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Schuldgefühle drücken nieder. Sie können Selbstwertgefühl und Verhalten stark beeinflussen. Nach dem Motto: Buße tun hilft vielleicht. Doch oft lohnt der Blick auf zu Grunde liegende Ängste und Konflikte mehr. Autorin: Justina Schreiber (BR 2020)
Credits
Autorin dieser Folge: Justina Schreiber
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger, Andreas Neumann
Technik: Helge Schwarz
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
- Heidi Spanl, Psychoanalytikerin, und Helga Kernstock-Redl, Psychotherapeutin
Psychologie:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
Wie wir ticken – Euer Psychologie Podcast
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Es war ein Fehler. Man hat etwas verkehrt gemacht. Etwas Wichtiges versäumt. Wie furchtbar. Wie konnte man nur!
SPRECHER:
Schuldgefühle drücken nieder. Es sind schwere Gefühle.
SPRECHERIN:
Der Übel größtes ist die Schuld!
SPRECHER:
Sagt ein Sprichwort.
SPRECHERIN:
Man grübelt und zermürbt sich. Vielleicht hängen die Schultern. Der Blick ist gesenkt, die Stimmung im Keller.
SPRECHER:
Gute Laune ist etwas anderes. Nicht ohne Grund zählen Schuldgefühle zu den negativ bewerteten Gefühlen, sagt die Wiener Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl.
O-TON 01: (Kernstock-Redl)
„Schuldgefühle sind belastend, quälend werden sie beschrieben. Sie lösen auch Angst aus, einerseits die Angst vor Strafe, wer Schuld hat, wird vielleicht bestraft.“
SPRECHERIN:
Alle Schuld rächt sich auf Erden.
O-TON 02: (Kernstock-Redl)
„Aber auch Angst vor dem Gefühl selbst, weil es eben so ein unangenehmes Gefühl ist.“
SPRECHERIN:
Jeder Mensch kennt es. Weltweit in allen Kulturen kommen Schuldgefühle vor. Dass sich auch Tiere, vor allem Primaten, schuldig fühlen können, wird vermutet, lässt sich aber nicht so leicht belegen.
SPRECHER:
Schuldgefühle werden schnell mit Scham oder Angst verwechselt. Unter Wissenschaftlern gelten sie als schwer zu fassende, komplexe Emotionen.
O-TON 03: (Kernstock-Redl)
„Hirnscans zeigen, dass viele Hirnareale da beteiligt sind, vor allem das Denken, also die Hirnareale, wo es um Gedanken geht, um Soziales geht, die sind auch sehr stark aktiv bei Schuldgefühlen.“
MUSIK 2
"Massage" - Komponist: Daniel Pemberton - Album: The Haunted Airman (Soundtrack) Länge: 0'44
O-TON 04: (Heidi Spanl)
„Erst einmal finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Schuldgefühle nichts direkt mit Schuld zu tun haben. Also, man hat sich keine Schuld aufgeladen, nur weil man ein Schuldgefühl hat, die existieren sozusagen unabhängig davon.“
SPRECHER:
Ihre Entstehung belegt es, erklärt die Psychoanalytikerin Heidi Spanl. Kinder kommen ohne eigene Schuld, also „unschuldig“ zur Welt. (Auch wenn die Lehre von der Erbsünde etwas anderes behauptet.)
SPRECHERIN:
Trotzdem verfügen Neugeborene offenkundig über die Fähigkeit, Schuldgefühle zu entwickeln. Der Lernprozess beginnt mit der Geburt.
O-TON 05: (Heidi Spanl)
„Man kann sich das ganz schwer nur vorstellen. Aber dass Erwachsene den Kindern schon, den Neugeborenen ein Stück Schuldgefühle auch vermitteln für bestimmte Dinge, die sie tun, dass sie besonders laut brüllen, wenn sie Hunger haben und nicht sofort gestillt oder gefüttert werden.“
SPRECHER:
Ein „Nein“ folgt dann vielleicht als Reaktion. Oder ein Stirnrunzel, ein Zögern, ein Genervtsein.
SPRECHERIN:
Säuglinge nehmen die Forderungen ihrer Umgebung wahr. Abhängig wie sie sind, passen sie sich immer auch den Bedingungen an. Empathisch zu sein, erweist sich als nützlich. Auch in späteren Jahren.
O-TON 06: (Heidi Spanl)
„Also, man möchte eigentlich auch den Eltern, den Pflegepersonen gefallen, damit man nicht ausgestoßen wird, damit man geliebt wird, damit man Anerkennung bekommt. Das brauchen wir einfach.“
SPRECHER:
Ohne Zuwendung, ohne positives Feedback kann der Mensch, das soziale Wesen, nicht überleben. Es gilt, die Spielregeln möglichst schnell und gut zu verinnerlichen, um zu wissen, was „man“ tut und was „man“ nicht tut.
MUSIK 3
"Massage" - Komponist: Daniel Pemberton - Album: The Haunted Airman (Soundtrack) Länge: 0'39
O-TON 07: (Heidi Spanl)
„Man muss ja erst mal ein Gewissen entwickeln. Man kommt mit seinen Wünschen, also mit seiner triebhaften Ausstattung, mit den Instinkten auf die Welt, aber man hat noch keine Psyche und auch kein Gewissen: was ist gut, was ist böse?“
SPRECHERIN:
Das ist die zentrale Frage.
SPRECHER:
Das biologische Programm lässt den Menschen nach egoistischer Wunsch- oder Triebbefriedigung streben. Das Gewissen, das sich dann im Laufe der Erziehung über positive und negative Verstärkungen Schicht für Schicht herausbildet, wirkt wie eine Art Korrektiv.
SPRECHERIN:
Sigmund Freud nannte diese innere Instanz „Über-Ich“. Es versucht, das „Ich“, das mehr oder weniger bewusst agierende Ego des Individuums zu dirigieren. Die Psychoanalytikerin Heidi Spanl erklärt:
O-TON 08: (Heidi Spanl)
„Das Über-Ich ist die Instanz, die alle Normen, alle Verbote aufnimmt, natürlich wieder vermittelt durch die Eltern auch, aber auch durch die Gesellschaft, durch die Sozialisation.“
SPRECHERIN:
Wer gewissen Normen und Erwartungen entspricht, wird belohnt. Auch durch das eigene gute Gewissen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.
MUSIK 4
"End Credits" - Album: Shame - K und A: Harry Escott
SPRECHER:
Ganz anders das schlechte Gewissen, das sich in Schuldgefühlen äußert. Sie können für schlaflose Nächte sorgen.
SPRECHERIN:
Je nachdem wie rigide das Über-Ich ist beziehungsweise wie versagend die Erziehung war: Wer es wagt, eine verinnerlichte Regel zu brechen und einer an sich verbotenen Lust zu frönen, handelt sich „zur Strafe“ mal heftigere, mal schwächere Unlustgefühle ein. Im Brav sein, im Verzicht liegt also ein emotionaler Gewinn. Denn das Gewissen schweigt.
SPRECHER:
Das ist der Sinn und Zweck der Fähigkeit, Schuldgefühle zu empfinden:
O-TON 09: (Kernstock-Redl)
„Der Sinn liegt im Vermeiden.“
SPRECHER:
Die Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl hat einen Ratgeber zum Thema verfasst. Sie nennt den psychischen Mechanismus einen „Kunstgriff der Natur“: Bringen Schuldgefühle die Menschen doch dazu, allgemein erwünschte, (in Anführungszeichen) „richtige“ Verhaltensweisen anzunehmen.
O-TON 10: (Kernstock-Redl)
„Wir haben so eine breite Straße von Verhaltensweisen, die für uns in Ordnung sind, und die gehen wir. Da folgen wir unseren inneren Regeln und spüren natürlich keine Schuldgefühle, wenn wir sie nicht brechen. Wenn wir aber diese vorgegebene Bahn verlassen, dann merken wir an diesem unangenehmen Gefühl: upps, ich bin quasi vom Weg abgekommen.“
MUSIK 5
"La marche de Henri IV (Henri IV)" - Musique de l'air de Paris - Album: Airs militaires anciens / Marches refrains batteries de la garde impériale / Fanfares royales et impériales - K: Robert Fayeulle & Robert Goutte Länge: 0'52
SPRECHERIN:
Schuldgefühle erleichtern Eltern, Erziehern und staatlichen oder kirchlichen Institutionen die Arbeit. Sie sind Werkzeuge der Moral.
SPRECHER:
Weg geht es vom „Bösen“, hin zum Guten. Weg vom Körper, hin zum Geistigen. Weg vom Schmutz, hin zur reinen Weste. Hin zu Lob und Schulterklopfen. Die Tendenz zum Sich-Verbiegen gehört zum Programm. Wobei Schuldgefühle in einer Diktatur ganz andere Formen annehmen können als in einer Demokratie.
SPRECHERIN:
Helga Kernstock-Redl verweist als Beispiel auf die Kriegsgeneration, die Generation der Groß- und Urgroßeltern:
O-TON 11: (Kernstock-Redl)
„Da war die Regel: nur ja niemanden etwas schuldig bleiben! Das heißt, die konnten gar kein Geschenk annehmen, ohne es doppelt und dreifach zurückzuzahlen und hatten immer so dieses Gefühl, eben ein Schuldgefühl zu haben, ist das Schlimmste überhaupt. Viele kennen dann gar keine Dankbarkeit mehr.“
SPRECHER:
Was eigentlich schade ist.
O-TON 12: (Kernstock-Redl)
„Wenn ich aber das innere Gesetz hab, ich darf nichts annehmen ohne es doppelt und dreifach zurückzuzahlen, entgeht mir dieses Gefühl der Dankbarkeit, weil es sofort überlagert wird von einem Schuldgefühl.“
SPRECHER:
Es hält den Menschen auf Trab. Nur nicht lockerlassen. Geben ist seliger denn Nehmen!
MUSIK 6 - "La marche de Henri IV (Henri IV)" - Musique de l'air de Paris - Album: Airs militaires anciens / Marches refrains batteries de la garde impériale / Fanfares royales et impériales - K: Robert Fayeulle & Robert Goutte Länge:
SPRECHERIN:
Je nachdem, welchen Prämissen eine Gesellschaft, eine Gruppe, eine Familie folgt: Schuldgefühle dienen der Dressur, dem Zurechtstutzen des Menschen, indem sie seine biologischen Anlagen, seine Faulheit, sein Begehren, kulturell überformen, also gewissermaßen veredeln. In Anführungszeichen „primitive“ Triebe oder egoistische Wünsche werden zu Gunsten sozial verträglicherer Verhaltensweisen unterdrückt.
SPRECHER:
Emotionale Energien werden kanalisiert. Die Psychoanalyse nennt den Vorgang „sublimieren“, erklärt Heidi Spanl.
O-TON 13: (Heidi Spanl)
„Durch die Schuldgefühle gelingt es dem menschlichen Individuum, das Triebhafte zu sublimieren, das heißt eben, anders zu nutzen als jetzt nur in einer triebhaften Wunschbefriedigung, und aber auch zu transformieren, also das Triebhafte in uns kann über Schuldgefühle sublimiert und transformiert werden.“
SPRECHER:
Du sollst lieber beten statt morden. Arbeiten statt trinken. Lesen statt liederlich sein. So trägt das schlechte Gewissen des Einzelnen zum Gemeinwohl des größeren Ganzen bei. Es hat beileibe nicht das private Glück im Auge.
SPRECHERIN:
Nein! Schuldgefühle etablieren die Pflichterfüllung als wichtiges Gebot. Sie liefern den Kitt menschlicher Gemeinschaften:
O-TON 14: (Kernstock-Redl)
„Sie halten Gemeinschaften aufrecht, weil sie Konflikte vermeiden helfen, weil sie so einen moralischen Überbau gewährleisten, weil wir einander vorhersagbar werden dadurch, weil ich ungefähr weiß oder hoffen darf, dass sich die anderen in meiner Gemeinschaft an dieselben Regeln halten wie ich.“
MUSIK 7
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
Doch schon Sigmund Freud warnte vor dem „Unbehagen in der Kultur“.
Die Decke der Zivilisation ist dünn. Darunter brodelt es. Verlangen die Schuldgefühle dem Menschen unterm Strich vielleicht zu viel an Selbstbeherrschung und Triebverzicht ab?
SPRECHERIN:
Hinzu kommt: die verinnerlichten Regeln können jeglicher Vernunft und Logik entbehren. Jedes Individuum verfügt ja über sein ganz persönliches Schuldgefühl, also über ein ganz persönliches Sammelsurium innerer Richtlinien, die sich auf unterschiedliche Weise manifestiert haben.
O-TON 15: (Kernstock-Redl)
„Diese sind anerzogen, beobachtet, eingeredet, sind eigene Schlussfolgerungen, wir erschaffen unsere Regeln auch ganz selber, also da sind auch eigene Schlussfolgerungen dahinter.“
SPRECHER:
Schuldgefühle stellen den Sinn der Regeln, deren Einhaltung sie steuern, nicht in Frage. Vielmehr sorgen sie dafür, dass sich auch problematische oder gar schädliche Überzeugungen verfestigen. Zum Beispiel:
O-TON 16: (Heidi Spanl)
„Wenn Kinder nicht erwünscht sind, also keine Wunschkinder sind und immer das Gefühl haben, irgendwie eine Schuld zu tragen, dass sie überhaupt da sind oder wenn ein Geschwisterkind gestorben ist, dass sie dieses Kind ersetzen sollen und merken, sie schaffen das nicht.“ (REISST ETWAS AB)
MUSIK 8
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
So sehr sie sich auch bemühen: das Schuldgefühl bleibt. Denn die innere Regel, die die Bezugspersonen - wie auch immer - vermittelt haben, lautet:
SPRECHERIN:
Du bist nicht richtig, so wie du bist. Ein anderes Kind glaubt vielleicht: du bist nur richtig, wenn du dich still und unauffällig verhältst.
SPRECHER:
Oder jemand hat die Regel verinnerlicht, dass man alle Versprechen halten muss:
O-TON 17: (Kernstock-Redl)
„Das ist schon ein Gesetz, das extrem ist. Da werde ich relativ oft in meinem Leben Schuldgefühle haben. Wenn der Durchschnitt meiner Umgebung denkt: na, ich halte Versprechen, wenn es irgendwie geht, aber wenn nicht, macht es auch nichts. Die werden mir dann sagen: ja, was tust du dir an? Es ist halt manchmal so, man kann Versprechen nicht einhalten, Dinge ändern sich, das heißt, die können dann vielleicht gar nicht nachvollziehen, dass ich ein Schuldgefühl hab.“
SPRECHERIN:
„Schuld“ und „Soll“ oder „Sollen“ haben dieselben sprachlichen Wurzeln. Es geht um Defizite, die ausgeglichen werden „sollten“. Wie auch immer.
MUSIK 9
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
Es ist gehupft wie gesprungen: Ob man sie nun brav vermeidet oder im Nachhinein das Zwicken ertragen muss - vor Schuldgefühlen gibt es kein Entkommen.
SPRECHERIN:
Nur gewissenlose Menschen kennen sie nicht.
SPRECHER:
Bestenfalls werden Schuldgefühle von freundlicheren Emotionen in Schach gehalten oder durch so etwas wie Gelassenheit abgemildert.
SPRECHERIN:
Aber es bleibt ein ständiges Ringen um psychische Stabilität. Vor allem bei Menschen, die die Moral hochhalten, kann schnell eine Katerstimmung überhandnehmen.
SPRECHER:
Oder das schlechte Gewissen breitet sich immer wieder aus, weil nahestehende Personen dazu neigen, ihr Befremden zu äußern - nach dem Prinzip: Wie konntest du nur? Das geht ja wohl gar nicht.
O-TON 19: (Kernstock-Redl bei 23 Min)
„Wir alle kennen so Menschen, die durch die Welt gehen und Vorwürfe ausstrahlen oder anderen ständig Vorwürfe machen, also ein Schuldgefühl suggerieren. Und das kann man sich dann schon auch mal einreden lassen. Und man entwickelt dann ein Schuldgefühl, obwohl man außerhalb der Beziehung, wenn man quasi sich wieder ein bissel wachgerüttelt hat, sich denkt: ich bin ja überhaupt nicht schuldig, warum lasse ich mir ein Schuldgefühl einreden?“
SPRECHER:
Vielleicht weil man weiß, dass der Mensch schuldig werden kann, ohne es zu wollen. Wie schnell verstößt man gegen ungeschriebene Gesetze und Konventionen. Also lieber den Kopf einziehen.
MUSIK 10
"End Credits" - Shame - K und A: Harry Escott
SPRECHER:
Wenn Schuldgefühle ausufern, wenn sie sich ständig vorwurfsvoll zu Wort melden. Wenn sie überlaut werden, dann geht die Lebensfreude verloren.
SPRECHERIN:
Dann zeigt das innere (oder auch ausgesprochene) Meckern, Mahnen und Hadern, dass die psychische Verfassung massiv aus dem Gleichgewicht geraten ist. Etwa, weil eine seelische Erkrankung vorliegt, ein Burnout oder eine Depression vielleicht.
O-TON 21: (Kernstock-Redl)
„Eine Untergruppe von depressiven Menschen leidet vorrangig unter Grübelzwängen und die drehen sich sehr oft um Schuld oder um Versagen, die eigene Schlechtigkeit.“
SPRECHER:
Als wäre der eigene Zeigefinger immer erhoben: Der Ton war zu schrill, der sprachliche Ausdruck unangemessen, das Verhalten schlichtweg falsch. Und überhaupt kriegt man wohl nichts mehr auf die Reihe.
wenn Schuldgefühle zu quälenden inneren Gesprächen werden, leidet das Selbstwertgefühl extrem. Als würde man nur noch durch die Gegend schleichen.
SPRECHERIN:
Oder ist es nicht eher umgekehrt: Dass ein schwaches Selbstwertgefühl drückenden Schuldgefühlen Tür und Tor öffnet?
SPRECHERIN:
Kann sein, sagt Helga Kernstock-Redl. Wer von übertriebenen Schuldgefühlen beherrscht wird, gleicht schlichtweg einem bankrotten Schuldner.
O-TON 22: (Kernstock-Redl)
„Ein innerer Faktor, der Schuld begrenzt, sind Rechte. Wenn ich ein Recht habe, etwas zu bekommen, dann entsteht keine Rückzahlungsverpflichtung. Das heißt, ich bin nichts schuldig. Wenn Menschen für sich gar keine Rechte haben, das heißt, wenn jemandem innere Rechte fehlen, das, was man Selbstwert nennt auch, dann ist er hochgradig anfällig, enorme Schuldgefühle zu entwickeln, weil er eben keine Gegenkraft hat.“
SPRECHERIN:
Deshalb neigen extrem abhängige Personen zu vermehrten Schuldgefühlen. Etwa Menschen, die in tyrannischen Beziehungen leben und ihren eigenen Willen unterdrücken.
SPRECHER:
Schuldgefühle machen erpressbar. Da ist die Angst vor Liebesverlust, da ist der niederschmetternde Eindruck, nichts wert zu sein. Da ist das Kreisen um die eigenen Fehler und Versäumnisse.
SPRECHERIN:
Weitaus produktiver wäre es jedoch, sich die Frage zu stellen:
O-TON 23: (Kernstock-Redl)
„Wann leide ich so sehr, dass ich den Eindruck hab, ich kann mein Leben gar nicht mehr genießen. Und spätestens dann ist es wichtig, sich das Gefühl selber mal anzuschauen und dagegen vorzugehen, es zu überprüfen: ist es real?“
SPRECHER:
Also: Hat man wirklich so viel Schuld auf sich geladen, dass die anhaltenden Schuldgefühle gerechtfertigt wären?
SPRECHERIN:
Selbst wenn jemand seinen Mann verlassen hat oder Insolvenz anmelden musste…
SPRECHER:
Die Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl empfiehlt, nach den inneren Regeln hinter den Schuldgefühlen zu suchen, also erst einmal überhaupt zu erkennen, was die wahre Ursache ist. Als da wäre etwa das Verbot, Nein sagen oder auf das persönliche Wohlbefinden achten zu dürfen.
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Schuldgefühle drücken nieder. Sie können Selbstwertgefühl und Verhalten stark beeinflussen. Nach dem Motto: Buße tun hilft vielleicht. Doch oft lohnt der Blick auf zu Grunde liegende Ängste und Konflikte mehr. Autorin: Justina Schreiber (BR 2020)
Credits
Autorin dieser Folge: Justina Schreiber
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Katja Amberger, Andreas Neumann
Technik: Helge Schwarz
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
- Heidi Spanl, Psychoanalytikerin, und Helga Kernstock-Redl, Psychotherapeutin
Psychologie:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
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SPRECHERIN:
Es war ein Fehler. Man hat etwas verkehrt gemacht. Etwas Wichtiges versäumt. Wie furchtbar. Wie konnte man nur!
SPRECHER:
Schuldgefühle drücken nieder. Es sind schwere Gefühle.
SPRECHERIN:
Der Übel größtes ist die Schuld!
SPRECHER:
Sagt ein Sprichwort.
SPRECHERIN:
Man grübelt und zermürbt sich. Vielleicht hängen die Schultern. Der Blick ist gesenkt, die Stimmung im Keller.
SPRECHER:
Gute Laune ist etwas anderes. Nicht ohne Grund zählen Schuldgefühle zu den negativ bewerteten Gefühlen, sagt die Wiener Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl.
O-TON 01: (Kernstock-Redl)
„Schuldgefühle sind belastend, quälend werden sie beschrieben. Sie lösen auch Angst aus, einerseits die Angst vor Strafe, wer Schuld hat, wird vielleicht bestraft.“
SPRECHERIN:
Alle Schuld rächt sich auf Erden.
O-TON 02: (Kernstock-Redl)
„Aber auch Angst vor dem Gefühl selbst, weil es eben so ein unangenehmes Gefühl ist.“
SPRECHERIN:
Jeder Mensch kennt es. Weltweit in allen Kulturen kommen Schuldgefühle vor. Dass sich auch Tiere, vor allem Primaten, schuldig fühlen können, wird vermutet, lässt sich aber nicht so leicht belegen.
SPRECHER:
Schuldgefühle werden schnell mit Scham oder Angst verwechselt. Unter Wissenschaftlern gelten sie als schwer zu fassende, komplexe Emotionen.
O-TON 03: (Kernstock-Redl)
„Hirnscans zeigen, dass viele Hirnareale da beteiligt sind, vor allem das Denken, also die Hirnareale, wo es um Gedanken geht, um Soziales geht, die sind auch sehr stark aktiv bei Schuldgefühlen.“
MUSIK 2
"Massage" - Komponist: Daniel Pemberton - Album: The Haunted Airman (Soundtrack) Länge: 0'44
O-TON 04: (Heidi Spanl)
„Erst einmal finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Schuldgefühle nichts direkt mit Schuld zu tun haben. Also, man hat sich keine Schuld aufgeladen, nur weil man ein Schuldgefühl hat, die existieren sozusagen unabhängig davon.“
SPRECHER:
Ihre Entstehung belegt es, erklärt die Psychoanalytikerin Heidi Spanl. Kinder kommen ohne eigene Schuld, also „unschuldig“ zur Welt. (Auch wenn die Lehre von der Erbsünde etwas anderes behauptet.)
SPRECHERIN:
Trotzdem verfügen Neugeborene offenkundig über die Fähigkeit, Schuldgefühle zu entwickeln. Der Lernprozess beginnt mit der Geburt.
O-TON 05: (Heidi Spanl)
„Man kann sich das ganz schwer nur vorstellen. Aber dass Erwachsene den Kindern schon, den Neugeborenen ein Stück Schuldgefühle auch vermitteln für bestimmte Dinge, die sie tun, dass sie besonders laut brüllen, wenn sie Hunger haben und nicht sofort gestillt oder gefüttert werden.“
SPRECHER:
Ein „Nein“ folgt dann vielleicht als Reaktion. Oder ein Stirnrunzel, ein Zögern, ein Genervtsein.
SPRECHERIN:
Säuglinge nehmen die Forderungen ihrer Umgebung wahr. Abhängig wie sie sind, passen sie sich immer auch den Bedingungen an. Empathisch zu sein, erweist sich als nützlich. Auch in späteren Jahren.
O-TON 06: (Heidi Spanl)
„Also, man möchte eigentlich auch den Eltern, den Pflegepersonen gefallen, damit man nicht ausgestoßen wird, damit man geliebt wird, damit man Anerkennung bekommt. Das brauchen wir einfach.“
SPRECHER:
Ohne Zuwendung, ohne positives Feedback kann der Mensch, das soziale Wesen, nicht überleben. Es gilt, die Spielregeln möglichst schnell und gut zu verinnerlichen, um zu wissen, was „man“ tut und was „man“ nicht tut.
MUSIK 3
"Massage" - Komponist: Daniel Pemberton - Album: The Haunted Airman (Soundtrack) Länge: 0'39
O-TON 07: (Heidi Spanl)
„Man muss ja erst mal ein Gewissen entwickeln. Man kommt mit seinen Wünschen, also mit seiner triebhaften Ausstattung, mit den Instinkten auf die Welt, aber man hat noch keine Psyche und auch kein Gewissen: was ist gut, was ist böse?“
SPRECHERIN:
Das ist die zentrale Frage.
SPRECHER:
Das biologische Programm lässt den Menschen nach egoistischer Wunsch- oder Triebbefriedigung streben. Das Gewissen, das sich dann im Laufe der Erziehung über positive und negative Verstärkungen Schicht für Schicht herausbildet, wirkt wie eine Art Korrektiv.
SPRECHERIN:
Sigmund Freud nannte diese innere Instanz „Über-Ich“. Es versucht, das „Ich“, das mehr oder weniger bewusst agierende Ego des Individuums zu dirigieren. Die Psychoanalytikerin Heidi Spanl erklärt:
O-TON 08: (Heidi Spanl)
„Das Über-Ich ist die Instanz, die alle Normen, alle Verbote aufnimmt, natürlich wieder vermittelt durch die Eltern auch, aber auch durch die Gesellschaft, durch die Sozialisation.“
SPRECHERIN:
Wer gewissen Normen und Erwartungen entspricht, wird belohnt. Auch durch das eigene gute Gewissen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.
MUSIK 4
"End Credits" - Album: Shame - K und A: Harry Escott
SPRECHER:
Ganz anders das schlechte Gewissen, das sich in Schuldgefühlen äußert. Sie können für schlaflose Nächte sorgen.
SPRECHERIN:
Je nachdem wie rigide das Über-Ich ist beziehungsweise wie versagend die Erziehung war: Wer es wagt, eine verinnerlichte Regel zu brechen und einer an sich verbotenen Lust zu frönen, handelt sich „zur Strafe“ mal heftigere, mal schwächere Unlustgefühle ein. Im Brav sein, im Verzicht liegt also ein emotionaler Gewinn. Denn das Gewissen schweigt.
SPRECHER:
Das ist der Sinn und Zweck der Fähigkeit, Schuldgefühle zu empfinden:
O-TON 09: (Kernstock-Redl)
„Der Sinn liegt im Vermeiden.“
SPRECHER:
Die Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl hat einen Ratgeber zum Thema verfasst. Sie nennt den psychischen Mechanismus einen „Kunstgriff der Natur“: Bringen Schuldgefühle die Menschen doch dazu, allgemein erwünschte, (in Anführungszeichen) „richtige“ Verhaltensweisen anzunehmen.
O-TON 10: (Kernstock-Redl)
„Wir haben so eine breite Straße von Verhaltensweisen, die für uns in Ordnung sind, und die gehen wir. Da folgen wir unseren inneren Regeln und spüren natürlich keine Schuldgefühle, wenn wir sie nicht brechen. Wenn wir aber diese vorgegebene Bahn verlassen, dann merken wir an diesem unangenehmen Gefühl: upps, ich bin quasi vom Weg abgekommen.“
MUSIK 5
"La marche de Henri IV (Henri IV)" - Musique de l'air de Paris - Album: Airs militaires anciens / Marches refrains batteries de la garde impériale / Fanfares royales et impériales - K: Robert Fayeulle & Robert Goutte Länge: 0'52
SPRECHERIN:
Schuldgefühle erleichtern Eltern, Erziehern und staatlichen oder kirchlichen Institutionen die Arbeit. Sie sind Werkzeuge der Moral.
SPRECHER:
Weg geht es vom „Bösen“, hin zum Guten. Weg vom Körper, hin zum Geistigen. Weg vom Schmutz, hin zur reinen Weste. Hin zu Lob und Schulterklopfen. Die Tendenz zum Sich-Verbiegen gehört zum Programm. Wobei Schuldgefühle in einer Diktatur ganz andere Formen annehmen können als in einer Demokratie.
SPRECHERIN:
Helga Kernstock-Redl verweist als Beispiel auf die Kriegsgeneration, die Generation der Groß- und Urgroßeltern:
O-TON 11: (Kernstock-Redl)
„Da war die Regel: nur ja niemanden etwas schuldig bleiben! Das heißt, die konnten gar kein Geschenk annehmen, ohne es doppelt und dreifach zurückzuzahlen und hatten immer so dieses Gefühl, eben ein Schuldgefühl zu haben, ist das Schlimmste überhaupt. Viele kennen dann gar keine Dankbarkeit mehr.“
SPRECHER:
Was eigentlich schade ist.
O-TON 12: (Kernstock-Redl)
„Wenn ich aber das innere Gesetz hab, ich darf nichts annehmen ohne es doppelt und dreifach zurückzuzahlen, entgeht mir dieses Gefühl der Dankbarkeit, weil es sofort überlagert wird von einem Schuldgefühl.“
SPRECHER:
Es hält den Menschen auf Trab. Nur nicht lockerlassen. Geben ist seliger denn Nehmen!
MUSIK 6 - "La marche de Henri IV (Henri IV)" - Musique de l'air de Paris - Album: Airs militaires anciens / Marches refrains batteries de la garde impériale / Fanfares royales et impériales - K: Robert Fayeulle & Robert Goutte Länge:
SPRECHERIN:
Je nachdem, welchen Prämissen eine Gesellschaft, eine Gruppe, eine Familie folgt: Schuldgefühle dienen der Dressur, dem Zurechtstutzen des Menschen, indem sie seine biologischen Anlagen, seine Faulheit, sein Begehren, kulturell überformen, also gewissermaßen veredeln. In Anführungszeichen „primitive“ Triebe oder egoistische Wünsche werden zu Gunsten sozial verträglicherer Verhaltensweisen unterdrückt.
SPRECHER:
Emotionale Energien werden kanalisiert. Die Psychoanalyse nennt den Vorgang „sublimieren“, erklärt Heidi Spanl.
O-TON 13: (Heidi Spanl)
„Durch die Schuldgefühle gelingt es dem menschlichen Individuum, das Triebhafte zu sublimieren, das heißt eben, anders zu nutzen als jetzt nur in einer triebhaften Wunschbefriedigung, und aber auch zu transformieren, also das Triebhafte in uns kann über Schuldgefühle sublimiert und transformiert werden.“
SPRECHER:
Du sollst lieber beten statt morden. Arbeiten statt trinken. Lesen statt liederlich sein. So trägt das schlechte Gewissen des Einzelnen zum Gemeinwohl des größeren Ganzen bei. Es hat beileibe nicht das private Glück im Auge.
SPRECHERIN:
Nein! Schuldgefühle etablieren die Pflichterfüllung als wichtiges Gebot. Sie liefern den Kitt menschlicher Gemeinschaften:
O-TON 14: (Kernstock-Redl)
„Sie halten Gemeinschaften aufrecht, weil sie Konflikte vermeiden helfen, weil sie so einen moralischen Überbau gewährleisten, weil wir einander vorhersagbar werden dadurch, weil ich ungefähr weiß oder hoffen darf, dass sich die anderen in meiner Gemeinschaft an dieselben Regeln halten wie ich.“
MUSIK 7
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
Doch schon Sigmund Freud warnte vor dem „Unbehagen in der Kultur“.
Die Decke der Zivilisation ist dünn. Darunter brodelt es. Verlangen die Schuldgefühle dem Menschen unterm Strich vielleicht zu viel an Selbstbeherrschung und Triebverzicht ab?
SPRECHERIN:
Hinzu kommt: die verinnerlichten Regeln können jeglicher Vernunft und Logik entbehren. Jedes Individuum verfügt ja über sein ganz persönliches Schuldgefühl, also über ein ganz persönliches Sammelsurium innerer Richtlinien, die sich auf unterschiedliche Weise manifestiert haben.
O-TON 15: (Kernstock-Redl)
„Diese sind anerzogen, beobachtet, eingeredet, sind eigene Schlussfolgerungen, wir erschaffen unsere Regeln auch ganz selber, also da sind auch eigene Schlussfolgerungen dahinter.“
SPRECHER:
Schuldgefühle stellen den Sinn der Regeln, deren Einhaltung sie steuern, nicht in Frage. Vielmehr sorgen sie dafür, dass sich auch problematische oder gar schädliche Überzeugungen verfestigen. Zum Beispiel:
O-TON 16: (Heidi Spanl)
„Wenn Kinder nicht erwünscht sind, also keine Wunschkinder sind und immer das Gefühl haben, irgendwie eine Schuld zu tragen, dass sie überhaupt da sind oder wenn ein Geschwisterkind gestorben ist, dass sie dieses Kind ersetzen sollen und merken, sie schaffen das nicht.“ (REISST ETWAS AB)
MUSIK 8
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
So sehr sie sich auch bemühen: das Schuldgefühl bleibt. Denn die innere Regel, die die Bezugspersonen - wie auch immer - vermittelt haben, lautet:
SPRECHERIN:
Du bist nicht richtig, so wie du bist. Ein anderes Kind glaubt vielleicht: du bist nur richtig, wenn du dich still und unauffällig verhältst.
SPRECHER:
Oder jemand hat die Regel verinnerlicht, dass man alle Versprechen halten muss:
O-TON 17: (Kernstock-Redl)
„Das ist schon ein Gesetz, das extrem ist. Da werde ich relativ oft in meinem Leben Schuldgefühle haben. Wenn der Durchschnitt meiner Umgebung denkt: na, ich halte Versprechen, wenn es irgendwie geht, aber wenn nicht, macht es auch nichts. Die werden mir dann sagen: ja, was tust du dir an? Es ist halt manchmal so, man kann Versprechen nicht einhalten, Dinge ändern sich, das heißt, die können dann vielleicht gar nicht nachvollziehen, dass ich ein Schuldgefühl hab.“
SPRECHERIN:
„Schuld“ und „Soll“ oder „Sollen“ haben dieselben sprachlichen Wurzeln. Es geht um Defizite, die ausgeglichen werden „sollten“. Wie auch immer.
MUSIK 9
"Litany of Bananas" - K: Harry Escott - Album: River (Original Television Soundtrack)
SPRECHER:
Es ist gehupft wie gesprungen: Ob man sie nun brav vermeidet oder im Nachhinein das Zwicken ertragen muss - vor Schuldgefühlen gibt es kein Entkommen.
SPRECHERIN:
Nur gewissenlose Menschen kennen sie nicht.
SPRECHER:
Bestenfalls werden Schuldgefühle von freundlicheren Emotionen in Schach gehalten oder durch so etwas wie Gelassenheit abgemildert.
SPRECHERIN:
Aber es bleibt ein ständiges Ringen um psychische Stabilität. Vor allem bei Menschen, die die Moral hochhalten, kann schnell eine Katerstimmung überhandnehmen.
SPRECHER:
Oder das schlechte Gewissen breitet sich immer wieder aus, weil nahestehende Personen dazu neigen, ihr Befremden zu äußern - nach dem Prinzip: Wie konntest du nur? Das geht ja wohl gar nicht.
O-TON 19: (Kernstock-Redl bei 23 Min)
„Wir alle kennen so Menschen, die durch die Welt gehen und Vorwürfe ausstrahlen oder anderen ständig Vorwürfe machen, also ein Schuldgefühl suggerieren. Und das kann man sich dann schon auch mal einreden lassen. Und man entwickelt dann ein Schuldgefühl, obwohl man außerhalb der Beziehung, wenn man quasi sich wieder ein bissel wachgerüttelt hat, sich denkt: ich bin ja überhaupt nicht schuldig, warum lasse ich mir ein Schuldgefühl einreden?“
SPRECHER:
Vielleicht weil man weiß, dass der Mensch schuldig werden kann, ohne es zu wollen. Wie schnell verstößt man gegen ungeschriebene Gesetze und Konventionen. Also lieber den Kopf einziehen.
MUSIK 10
"End Credits" - Shame - K und A: Harry Escott
SPRECHER:
Wenn Schuldgefühle ausufern, wenn sie sich ständig vorwurfsvoll zu Wort melden. Wenn sie überlaut werden, dann geht die Lebensfreude verloren.
SPRECHERIN:
Dann zeigt das innere (oder auch ausgesprochene) Meckern, Mahnen und Hadern, dass die psychische Verfassung massiv aus dem Gleichgewicht geraten ist. Etwa, weil eine seelische Erkrankung vorliegt, ein Burnout oder eine Depression vielleicht.
O-TON 21: (Kernstock-Redl)
„Eine Untergruppe von depressiven Menschen leidet vorrangig unter Grübelzwängen und die drehen sich sehr oft um Schuld oder um Versagen, die eigene Schlechtigkeit.“
SPRECHER:
Als wäre der eigene Zeigefinger immer erhoben: Der Ton war zu schrill, der sprachliche Ausdruck unangemessen, das Verhalten schlichtweg falsch. Und überhaupt kriegt man wohl nichts mehr auf die Reihe.
wenn Schuldgefühle zu quälenden inneren Gesprächen werden, leidet das Selbstwertgefühl extrem. Als würde man nur noch durch die Gegend schleichen.
SPRECHERIN:
Oder ist es nicht eher umgekehrt: Dass ein schwaches Selbstwertgefühl drückenden Schuldgefühlen Tür und Tor öffnet?
SPRECHERIN:
Kann sein, sagt Helga Kernstock-Redl. Wer von übertriebenen Schuldgefühlen beherrscht wird, gleicht schlichtweg einem bankrotten Schuldner.
O-TON 22: (Kernstock-Redl)
„Ein innerer Faktor, der Schuld begrenzt, sind Rechte. Wenn ich ein Recht habe, etwas zu bekommen, dann entsteht keine Rückzahlungsverpflichtung. Das heißt, ich bin nichts schuldig. Wenn Menschen für sich gar keine Rechte haben, das heißt, wenn jemandem innere Rechte fehlen, das, was man Selbstwert nennt auch, dann ist er hochgradig anfällig, enorme Schuldgefühle zu entwickeln, weil er eben keine Gegenkraft hat.“
SPRECHERIN:
Deshalb neigen extrem abhängige Personen zu vermehrten Schuldgefühlen. Etwa Menschen, die in tyrannischen Beziehungen leben und ihren eigenen Willen unterdrücken.
SPRECHER:
Schuldgefühle machen erpressbar. Da ist die Angst vor Liebesverlust, da ist der niederschmetternde Eindruck, nichts wert zu sein. Da ist das Kreisen um die eigenen Fehler und Versäumnisse.
SPRECHERIN:
Weitaus produktiver wäre es jedoch, sich die Frage zu stellen:
O-TON 23: (Kernstock-Redl)
„Wann leide ich so sehr, dass ich den Eindruck hab, ich kann mein Leben gar nicht mehr genießen. Und spätestens dann ist es wichtig, sich das Gefühl selber mal anzuschauen und dagegen vorzugehen, es zu überprüfen: ist es real?“
SPRECHER:
Also: Hat man wirklich so viel Schuld auf sich geladen, dass die anhaltenden Schuldgefühle gerechtfertigt wären?
SPRECHERIN:
Selbst wenn jemand seinen Mann verlassen hat oder Insolvenz anmelden musste…
SPRECHER:
Die Psychotherapeutin Helga Kernstock-Redl empfiehlt, nach den inneren Regeln hinter den Schuldgefühlen zu suchen, also erst einmal überhaupt zu erkennen, was die wahre Ursache ist. Als da wäre etwa das Verbot, Nein sagen oder auf das persönliche Wohlbefinden achten zu dürfen.
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