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Toxische Weiblichkeit – Gefährliche Stereotype über und von Frauen


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Toxisch - das gilt längst nicht nur für Männlichkeit. Auch weibliche Rollenbilder stehen in der Kritik: aufopfernd, kümmernd, oder zu ich-bezogen. Was ist dran an den toxischen Stereotypen der Frau - und hilft der Begriff uns wirklich weiter? Autorin: Lavina Stauber (BR2025)

Credits
Autorin dieser Folge: Lavina Stauber  
Regie:
Es sprachen:  Susanne Schroeder, Christian Baumann, Sisi Forster, Sophie Rogall 
Technik: Martin Trauner
Redaktion: Yvonne Maier

Im Interview:

  • Dr. Stevie Schmiedel: Expertise in medialen und gesellschaftlichen Geschlechterbildern, insbesondere in der Analyse moderner Frauenrollen und ihrer normativen Wirkung.
    • Dr. Hannah McCann: Expertise in Critical Femininity Studies; analysiert rigide Weiblichkeitsnormen und kritisiert die pauschale Verwendung des Begriffs „toxische Weiblichkeit“.
      • Maike Plath: Expertise in pädagogischer Praxis zu Geschlechterrollen; arbeitet u.a. an der Auflösung internalisierter Stereotype durch performative Bildung.
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        Toxische Männlichkeit

        Gewaltbezogene Männlichkeitsideale und Antifeminismus sind in Deutschland weit verbreitet, auch unter Muslimen, wie der Autor Ahmet Toprak erklärt. Wichtig ist der Blick auf die Wurzeln toxischer Männlichkeit, sagt Demokratieforscherin Fiona Kalkstein.


        Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].

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        Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

        Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

        SPRECHER:

        Toxisch – ein Wort wie ein Warnschild. Toxisch ist, was den Körper schädigt.

        Schlangengift. Tollkirschen. Ein Hauch zu viel Quecksilber. Die Toxikologie ist die Lehre von Giftstoffen, ein Toxin ein Gift, das die Stoffwechselprozesse des Körpers stört, und die Toxizität beschreibt, wie giftig eine Substanz ist – wie schnell, wie stark, wie zerstörerisch sie wirkt.

        Doch irgendwann ist dieser Begriff aus dem Labor ausgebrochen und hat sich in unseren Alltag geschlichen: 

        Toxisch - das können heute Freundschaften sein. Chatverläufe. Liebe und extremer Reichtum. Chefs können toxisch sein. WGs auch. Und ganz selbstverständlich sprechen wir inzwischen in manchen Zusammenhängen auch von gesellschaftlichen Vorstellungen, die als „toxisch“ gelten.

        Welche das sind, und was uns die Diskussion darüber bringt, darum geht es in dieser Sendung. 


        MUSIK


        SPRECHERIN 

        Das Konzept der toxischen Männlichkeit kommt zu Beginn dieser Betrachtungen. Es hat in den vergangenen Jahren immer mehr in unserer Alltagssprache Verwendung gefunden. Wie der Begriff zu verstehen ist, fasst die australische Kulturwissenschaftlerin Hannah McCann zusammen:


        01 ZSP O-Ton Hannah McCann

        The way that toxic masculinity to refer to problematic traits of, that kind of aggression and the kind of dangers of masculinity… 


        VoiceOver:

        Mit dem Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ werden problematische Eigenschaften beschrieben – etwa Aggression, Gewaltbereitschaft und all jene gefährlichen Seiten von Männlichkeit, an denen viele Männer festhalten.


        SPRECHERIN:

        Es geht um die destruktiven, gewaltvollen Aspekte von Männlichkeitsbildern. Und diese männlichen Rollenbilder werden schon in den späten 1980er-Jahren kritisch hinterfragt. Es dreht sich um Begriffe wie die „hegemoniale Männlichkeit“, die ein gesellschaftliches Idealbild vom Mann beschreiben, das aber als schädigend verstanden wird: stark, durchsetzungsfähig, dominant, emotional kontrolliert und heterosexuell. 

        In den 1990er-Jahren taucht dann dieser neue, poppige und lautere Begriff auf, der diesen Männlichkeitsidealen einen griffigen Namen gibt: „toxische Männlichkeit“.


        02 ZSP O-Ton Hannah McCann

        And that's around the time when we saw the rise in masculinity studies in academia. 


        VoiceOver:

        Das war auch die Zeit, in der die Männlichkeitsforschung in der Wissenschaft an Bedeutung gewann.

        SPRECHER:

        Männlichkeitsbilder rücken stärker in den Fokus. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beginnen, sie kritisch zu hinterfragen – vor allem, wenn es um schädliche und destruktive Stereotype von Männlichkeit geht. Der Begriff „toxische Männlichkeit“ bietet sich als neues Schlagwort an. 


        Eine vergleichbare kritische Forschung zur Weiblichkeit gibt es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Erst ab den 2010er Jahren entsteht in der Wissenschaft ein entsprechendes Pendant: Die Critical Femininity Studies, also die kritische Feminismus- und Weiblichkeitsforschung.

        Die australische Kulturwissenschaftlerin Hannah McCann ist in diesem noch jungen Forschungsfeld tätig. 2020 wirft sie in einem mittlerweile viel zitierten Essay den kritischen Blick auf das Konzept der Weiblichkeit. Sie fragt: Gibt es denn auch destruktive Weiblichkeitsbilder? Solche die  als schädlich verstanden werden, genau wie die toxische Männlichkeit auch?

        Sie stellt – so auch der Titel ihres Essay – eine provokante Frage: Is there anything ‘toxic’ about femininity?  Also: Gibt es da etwas ‚Toxisches‘ an Weiblichkeit?


        Musikakzent


        SPRECHER:

        Und so findet sich seit einiger Zeit findet sich zwischen Arbeitskultur, Social Media-Feeds und Beziehungsmustern, gleich neben der toxischen Männlichkeit, ein weiterer Begriff auf der Liste der toxischen Dinge ein: die toxische Weiblichkeit. 


        03 ZSP O-Ton Stevie Schmiedel: 

        Als ich das erste Mal toxische Weiblichkeit hörte, dachte ich natürlich sofort an die Königin in Schneewittchen, die Schneewittchen auch mit dem Apfel vergiftet, insofern sehr passend. Ich dachte an die Frauen im Job, die andere Frauen wegboxen und an Konkurrenz.

        SPRECHERIN:

        Stevie Schmiedel ist Genderwissenschaftlerin und Gründerin der Organisation Pinkstinks, die sich kritisch mit Geschlechterrollen in Werbung, Popkultur und Bildung auseinandersetzt. Ihr Ziel: sexistische Stereotype sichtbar machen und abbauen.


        SPRECHER:

        Toxische Weiblichkeit – das klingt erstmal wie das Gegenstück zur toxischen Männlichkeit. Geht es hier um „giftige Frauen“? Um böse Königinnen und fiese Kolleginnen? Um Frauen, die dominant, kontrolliert, ehrgeizig und emotionslos auftreten – so, wie Männern als toxisch beschrieben werden?

        Doch ganz so einfach ist es nicht.


        SPRECHERIN:

        Als das Konzept der toxischen Weiblichkeit zum ersten Mal auftaucht, ist es noch lange nicht klar umrissen. Auch Stevie Schmiedel muss sich erst erschließen, was genau damit gemeint ist.

        04 ZSP O-Ton Stevie Schmiedel: 

        Ich hatte eigentlich eher toxische männliche Attribute dieser toxischen Weiblichkeit zugeschrieben. Ich musste dann aber verstehen, dass toxische Weiblichkeit eher von den Frauen spricht, die sich eher zurücknehmen, sehr um ihre traditionelle Weiblichkeit kümmern, weil sie das so gelernt haben. Und damit sich selber schaden. Und das muss man natürlich auch erstmal verstehen, es ist eben wieder ein neuer Begriff. 


        SPRECHERIN:

        Der Begriff „toxische Weiblichkeit“ ist ein neuer Begriff. Während über „toxische Männlichkeit“ inzwischen in den Medien, in Talkshows oder in sozialen Netzwerken breit diskutiert wird, bleibt das Konzept toxischer Weiblichkeit vage, ungenau und vor allem – wenig besprochen.

        Und das hat einen Grund:


        05 ZSP O-Ton Hannah McCann

        Femininities as a concept has been relatively under-theorized and under focused on, not focused on, compared to … 


        VoiceOver:

        Weiblichkeit als Konzept ist bislang vergleichsweise wenig theoretisch durchdrungen worden – und wurde auch weniger in den Fokus genommen, zumindest im Vergleich zur Männlichkeit. Natürlich gibt es eine lange Geschichte feministischer Theorie, feministischer Debatten, von Aktivismus und der Frauenforschung als eigenständigem Feld. Aber die spezifische Begrifflichkeit von Weiblichkeit stand nie so im Mittelpunkt – jedenfalls nicht in einer Weise, wie wir es aus den Männlichkeitsstudien kennen.


        SPRECHERIN

        Frauen und die Weiblichkeit rücken nicht nur später in den Fokus der Forschung – sie werden auch insgesamt weniger diskutiert. In der wissenschaftlichen Literatur ist „toxische Männlichkeit“ mittlerweile ein etablierter Begriff: Es gibt unzählige Artikel, Debatten, Kommentare. „Toxische Weiblichkeit“ dagegen? Eher ein Randphänomen.

        Und doch: Der Begriff hat sich seinen Weg gebahnt.


        06 ZSP O-Ton Hannah McCann

        The term toxic femininity kind of doesn't exist in academia. It really doesn't. But it does exist in these other spaces …


        VoiceOver

        Den Begriff ‚toxische Weiblichkeit‘ gibt es in der Wissenschaft so gut wie nicht. Aber in anderen Räumen ist er präsent: online, in sozialen Netzwerken und im öffentlichen Diskurs. Dort existiert er.


        SPRECHER / Zwischenfazit

        Online finden sich mittlerweile über 80.000 Treffer zum Begriff „toxische Weiblichkeit“. Der Ausdruck ist also im Umlauf. Aber was genau meint er eigentlich?

        Bisher wissen wir nur: Der Begriff ist relativ neu, wissenschaftlich kaum erforscht, eher vage umrissen – und lässt sich nicht einfach eins zu eins mit der „toxischen Männlichkeit“ vergleichen. Die Frage ist also: Wie wird sie nun definiert, die toxische Weiblichkeit?

        Tja, eine einfache Antwort gibt es leider nicht. 


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