der russische Präsident erklärte vor laufender Kamera, dass bei einem Einsatz von westlichen Langstreckenwaffen Soldaten der NATO involviert sein müssten.
„Tatsache ist“, so Putin, „dass die ukrainische Armee nicht in der Lage ist (…) und jeder Experte wird dies sowohl in unserem Land als auch im Westen bestätigen (…), mit modernen Präzisionssystemen westlicher Herstellung mit großer Reichweite zuzuschlagen. Das ist nur mit Hilfe von Satellitenaufklärung möglich, über die die Ukraine nicht verfügt. Es handelt sich ausschließlich um Daten von EU- oder US-Satelliten – im Allgemeinen NATO-Satelliten. Das ist der erste Punkt. Der zweite und sehr wichtige, vielleicht der entscheidende Punkt ist, dass tatsächlich nur NATO-Soldaten Zielkoordinaten in dieses Raketensystem eingeben können. (…) Es geht also nicht darum, dem ukrainischen Regime zu erlauben, Russland mit diesen Waffen anzugreifen oder nicht. Es geht um die Entscheidung, ob NATO-Länder direkt in einen militärischen Konflikt verwickelt sind oder nicht. Wenn diese Entscheidung getroffen wird, bedeutet das nichts anderes als die direkte Beteiligung der NATO-Länder, der USA und der europäischen Länder am Krieg in der Ukraine.“
Die russische Sicht ist den USA und der NATO bekannt. Dennoch gehen USA und NATO einen Schritt, der in die Geschichte als der Anfang des heißen, 3. Weltkrieges eingehen könnte. Unter dem Deckmantel der „Hilfe“ für die Ukraine erhöhen Kriegstreiber die Geschwindigkeit der Züge des Krieges, die immer schneller aufeinanderzu fahren. Für die Ukraine ist der Einsatz der Raketen allenfalls von begrenztem militärischen Wert. Zwar kann die Ukraine dadurch militär-strategische russische Ziele in weiterer Entfernung treffen, aber was nutzt das bei einem Gegner, bei dem die Eskalationsdominanz liegt? Ein Angriff mit Langstreckenwaffen dürfte für das Land verheerend werden. Aber eben auch für NATO-Länder und damit auch Deutschland besteht große Gefahr.
Wladimir Dschabarow, erster stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des russischen Oberhauses, sagte laut einem Spiegel-Bericht, dass Bidens Entscheidung zum 3. Weltkrieg führen könne und eine schnelle Reaktion Russlands nach sich ziehen werde.
Wie wird Russland reagieren? Wird Russland militärisch antworten? Wenn ja: wie und wo? Was bedeutet das für Deutschland? Vieles ist derzeit noch unklar. Aber die Politik der Eskalation gleicht zunehmend dem Tanz auf dem Vulkan. Vor unseren Augen vollzieht sich eine 2. Kuba-Krise. Nur dieses Mal sieht es danach aus, dass nicht die Lösung der Konfliktsituation gewollt ist, sondern die Eskalation. Der 3. Weltkrieg rückt näher.
Titelbild: Below the Sky/shutterstock.com
Lesetipp: Von Marcus Klöckner erscheint im Januar: Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront. Fifty-Fifty.
Die Biden-Administration hat kurz vor Ende ihrer Regierungszeit die katastrophale Entscheidung getroffen, dass die Ukraine mit US-Raketen tief in Russland angreifen darf. Das ist in jeder Hinsicht gefährlich und skandalös – ein verlorener Krieg soll so noch einmal massiv eskaliert werden. Eine „parteiübergreifende Kriegspartei“ in Deutschland ist dennoch begeistert und will mit Taurus-Raketen nachziehen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Der scheidende US-Präsident Joe Biden hat laut übereinstimmenden Medienberichten der Ukraine den Einsatz von US-Waffen mit längerer Reichweite gegen Ziele im russischen Staatsgebiet erlaubt. Die entsprechenden Beschränkungen seien aufgehoben worden, wie die Tagesschau berichtet.
Die Regierung in Kiew wolle laut diesem Bericht den ersten derartigen Angriff in den kommenden Tagen ausführen. Einzelheiten wurden nicht genannt. Die New York Times berichtete unter Berufung auf US-Regierungskreise, die Raketen dürften zunächst gegen russische und nordkoreanische Soldaten in der Oblast Kursk eingesetzt werden. Demnach dürften die Angriffe mit ATACMS-Raketen ausgeführt werden. Diese haben eine Reichweite von etwa 300 Kilometern. Die Abkürzung ATACMS steht für Army Tactical Missile Systems – Raketensysteme, die von Wirkung und Reichweite häufig mit den britischen „Storm Shadow“ und den deutschen „Taurus“-Marschflugkörpern verglichen werden.
Diese Entscheidung der US-Regierung ist zu verdammen, weil sie den Ukrainekrieg massiv eskalieren könnte und gar zu einem Weltkrieg zwischen NATO einerseits und Russland mit Verbündeten andererseits führen kann – von der Gefahr eines atomaren Krieges ganz zu schweigen.
Zu diesen Gefahren kommt die Dreistigkeit des Aktes: Eine abgewählte US-Regierung hinterlässt durch die Entscheidung ein hochgefährliches Erbe. Laut Berliner Zeitung hat sich der künftige US-Präsident Donald Trump noch nicht dazu geäußert. Sein Sohn Donald Trump Junior schrieb auf X zur Entscheidung der Biden-Administration:
„Der militärisch-industrielle Komplex möchte anscheinend sichergehen, dass die sie den Dritten Weltkrieg bekommen, bevor mein Vater die Chance hat, Frieden zu schaffen und Leben zu retten.“
CDU-FDP-GRÜNE: Gemeinsame Sache mit einer abgewählten US-Regierung
Wie sind die Standpunkte einiger deutscher Parteien zur Frage der Lieferung von Waffen an die Ukraine, die gegen Ziele in Russland eingesetzt werden können? Erwartungsgemäß hat der grüne Vizekanzler Robert Habeck laut Medienberichten nun erklärt, er sei bereit, die Marschflugkörper „Taurus“ zu liefern. Friedrich Merz von der CDU hat das laut Medien schon länger angekündigt. Die FDP möchte diese Lieferungen laut Medien ebenfalls. Teile der SPD haben, wie von BSW und AfD, Bedenken.
Man möchte die SPD nicht über Gebühr in Schutz nehmen, sie hat sich in der Friedensfrage schockierend weit von ihren Wurzeln entfernt. Aber es gibt schon noch leichte Abstufungen, auch zwischen den „etablierten“ Parteien in Deutschland. Und so übt jetzt die (vor allem) aus CDU-FDP-GRÜNE bestehende „parteiübergreifende Kriegspartei“ in Deutschland – gemeinsam mit einer abgewählten und ohnehin hochproblematischen US-Regierung – Druck auf den zu Recht „zaudernden“ deutschen Kanzler Olaf Scholz aus. Ein in jeder Beziehung skandalöser und gefährlicher Vorgang.
Titelbild: serazetdinov / Shutterstock
Die aktuellen Aussagen der NATO-Staaten auf den UNO-Konferenzen im Herbst 2024 stehen im Widerspruch zur Realität. Während offiziell von Klimaschutz und Nachhaltigkeit gesprochen wird, wird die ökologische Zerstörung durch ungebremste Militärausgaben und Kriege vorangetrieben. Anstatt Lösungen für die globale Klimakrise zu fördern, priorisieren diese Staaten die Sicherung geopolitischer Interessen und verschärfen damit die Klimabelastung, was die Menschheit an die Grenze ihrer Bewältigungskapazität bringt. Von Bernhard Trautvetter.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Die auf die ökologisch wichtigen UNO-Konferenzen im Herbst 2024 bezogenen Verlautbarungen der Staaten, die mit der NATO in Verbindung stehen, stehen im krassen Widerspruch zur harten Realität.
Im Mai 2022 erklärten die G7-Staaten, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA sowie die Europäische Union: „Die G7-Klima-, Energie- und Umweltministerinnen und -minister einigten sich bei ihrem Treffen auf gemeinsame Maßnahmen für mehr Schutz von Klima, Biodiversität und einer sicheren Energieversorgung. Sie verpflichteten sich auch dazu, vulnerable Länder bei Klimawandel-Schäden stärker zu unterstützen.“
Schon im Vorfeld des aktuell laufenden Weltklimagipfels in Baku vom 11. bis zum 22. November wurde angekündigt, dass Konflikte über die Finanzierung von Klimahilfen den Konferenzverlauf überschatten: „Besonders hart dürfte darüber gerungen werden, wer wie viel bezahlt, um die schwerwiegendsten Folgen der Erderwärmung zu lindern.“ Dieser Planung zufolge haben sich die beteiligten Staaten mit der Zunahme von katastrophalen Klimaereignissen in den letzten Jahren weitgehend abgefunden, jetzt geht es nur noch um die Finanzierung der Hilfe für besonders betroffene Staaten zur ‚Linderung‘ der Folgen dieser Katastrophen. Und dabei gehen Beobachter von Konflikten über die Finanzierung aus. Das entspricht dem Grund für das Scheitern der Biodiversitätskonferenz im kolumbianischen Cali Anfang November 2024.
Die Neue Zürcher Zeitung ordnete das Scheitern der Konferenz so ein:
„Es wäre lachhaft – wenn es nicht zum Weinen wäre: Die Biodiversitätskonferenz im kolumbianischen Cali musste am vergangenen Samstag ohne Schlusserklärung beendet werden. Vor allem der Streit um die Finanzierung von Schutzgebieten und anderen Projekten zog sich derart in die Länge, dass immer mehr Delegierte zu ihren Flügen ins Heimatland eilten.“
Hinzu kommt der Plan der USA, 2025 aus dem Welt-Klima-Vertrag von Paris 2015 auszusteigen. Zu den Verpflichtungen der Klima-Konferenz von Paris 2015 gehörten fest vereinbarte Schritte der CO2-Reduktion, um die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad plus zum Stoppen zu bringen. Zu Donald Trumps Ankündigung schrieb das Handelsblatt: „Das wiederum könnte einen Totalausfall der USA bei der internationalen Klimafinanzierung bedeuten und ebenso die Finanzierung multilateraler Institutionen von den Vereinten Nationen bis zur Weltbank gefährden.“
Dem steht die Priorität vor allem der Staaten mit Verbindung zur NATO gegenüber, die alleine circa 55 Prozent der Weltmilitärausgaben aufwendet. Sie nennen ihre Militärpolitik ‚Sicherheitspolitik‘, obwohl sie die Sicherheit des Lebens auf der Erde untergräbt. Die Scientists for future Österreich veröffentlichten bereits 2021 zu dieser Prioritätensetzung:
„Die Staaten der Welt geben sechs Mal so viel für Militär aus wie für Klimaschutz“.
Diese dem Primat der Sicherung der Lebensgrundlagen entgegenstehende Politik wird auch durch die Ökologieschädigung des Militärsektors deutlich: Die Ende 2023 veröffentlichte Studie »CLIMATE CROSSFIRE« der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) besagt, dass der gesamte militärische CO2-Fußabdruck der NATO von 196 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (tCO2e) 2021 auf 226 Millionen tCO2e im Jahr 2023 stieg – das sind 30 Millionen Tonnen mehr innerhalb von zwei Jahren; das entspricht der Emission von circa acht Millionen zusätzlichen Autos.
Der durchschnittliche jährliche Kohlenstoff-Fußabdruck der NATO von 205 Millionen tCO2e ist höher als die Summe der Treibhausgasemissionen vieler einzelner Staaten innerhalb eines Jahres. Wäre die NATO ein Staat, dann wäre sie an 40. Stelle der größten kohlenstoffemittierenden Staaten der Welt.
Wenn alle NATO-Mitgliedsstaaten bis 2028 die NATO-Vorgaben, mindestens zwei Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung für den Militärsektor auszugeben, erfüllen, wird ihr militärischer Kohlenstoff-Fußabdruck insgesamt zwei Milliarden tCO2e umfassen, das sind mehr als die jährlichen Treibhausgasemissionen Russlands, eines großen erdölproduzierenden Staates.
Diese Klimaschädigungen betreffen Emissionen, ohne dass es bereits zu einem Einsatz von Waffen im Krieg gekommen ist. Die Klimaschädigungen infolge der Kriege unserer Epoche – wie der durch den Irak-Krieg im Jahr 2003 oder der durch den Krieg um die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine (seit 2022) – steigern diese jährlich auftretende Schädigung der Biosphäre durch Militärs zusätzlich und massiv.
Während der Weltklimakonferenz COP 29 veröffentlichte die Universität von Exter das ›Global Carbon Budget‹ mit dieser Information über die Klimaschäden im Berichtsjahr:
„Das 2024 Global Carbon Budget prognostiziert fossile Kohlendioxid-(CO2)-Emissionen von 37,4 Milliarden Tonnen, ein Anstieg von 0,8% gegenüber 2023. Trotz der dringenden Notwendigkeit, die Emissionen zu senken, um den Klimawandel zu verlangsamen, sagen die Forscher, dass es immer noch ‚keine Anzeichen‘ gibt, dass die Welt einen Höhepunkt der fossilen CO2-Emissionen erreicht hat.“
Quintessenz: Ohne radikale Abrüstung werden die ökologischen Probleme der Menschheit immer näher in den Bereich von Ausmaßen ankommen, deren Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.
Die Heuchelei der Vertreter der betreffenden Staaten, wenn sie auf den UNO-Konferenzen und in der Öffentlichkeit von Nachhaltigkeit sprechen, erweist sich als ein Element der immer weiter eskalierenden globalen Katastrophe. Sie sind Nebelkerzen, die die Menschen beschwichtigen sollen, das Geschäft mit dem Krieg und damit mit dem Tod nicht zu durchkreuzen.
Titelbild: Scharfsinn/shutterstock.com
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