Ein Kommentar von Michael Meyen.
Wie es um die Universität der Gegenwart bestellt ist, wird die Welt von morgen prägen — daran gemessen sind die Aussichten nicht gut. Exklusivauszug aus „Wie ich meine Uni verlor.“
Wer die Polizei und das Militär kontrolliert, kann Widerstand vielleicht unterdrücken — wer dagegen die Universitäten kontrolliert, sorgt dafür, dass Widerstand über Generationen gar nicht erst in den Köpfen der Menschen entstehen kann. Es gibt wohl keine wirksamere Schule der Angepasstheit als die akademische Welt. Sicher, schon bei Schülern wird der Grundstein gelegt für ein gewohnheitsmäßig unselbstständiges Denken, für angstgetriebene Unterwerfung unter eine Obrigkeit; in den Universitäten jedoch werden diejenigen geistig unterdrückt, die später einmal im Berufsleben selbst zu Unterdrückern des Geistes werden sollen: als Politiker, Wirtschaftslenker, Professoren, Medienschaffende und Experten aller Art. Die Freiheit stirbt nicht, wenn sie einmal vorübergehend eingeschränkt wird — sie stirbt erst, wenn es kaum mehr einen Menschen gibt, der sie zu denken oder auch nur zu wollen vermag. Deshalb ist die Herrschaft über die Köpfe für ein totalitäres Regime so wichtig. Deshalb hat man über Jahrzehnte erfolgreich versucht, die Universitäten zu unterwerfen. Michael Meyen hat den Prozess am eigenen Leibe erlitten und auch einige seiner Studenten an „das System“ verloren. Er entzündet aber auch — in Anlehnung an den tschechischen Dichter Václav Havel — einen Funken Hoffnung. Der Versuch des Einzelnen, in der Wahrheit zu leben, hilft, dass sich die Lüge zumindest nicht allumfassend ausbreitet.
„Wer die Universitäten beherrscht, bestimmt, wie wir leben“, heißt es auf einer der ersten Seiten in diesem Buch. Der nächste Satz: „Die Universität ist das Nadelöhr, das jeder passieren muss, der irgendwann irgendwo etwas zu sagen haben will.“ Wer dort hängenbleibt, wird zu einem der Priester der Gegenwart, umworben von allen, die etwas durchsetzen wollen und die Ressourcen haben, sich Gunst und Segen des akademischen Wahrheitsregimes zu besorgen. Ich spreche dabei nicht von einem Gefälligkeitsgutachten hier und einer Auftragsstudie dort. Die Freiheit der Wissenschaft ist im letzten Vierteljahrhundert systematisch ausgehöhlt worden. Lehre und Betreuung, Politisierung der Forschung, Anreiz- und Abschreckungssysteme: Alle drei Hebel drücken in die gleiche Richtung und werden von den gleichen Akteuren bedient, die man mit Sheldon Wolin „Supermacht“ nennen kann, um auf die Hochzeit von Staaten und Weltkonzernen zu verweisen, oder mit Kees van der Pijl „Machtblock“, wenn es um das Zusammenspiel von Geheimdiensten, IT-Giganten und Leitmedien geht.
Die Universitäten stehen dabei auch pars pro toto. Schule und Familie, Klein- und Mittelbetriebe, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, Gerichte und Journalismus: Nahezu alle Institutionen, die in der Vergangenheit Normen und Werte tradiert oder diskutiert und so die öffentliche Meinungs- und Willensbildung genau wie das Handeln von Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften entscheidend beeinflusst haben, können ähnliche Geschichten erzählen. „Supermacht“ und Machtblock haben sie entweder schon gekapert und ihrer Eigenlogik beraubt oder unter Beschuss genommen.
Es braucht sicher keinen Ostdeutschen, um das zu erkennen und zu beschreiben, aber es mag von Vorteil sein, einmal erlebt zu haben, wie Narrativ und Wirklichkeit auseinanderklaffen können. Ganz ähnlich wie Birk Meinhardt fand ich das Versprechen des Westens zwar faszinierend und habe die Aufstiegschance genutzt, die damit verbunden war, zugleich aber nicht vergessen, dass die DDR auch an der Blindheit von Parteigängern gescheitert ist, die nicht bereit waren, öffentlich zu sagen, wenn etwas schiefläuft. Ich schließe mich da gar nicht aus. Anpassung und Feigheit, verschämtes Schweigen und sogar Trommeln selbst da, wo Widerspruch angesagt gewesen wäre: All das kennt jeder,