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Mit der Bamberger Verfassung von 1919 wird auch das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten geschaffen. Seine historischen Wurzeln reichen aber viel weiter zurück. Erst nach 1945 bekommt das höchste Amt im Freistaat Bayern die Befugnisse, die es heute hat. Von Thomas Grasberger
Credits
Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Julia Fischer, Thomas Birnstiel
Technik: Joseph Angloher
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Rainald Becker, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg
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Sprecherin (Effekt)
Stellenausschreibung: Gesucht wird eine Person ¬(männlich – weiblich – divers) für das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Der Bewerber/ die Bewerberin muss das 40. Lebensjahr vollendet haben, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, im Freistaat Bayern wohnhaft und dort wahlberechtigt sein.
Sprecher (Effekt)
Umfassende Kenntnisse der bayerischen und bundesdeutschen Politik sowie der Verfassung und des Staatsrechts sind unerlässlich. Ein CSU-Parteibuch ist nicht zwingend erforderlich, erhöht aber – das zeigt ein Blick in die bayerische Nachkriegsgeschichte – die Chancen enorm.
Musik 2: Bayernhymne -
Sprecherin
So oder so ähnlich könnte eine Stellenausschreibung für das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten aussehen. In der Tageszeitung wird man sie freilich nicht finden. Denn Ministerpräsidentenposten werden auch in Bayern nicht ausgeschrieben, sondern durch Wahlvorschläge und demokratische Wahlen vergeben. Schließlich handelt es sich ja um das höchste Amt im Freistaat.
Sprecher
Um dieses Amt auszufüllen, braucht es eine ganze Reihe von Qualifikationen. Führungskompetenz, Entscheidungsstärke, Kommunikations- und Teamfähigkeit. Auch Volksnähe und Leutseligkeit gehören dazu, wie das Beispiel des amtierenden Ministerpräsidenten Markus Söder zeigt.
Archiv Markus Söder
„Ich sage es mal ganz persönlich, jeder soll essen, was er will, aber ohne Fleisch und ohne Bratwurst ist doch ein Leben gar nicht sinnvoll, meine sehr verehrten Damen und Herren, oder?“
Sprecherin
Aber die Bratwurst allein ist natürlich nicht dafür verantwortlich, dass das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten manchmal als „das schönste der Welt“ bezeichnet wird.
Musik aus
Sprecher
Dieses geflügelte Wort wird Franz Josef Strauß zugeschrieben. Als der 1980 Ambitionen auf das Bonner Bundeskanzleramt hatte, relativierte er seine Begehrlichkeiten mit dem Hinweis, dass er als bayerischer Ministerpräsident ja eigentlich schon das schönste Amt innehabe.
Sprecherin
Ob das nur ein rhetorisches Hintertürchen war, für den Fall einer Niederlage bei der Kanzlerwahl, die dann ja auch prompt eintrat? Nun, sicherlich war das Zitat für eine breite bayerische Öffentlichkeit gedacht, sagt Rainald Becker, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg. Aber es hatte auch einen „real-geschichtlichen Kern“.
ZSP 1 Becker schönste Amt 0,26
Es spielt eben doch auf die Bedeutung dieses Amtes auch in der Bonner Republik vor der Wiedervereinigung an. München als wichtiges Machtzentrum eben in dieser Bonner Republik und damit schon ein Amt, das Gestaltungsmacht geboten hat. Und ich glaube, das schwingt in dieser Formulierung mit. Also auch für jene Nachfolger von Strauß, die das dann auch immer wieder sich darauf bezogen haben.
Musik 3: Prosit con fuoco
Sprecher
Der Historiker Rainald Becker ist Mitherausgeber eines 2024 erschienenen Bandes über „Die Bayerischen Ministerpräsidenten 1918 bis 2018“. Nimmt man den Ministerpräsidenten Markus Söder noch hinzu, haben in gut 100 Jahren 20 Männer das höchste Regierungs- und Staatsamt im Freistaat bekleidet. Geschaffen wurde es mit der Bamberger Verfassung vom 14. August 1919, also unmittelbar nach dem Ende der bayerischen Monarchie.
Sprecherin
Seine historischen Wurzeln aber reichen viel weiter zurück, sagt Rainald Becker. Leitende Minister gab es schon in der Kurfürstenzeit des 17. und 18. Jahrhunderts. Und auch im Königreich des 19. Jahrhunderts stand zwar der Monarch als Souverän ganz oben. Aber er konnte nicht allein regieren, sondern musste sich auf seine führenden Minister verlassen.
ZSP 2 Becker Vorgeschichte 0,28
Je weiter die historische Entwicklung geht, desto bedeutender wird eben dieser Vorsitzende im Ministerrat, wie es heißt. Zugleich auch oft in Personalunion Minister des Königlichen Hauses und des Äußern. Also diese Funktion gewinnt an Bedeutung. Der König wird immer stärker zum Unterschreibe-König. Das Ministerium legt ihm eigentlich alles vor.
Musik 4: The Sisters Brothers
Sprecher
Der Begriff „Ministerpräsident“ taucht schon in den Massenmedien des Königreichs auf. 1912 wird etwa der Zentrumspolitiker Georg von Hertling so bezeichnet. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Monarchien Europas ins Wanken geraten, kommt es auch in Bayern zu einer unblutigen Revolution.
Sprecherin
Der in Berlin geborene jüdische Pazifist, Sozialist und bayerische Föderalist Kurt Eisner setzt sich 1918 an die Spitze eines revolutionären Gesamtministeriums. Eisner übernimmt den Begriff des Ministerpräsidenten. Allerdings ist jetzt nicht mehr ein König der Souverän, sondern das Volk.
ZSP 3 Becker Eisner 0,25
Also was bei ihm wirklich neu ist, ist halt, dass sozusagen der Monarch fehlt. Also er steht an der Spitze des Freistaats, der Bayerischen Republik. Und damit würde ich schon sagen, ab 1918 ist schon ein neues Kapitel in der Bayerischen Verfassungsgeschichte aufgeschlagen, aber immer doch auch in einem historischen Kontext, den man eben nicht vergessen sollte.
Musik 5: Morddrohungen
Sprecher
Bayerns erster Ministerpräsident Kurt Eisner wird im Februar 1919 von einem Rechtsextremisten hinterrücks ermordet. Es folgen bürgerkriegsartige Zustände und zwei Räterepubliken, die dann von rechten Freikorps und Reichswehrtruppen blutig niedergeschlagen werden. Danach wird Bayern Teil der neu geschaffenen Weimarer Republik.
Sprecherin
In der Bamberger Verfassung des Freistaates Bayern von 1919 ist nun auch offiziell von einem Ministerpräsidenten die Rede. Aber seinen Befugnissen sind enge Grenzen gesetzt, denn er ist stark eingebunden in ein Gesamtministerium, das sich auf die Landtagsmehrheit stützt.
ZSP 4 Becker Landtag 0,32
Man könnte fast die These wagen, der Landtag tritt in gewisser Hinsicht an die Stelle des Monarchen. Also der Landtag hat jetzt eine sehr, sehr starke Position. In ihm sammelt sich durch die Volkswahl begründet und legitimiert eigentlich die Souveränität. Und die Regierung ist vom Vertrauen des Landtags in hohem Maße abhängig. Und der Ministerpräsident hat in der Weimarer Republik die Rolle eines Moderators.
Sprecherin
Er ist ein „primus inter pares“, ein Erster unter Gleichen. Als solcher gibt der Ministerpräsident zwar die politische Richtung vor, hat aber noch keine Richtlinienkompetenz. Diese relative Schwäche des Amtes hat auch mit dem Chaos von 1919 zu tun. Während die Reichsverfassung ausgehandelt wurde, war der Freistaat politisch gelähmt. Bayerische Reservat- und Sonderrechte wie eine eigene Post, Eisenbahn, Armee oder Finanzhoheit gingen in der zentralistischen Weimarer Verfassung verloren. Die Teilstaaten wurden zu „Kostgängern des Reiches“.
Sprecher
Was aber nicht unwidersprochen blieb. Das Verhältnis von Bayern zum Reich wurde ein politischer Dauerbrenner der Weimarer Republik. Weil in Preußen und Sachsen die Ministerpräsidenten mächtiger ausgestattet waren, wurden in München immer wieder Forderungen laut nach einer Stärkung der eigenen Position. Vor allem aus den Reihen der BVP, der Bayerischen Volkspartei. Sie forderte sogar ein bayerisches Staatsoberhaupt, also einen Staatspräsidenten neben dem Ministerpräsidenten.
Musik 6: The Sisters Brothers
Sprecherin
Teile der BVP waren damals stramm monarchistisch. Den Feind verortete man grundsätzlich „links“ – und „oben im roten Berlin“, bei der Reichsregierung. Deshalb schwang sich Bayern selbst zur „Ordnungszelle“ auf. Das ganze Reich sollte am bayerischen Wesen genesen, hieß es. Eine fatale Selbsteinschätzung in krisengeschüttelten Zeiten.
Sprecher
Denn Bayern wurde zum Hort der nationalen Rechten und völkischer Rechtsextremisten. Obwohl die konservativ-katholische BVP mit 30 bis 40 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Partei stellte, fand sich in ihren Reihen zunächst kein Politiker, der Ministerpräsident werden wollte. Man schob lieber hohe bayerische Beamte wie Gustav Ritter von Kahr nach vorne.
Sprecherin
Erst nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923, in dem Gustav von Kahr eine undurchsichtige Rolle spielt, grenzt sich die Bayerische Volkspartei nach Rechtsaußen hin ab. Weil man mit Beamtenministerpräsidenten schlechte Erfahrungen gemacht hat, erklärt sich nun auch der BVP-Fraktionsvorsitzende, der einflussreiche katholische Journalist Heinrich Held, bereit, das Amt zu übernehmen.
ZSP 5 Becker Held 0,19
Der stärkste Exponent der Landtagspartei wird dann auch Ministerpräsident und geht ja dann doch eben auch Koalitionsregierungen ein. Und das ist dann eben diese zweite berühmte stabile Phase, die auch dem Ministerpräsidenten dann eine stärkere Rolle oder ein besseres Agieren erlaubt.
Sprecher
Die stabile Phase der Weimarer Demokratie endet 1930. Drei Jahre später übernimmt die NSDAP die Macht. Und in Bayern wird Ministerpräsident Heinrich Held am 9. März 1933 rüde aus dem Amt gedrängt. Die Nationalsozialisten ernennen den Münchner General Franz Xaver Ritter von Epp zum neuen Reichskommissar für Bayern.
Musik 7: Signatur Folge
Archiv Franz Ritter von Epp (O-Ton)
„Bayerische Landsleute! Deutsche Volksgenossen! Die Welle der deutschen Erhebung hat nun auch nach Bayern herein geschlagen! (Heil! Heil!)“
Sprecher
Reichskommissar von Epp ernennt am 12. April 1933 den vormaligen Lindauer Oberbürgermeister Ludwig Siebert zum Ministerpräsidenten – ohne jede demokratische Legitimation. Nach Sieberts Tod 1942 wird dann mit Paul Giesler ein fanatischer Nationalsozialist eingesetzt, der sich aber ganz auf seine Funktion als Gauleiter von München-Oberbayern konzentriert. Das Amt des Ministerpräsidenten, das formal dem Reichskommissar untersteht, bleibt in den 12 Jahren der NS-Diktatur also dem Namen nach bestehen. Inhaltlich aber wird es zu einer weitgehend leeren Hülle.
Musik aus
Sprecherin
Als das bezwungene Deutschland 1945 unter den Siegermächten aufgeteilt wird, kommt Bayern – mit Ausnahme der Pfalz und Lindau – zur US-Besatzungszone. Aus der NS-Reichsprovinz soll wieder ein Freistaat Bayern werden. Am 28. Mai 1945 ernennt die US-Militärregierung den ehemaligen BVP-Vorsitzenden Fritz Schäffer zum „Temporary Minister-Präsident for Bavaria“.
Archiv Rundfunkansprache des bayerischen Ministerpräsidenten Fritz Schaeffer
Der Nationalsozialismus war der Feind des Heimatgedankens. Wir bauen auf dem Heimatgedanken wieder auf und wollen eine bayerische Heimat, frei und echt und wahr. (0,15)
Sprecher
Fritz Schäffer blieb nur vier Monate im Amt, weil er den US-Militärs zu nachsichtig im Umgang mit Nazi-Mitläufern erschien. Zu seinem Nachfolger wurde Wilhelm Hoegner ernannt, ein bayerischer Sozialdemokrat, der schon vor 1933 mutig gegen die Nationalsozialisten aufgetreten war.
ZSP 6 Becker Nachkrieg 0,42
Fritz Schäffer und Wilhelm Hoegner, beides Parlamentarier, Politiker, die aufgewachsen sind mit dem Entstehen der ersten bayerischen Demokratie in republikanischer Form; die auch wissenschaftlich, intellektuell, Hoegner etwa als Jurist, diese Dinge einordnen konnten und die damit auf ein Erbe zurückgreifen konnten, das dann schon nach 1945 sehr bedeutend wurde.
Sprecher
Wilhelm Hoegner – ein bekennender Föderalist und damit ein Außenseiter in seiner eher zentralistischen SPD – hat während der NS-Zeit im Schweizer Exil gelebt. Unmittelbar nach dem Krieg wird er zum „Vater der Bayerischen Verfassung“. Auch die Frage nach einem bayerischen Staatsoberhaupt steht damals wieder auf der Tagesordnung, sagt Rainald Becker.
ZSP 7 Becker Staatsoberhaupt 0,24
Man wusste auch nicht, was so werden würde. Es gab eben die Westzonen. Und es gab die sowjetische Zone. Würde also ein neuer deutscher Gesamtstaat überhaupt entstehen können? Und vor dem Hintergrund kann man sowohl Hoegners, aber auch Schäffers Ideen, auch die bayerische Souveränität zu bewahren, verstehen. Also das war ja für die Zeitgenossen alles nicht so absehbar, wie sich das für uns heute so präsentiert.
Sprecherin
Bereits drei Jahre vor dem Grundgesetz tritt im Jahr 1946 Bayerns Verfassung in Kraft. Der Ministerpräsident ist darin viel stärker ausgestattet als zur Weimarer Zeit. Ganz entscheidend ist seine Richtlinienkompetenz.
ZSP 8 Becker Richtlinienkompetenz 0,35
Also der Ministerpräsident ist tatsächlich Leiter auch des Kabinetts. Die Minister sind ihm zugeordnet, führen ihre Portfolios, ihre Ministerien in Eigenverantwortung, unterstehen aber dann letztlich sehr stark der Kabinettsdisziplin, in der der Ministerpräsident die Richtlinienkompetenz ausübt. Also eine Aufwertung des Amtes, und damit eine Weiterentwicklung, eine Neufassung gegenüber der Weimarer Zeit, auch in Reaktion auf die NS-Zeit, auf die Erfahrung des Verschwindens dieses Amtes.
Musik 8: Hoamgeh
Sprecher
Der Ministerpräsident nimmt auch repräsentative Aufgaben wahr und vertritt den Freistaat nach außen. Nicht zuletzt gegenüber dem Gesamtstaat, dem Bund. Die Frage, wie viel Bayern darf und wie viel Bund muss es sein, wird auch nach 1945 wieder zum politischen Zankapfel.
Sprecherin
Nicht nur innerhalb der CSU, wo sich in der Frühphase konservativ-katholische Traditionalisten und interkonfessionelle Modernisten aufs heftigste bekämpfen. Auch das Aufscheinen der separatistisch gestimmten Bayernpartei wirbelt das politische Leben im Freistaat einige Jahre lang kräftig durcheinander. Und dann ist da noch die große Schwesterpartei – die Christlich Demokratische Union CDU, mit der die CSU seit 1949 eine gemeinsame Bundestagsfraktion bildet.
Musik aus
Sprecher
Was Bayern stets entgegenkommt, ist die traditionell föderalistische Haltung der US-amerikanischen Besatzer. Die wollen West-Deutschland dezidiert als Bundesstaat sehen. Im Unterschied zu Bindestrich-Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen weist Bayern eine lange Tradition der Staatlichkeit auf und kann so ein historisches Gewicht in die Waagschale werfen.
Sprecherin
Entsprechend selbstbewusst treten bayerische Spitzenpolitiker in der Bundesrepublik auf. Ministerpräsident Hans Ehard von der CSU zum Beispiel, der 1946 auf Hoegner folgt. Der Oberfranke verteidigt im November 1948 in einem Rundfunkgespräch die Rechte der Bundesländer bei den Beratungen zum Grundgesetz.
Archiv Hans Ehard
„Es gibt überhaupt nichts, kein Ding im Bund, an dem die Länder nicht ein ganz entscheidendes Interesse haben, weil sie eben Teile, weil sie Glieder des Bundes sind.“
Musik 9: Hoamgeh
Sprecher
Mit Wilhelm Hoegner stand in den frühen Nachkriegsjahren gleich zweimal ein Sozialdemokrat an der Spitze des Freistaates. Hoegners Vierer-Koalition von 1954 bis 1957 ist bis heute ein politisches Schreckgespenst für die später so erfolgsverwöhnte CSU geblieben. Seit 1957 aber, als Hanns Seidel das Amt übernahm, stellte die CSU in Bayern ununterbrochen den Ministerpräsidenten.
Sprecherin
Der war oft auch CSU-Parteivorsitzender – der Oberfranke Hans Ehard und der Unterfranke Hanns Seidel, später die Altbayern Franz-Josef Strauß, Edmund Stoiber und Horst Seehofer. Heutzutage auch der Mittelfranke Markus Söder.
Sprecher
Kein Parteivorsitzender, aber ein erfolgreicher Ministerpräsident, war der in der Oberpfalz geborene Bäckersohn Alfons Goppel. In seiner Ära ging es seit 1962 steil bergauf mit dem agrarisch geprägten und wirtschaftlich noch relativ schwachen Bayern, das sich erst in den 1950er Jahren auf den Weg zum Industrieland gemacht hatte.
Musik 10: Bayern- Hymne
Sprecherin
Goppel wirkte manchmal wie ein König, wenn er etwa die englische Queen in der Residenzstadt München mit der Bayernhymne empfing. Er war der erste, der den Typus des Landesvaters repräsentierte und dabei gleichzeitig die Modernisierung Bayerns vorantrieb. 1966 etwa, beim Startschuss für den Bau der Münchner S-Bahn.
Archiv Alfons Goppel
Und wenn´s eben schon hieß, reißt´s die Strassn auf. Dann möcht ich sagen: Ja, reißt sie auf und baut hinein und baut sie wieder zu. Damit wir weiterkommen in eine friedvolle und in eine glückliche Zukunft, dass diese heimliche Hauptstadt uns nicht unheimlich wird. In diesem Sinne möchte ich diesen Pfahl nun hinunterschicken in die Erde.
Sprecher
Alfons Goppel regiert bis 1978. Seine 16 Jahre sind die bis heute längste Amtszeit eines bayerischen Ministerpräsidenten. Und das in einer besonders wichtigen Phase, sagt Rainald Becker.
ZSP 9 Becker Landesvater 0,27
Aus dem Armenhaus der Bundesrepublik wird Bayern zu einem wirtschaftlichen Front Runner - das Ganze moderiert er sozusagen hinter dem Landesvater-Image und kann damit ebenso etwas wie Beruhigung, Beheimatung geben. Die ganzen Umbruchprozesse, die ja auch krisenhafte Züge tragen, sie können sozusagen in dieser Hinsicht gedeckelt werden, und das erklärt sicherlich auch den sehr starken Erfolg dann der CSU.
Sprecherin
Unter Alfons Goppel erreicht die Partei ihr historisch bestes Ergebnis: 62,1 Prozent der Wählerstimmen bei den Landtagswahlen 1974. Auch danach bleibt die CSU noch viele Jahre lang die alles bestimmende Partei im Freistaat. Und bringt nach der Ära Goppel wieder einen kernigen Landesvater hervor – einen Vollblut-Politiker, der wie kein Zweiter für Bayern steht: Franz Josef Strauß.
ZSP 10 Becker FJS 0,38
Er vertritt das barocke Bayern, er vertritt das gebildete Bayern, auch mit seinem humanistischen Bildungshintergrund. Seine kräftige Sprachlichkeit, die souveräne Art, sich zu bewegen in ganz unterschiedlichen Milieus – Bierzelt hier, Akademiker-Zirkel dort. Das andere ist sicherlich sein starkes bundespolitisches Profil. Von der Gründungszeit der Bundesrepublik an, hat er eine große politische Rolle und er vertritt auch diesen Anspruch der CSU auf Mitregierung und Gehört-Werden in Bonn, auf der Bundesebene. Und er hat ein großes internationales Profil.
Musik 11: Masskrug stemmen 32 Sek
Sprecher
Der Weg nach Bonn ins Bundeskanzleramt erwies sich für Strauß zwar als zu weit. Dafür betrieb er als bayerischer Ministerpräsident mit großer Leidenschaft eine Neben-Außenpolitik, die ihn in die ganze Welt führte. In die USA, nach Israel, England oder Frankreich. 1975 auch in die Volksrepublik China, wo der CSU-Vorsitzende als erster deutscher Politiker von Staats- und Parteichef Mao Zedong empfangen wurde. Musik aus
Sprecher
Als die CSU-Ikone Strauß im Herbst 1988 ganz überraschend stirbt, verlässt ein streitbarer bayerischer Ministerpräsident die Bühne. Bald darauf ändert sich auch die politische Großwetterlage – der Kalte Krieg geht zu Ende, die beiden Teile Deutschlands werden vereinigt, neue Bundesländer kommen hinzu. Die politischen Gewichte in Deutschland verschieben sich.
Sprecherin
2002 scheitert nach Strauß der nächste Bayer beim Versuch, deutscher Bundeskanzler zu werden – Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der erzielt immerhin im Jahr darauf bei den Landtagswahlen wieder ein historisches Ergebnis für die CSU ¬– mit 60,7 Prozent der Stimmen. Stoibers 14 Jahre währende Amtszeit ist die zweitlängste. Nach ihm kann die CSU nur noch einmal, in Horst Seehofers zweiter Amtszeit von 2013 bis 2018, eine absolute Mehrheit in Bayern holen. Immer öfter ist sie fortan auf Koalitionen angewiesen. Ein Prozess, der auch die Rolle des Ministerpräsidentenamtes verändert, sagt der Historiker Rainald Becker.
ZSP 11 Becker schwerer 0,22
Man darf auch die Globalisierung nicht unterschätzen. Das Europäische Zusammenwachsen, da versucht natürlich Bayern seinen Fuß drinnen zu haben und es wäre sicher auch eine sehr wichtige Aufgabe eines bayerischen Ministerpräsidenten, da Flagge zu zeigen. Aber es wird schwieriger. Es wird ja auch die wirtschaftliche Selbstbehauptung schwieriger, der ökonomische Hintergrund.
Musik 12: Masskrug stemmen
Sprecherin
Vielleicht war ja die Zeit, in der sich ein bayerischer Ministerpräsident felsenfest auf eine absolute Mehrheit stützen konnte, auch nur eine historische Ausnahme. Entscheidend aber dürfte bleiben, dass die Amtsträger auch künftig ein Gespür für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger haben – und nicht von oben herab entscheiden.
Archiv Horst Seehofer
„Es gibt bei uns keine Machtworte. Dialog und Entscheidung.“
Sprecher
Der Satz stammt von Horst Seehofer, der zwischen 2008 und 2018 bayerischer Ministerpräsident war. Er war es auch, der auf die Frage, ob sein Amt das schönste der Welt sei, verschmitzt lächelnd antwortete.
Archiv Horst Seehofer
(1,59-2,05)
„Das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten wäre das schönste auf der Welt, wenn ich nicht für meine Ideen immer wieder eine Zustimmung bräuchte.“
4.5
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Mit der Bamberger Verfassung von 1919 wird auch das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten geschaffen. Seine historischen Wurzeln reichen aber viel weiter zurück. Erst nach 1945 bekommt das höchste Amt im Freistaat Bayern die Befugnisse, die es heute hat. Von Thomas Grasberger
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„Ich sage es mal ganz persönlich, jeder soll essen, was er will, aber ohne Fleisch und ohne Bratwurst ist doch ein Leben gar nicht sinnvoll, meine sehr verehrten Damen und Herren, oder?“
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Aber die Bratwurst allein ist natürlich nicht dafür verantwortlich, dass das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten manchmal als „das schönste der Welt“ bezeichnet wird.
Musik aus
Sprecher
Dieses geflügelte Wort wird Franz Josef Strauß zugeschrieben. Als der 1980 Ambitionen auf das Bonner Bundeskanzleramt hatte, relativierte er seine Begehrlichkeiten mit dem Hinweis, dass er als bayerischer Ministerpräsident ja eigentlich schon das schönste Amt innehabe.
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Ob das nur ein rhetorisches Hintertürchen war, für den Fall einer Niederlage bei der Kanzlerwahl, die dann ja auch prompt eintrat? Nun, sicherlich war das Zitat für eine breite bayerische Öffentlichkeit gedacht, sagt Rainald Becker, Professor für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg. Aber es hatte auch einen „real-geschichtlichen Kern“.
ZSP 1 Becker schönste Amt 0,26
Es spielt eben doch auf die Bedeutung dieses Amtes auch in der Bonner Republik vor der Wiedervereinigung an. München als wichtiges Machtzentrum eben in dieser Bonner Republik und damit schon ein Amt, das Gestaltungsmacht geboten hat. Und ich glaube, das schwingt in dieser Formulierung mit. Also auch für jene Nachfolger von Strauß, die das dann auch immer wieder sich darauf bezogen haben.
Musik 3: Prosit con fuoco
Sprecher
Der Historiker Rainald Becker ist Mitherausgeber eines 2024 erschienenen Bandes über „Die Bayerischen Ministerpräsidenten 1918 bis 2018“. Nimmt man den Ministerpräsidenten Markus Söder noch hinzu, haben in gut 100 Jahren 20 Männer das höchste Regierungs- und Staatsamt im Freistaat bekleidet. Geschaffen wurde es mit der Bamberger Verfassung vom 14. August 1919, also unmittelbar nach dem Ende der bayerischen Monarchie.
Sprecherin
Seine historischen Wurzeln aber reichen viel weiter zurück, sagt Rainald Becker. Leitende Minister gab es schon in der Kurfürstenzeit des 17. und 18. Jahrhunderts. Und auch im Königreich des 19. Jahrhunderts stand zwar der Monarch als Souverän ganz oben. Aber er konnte nicht allein regieren, sondern musste sich auf seine führenden Minister verlassen.
ZSP 2 Becker Vorgeschichte 0,28
Je weiter die historische Entwicklung geht, desto bedeutender wird eben dieser Vorsitzende im Ministerrat, wie es heißt. Zugleich auch oft in Personalunion Minister des Königlichen Hauses und des Äußern. Also diese Funktion gewinnt an Bedeutung. Der König wird immer stärker zum Unterschreibe-König. Das Ministerium legt ihm eigentlich alles vor.
Musik 4: The Sisters Brothers
Sprecher
Der Begriff „Ministerpräsident“ taucht schon in den Massenmedien des Königreichs auf. 1912 wird etwa der Zentrumspolitiker Georg von Hertling so bezeichnet. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Monarchien Europas ins Wanken geraten, kommt es auch in Bayern zu einer unblutigen Revolution.
Sprecherin
Der in Berlin geborene jüdische Pazifist, Sozialist und bayerische Föderalist Kurt Eisner setzt sich 1918 an die Spitze eines revolutionären Gesamtministeriums. Eisner übernimmt den Begriff des Ministerpräsidenten. Allerdings ist jetzt nicht mehr ein König der Souverän, sondern das Volk.
ZSP 3 Becker Eisner 0,25
Also was bei ihm wirklich neu ist, ist halt, dass sozusagen der Monarch fehlt. Also er steht an der Spitze des Freistaats, der Bayerischen Republik. Und damit würde ich schon sagen, ab 1918 ist schon ein neues Kapitel in der Bayerischen Verfassungsgeschichte aufgeschlagen, aber immer doch auch in einem historischen Kontext, den man eben nicht vergessen sollte.
Musik 5: Morddrohungen
Sprecher
Bayerns erster Ministerpräsident Kurt Eisner wird im Februar 1919 von einem Rechtsextremisten hinterrücks ermordet. Es folgen bürgerkriegsartige Zustände und zwei Räterepubliken, die dann von rechten Freikorps und Reichswehrtruppen blutig niedergeschlagen werden. Danach wird Bayern Teil der neu geschaffenen Weimarer Republik.
Sprecherin
In der Bamberger Verfassung des Freistaates Bayern von 1919 ist nun auch offiziell von einem Ministerpräsidenten die Rede. Aber seinen Befugnissen sind enge Grenzen gesetzt, denn er ist stark eingebunden in ein Gesamtministerium, das sich auf die Landtagsmehrheit stützt.
ZSP 4 Becker Landtag 0,32
Man könnte fast die These wagen, der Landtag tritt in gewisser Hinsicht an die Stelle des Monarchen. Also der Landtag hat jetzt eine sehr, sehr starke Position. In ihm sammelt sich durch die Volkswahl begründet und legitimiert eigentlich die Souveränität. Und die Regierung ist vom Vertrauen des Landtags in hohem Maße abhängig. Und der Ministerpräsident hat in der Weimarer Republik die Rolle eines Moderators.
Sprecherin
Er ist ein „primus inter pares“, ein Erster unter Gleichen. Als solcher gibt der Ministerpräsident zwar die politische Richtung vor, hat aber noch keine Richtlinienkompetenz. Diese relative Schwäche des Amtes hat auch mit dem Chaos von 1919 zu tun. Während die Reichsverfassung ausgehandelt wurde, war der Freistaat politisch gelähmt. Bayerische Reservat- und Sonderrechte wie eine eigene Post, Eisenbahn, Armee oder Finanzhoheit gingen in der zentralistischen Weimarer Verfassung verloren. Die Teilstaaten wurden zu „Kostgängern des Reiches“.
Sprecher
Was aber nicht unwidersprochen blieb. Das Verhältnis von Bayern zum Reich wurde ein politischer Dauerbrenner der Weimarer Republik. Weil in Preußen und Sachsen die Ministerpräsidenten mächtiger ausgestattet waren, wurden in München immer wieder Forderungen laut nach einer Stärkung der eigenen Position. Vor allem aus den Reihen der BVP, der Bayerischen Volkspartei. Sie forderte sogar ein bayerisches Staatsoberhaupt, also einen Staatspräsidenten neben dem Ministerpräsidenten.
Musik 6: The Sisters Brothers
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Teile der BVP waren damals stramm monarchistisch. Den Feind verortete man grundsätzlich „links“ – und „oben im roten Berlin“, bei der Reichsregierung. Deshalb schwang sich Bayern selbst zur „Ordnungszelle“ auf. Das ganze Reich sollte am bayerischen Wesen genesen, hieß es. Eine fatale Selbsteinschätzung in krisengeschüttelten Zeiten.
Sprecher
Denn Bayern wurde zum Hort der nationalen Rechten und völkischer Rechtsextremisten. Obwohl die konservativ-katholische BVP mit 30 bis 40 Prozent der Wählerstimmen die stärkste Partei stellte, fand sich in ihren Reihen zunächst kein Politiker, der Ministerpräsident werden wollte. Man schob lieber hohe bayerische Beamte wie Gustav Ritter von Kahr nach vorne.
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Erst nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923, in dem Gustav von Kahr eine undurchsichtige Rolle spielt, grenzt sich die Bayerische Volkspartei nach Rechtsaußen hin ab. Weil man mit Beamtenministerpräsidenten schlechte Erfahrungen gemacht hat, erklärt sich nun auch der BVP-Fraktionsvorsitzende, der einflussreiche katholische Journalist Heinrich Held, bereit, das Amt zu übernehmen.
ZSP 5 Becker Held 0,19
Der stärkste Exponent der Landtagspartei wird dann auch Ministerpräsident und geht ja dann doch eben auch Koalitionsregierungen ein. Und das ist dann eben diese zweite berühmte stabile Phase, die auch dem Ministerpräsidenten dann eine stärkere Rolle oder ein besseres Agieren erlaubt.
Sprecher
Die stabile Phase der Weimarer Demokratie endet 1930. Drei Jahre später übernimmt die NSDAP die Macht. Und in Bayern wird Ministerpräsident Heinrich Held am 9. März 1933 rüde aus dem Amt gedrängt. Die Nationalsozialisten ernennen den Münchner General Franz Xaver Ritter von Epp zum neuen Reichskommissar für Bayern.
Musik 7: Signatur Folge
Archiv Franz Ritter von Epp (O-Ton)
„Bayerische Landsleute! Deutsche Volksgenossen! Die Welle der deutschen Erhebung hat nun auch nach Bayern herein geschlagen! (Heil! Heil!)“
Sprecher
Reichskommissar von Epp ernennt am 12. April 1933 den vormaligen Lindauer Oberbürgermeister Ludwig Siebert zum Ministerpräsidenten – ohne jede demokratische Legitimation. Nach Sieberts Tod 1942 wird dann mit Paul Giesler ein fanatischer Nationalsozialist eingesetzt, der sich aber ganz auf seine Funktion als Gauleiter von München-Oberbayern konzentriert. Das Amt des Ministerpräsidenten, das formal dem Reichskommissar untersteht, bleibt in den 12 Jahren der NS-Diktatur also dem Namen nach bestehen. Inhaltlich aber wird es zu einer weitgehend leeren Hülle.
Musik aus
Sprecherin
Als das bezwungene Deutschland 1945 unter den Siegermächten aufgeteilt wird, kommt Bayern – mit Ausnahme der Pfalz und Lindau – zur US-Besatzungszone. Aus der NS-Reichsprovinz soll wieder ein Freistaat Bayern werden. Am 28. Mai 1945 ernennt die US-Militärregierung den ehemaligen BVP-Vorsitzenden Fritz Schäffer zum „Temporary Minister-Präsident for Bavaria“.
Archiv Rundfunkansprache des bayerischen Ministerpräsidenten Fritz Schaeffer
Der Nationalsozialismus war der Feind des Heimatgedankens. Wir bauen auf dem Heimatgedanken wieder auf und wollen eine bayerische Heimat, frei und echt und wahr. (0,15)
Sprecher
Fritz Schäffer blieb nur vier Monate im Amt, weil er den US-Militärs zu nachsichtig im Umgang mit Nazi-Mitläufern erschien. Zu seinem Nachfolger wurde Wilhelm Hoegner ernannt, ein bayerischer Sozialdemokrat, der schon vor 1933 mutig gegen die Nationalsozialisten aufgetreten war.
ZSP 6 Becker Nachkrieg 0,42
Fritz Schäffer und Wilhelm Hoegner, beides Parlamentarier, Politiker, die aufgewachsen sind mit dem Entstehen der ersten bayerischen Demokratie in republikanischer Form; die auch wissenschaftlich, intellektuell, Hoegner etwa als Jurist, diese Dinge einordnen konnten und die damit auf ein Erbe zurückgreifen konnten, das dann schon nach 1945 sehr bedeutend wurde.
Sprecher
Wilhelm Hoegner – ein bekennender Föderalist und damit ein Außenseiter in seiner eher zentralistischen SPD – hat während der NS-Zeit im Schweizer Exil gelebt. Unmittelbar nach dem Krieg wird er zum „Vater der Bayerischen Verfassung“. Auch die Frage nach einem bayerischen Staatsoberhaupt steht damals wieder auf der Tagesordnung, sagt Rainald Becker.
ZSP 7 Becker Staatsoberhaupt 0,24
Man wusste auch nicht, was so werden würde. Es gab eben die Westzonen. Und es gab die sowjetische Zone. Würde also ein neuer deutscher Gesamtstaat überhaupt entstehen können? Und vor dem Hintergrund kann man sowohl Hoegners, aber auch Schäffers Ideen, auch die bayerische Souveränität zu bewahren, verstehen. Also das war ja für die Zeitgenossen alles nicht so absehbar, wie sich das für uns heute so präsentiert.
Sprecherin
Bereits drei Jahre vor dem Grundgesetz tritt im Jahr 1946 Bayerns Verfassung in Kraft. Der Ministerpräsident ist darin viel stärker ausgestattet als zur Weimarer Zeit. Ganz entscheidend ist seine Richtlinienkompetenz.
ZSP 8 Becker Richtlinienkompetenz 0,35
Also der Ministerpräsident ist tatsächlich Leiter auch des Kabinetts. Die Minister sind ihm zugeordnet, führen ihre Portfolios, ihre Ministerien in Eigenverantwortung, unterstehen aber dann letztlich sehr stark der Kabinettsdisziplin, in der der Ministerpräsident die Richtlinienkompetenz ausübt. Also eine Aufwertung des Amtes, und damit eine Weiterentwicklung, eine Neufassung gegenüber der Weimarer Zeit, auch in Reaktion auf die NS-Zeit, auf die Erfahrung des Verschwindens dieses Amtes.
Musik 8: Hoamgeh
Sprecher
Der Ministerpräsident nimmt auch repräsentative Aufgaben wahr und vertritt den Freistaat nach außen. Nicht zuletzt gegenüber dem Gesamtstaat, dem Bund. Die Frage, wie viel Bayern darf und wie viel Bund muss es sein, wird auch nach 1945 wieder zum politischen Zankapfel.
Sprecherin
Nicht nur innerhalb der CSU, wo sich in der Frühphase konservativ-katholische Traditionalisten und interkonfessionelle Modernisten aufs heftigste bekämpfen. Auch das Aufscheinen der separatistisch gestimmten Bayernpartei wirbelt das politische Leben im Freistaat einige Jahre lang kräftig durcheinander. Und dann ist da noch die große Schwesterpartei – die Christlich Demokratische Union CDU, mit der die CSU seit 1949 eine gemeinsame Bundestagsfraktion bildet.
Musik aus
Sprecher
Was Bayern stets entgegenkommt, ist die traditionell föderalistische Haltung der US-amerikanischen Besatzer. Die wollen West-Deutschland dezidiert als Bundesstaat sehen. Im Unterschied zu Bindestrich-Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen weist Bayern eine lange Tradition der Staatlichkeit auf und kann so ein historisches Gewicht in die Waagschale werfen.
Sprecherin
Entsprechend selbstbewusst treten bayerische Spitzenpolitiker in der Bundesrepublik auf. Ministerpräsident Hans Ehard von der CSU zum Beispiel, der 1946 auf Hoegner folgt. Der Oberfranke verteidigt im November 1948 in einem Rundfunkgespräch die Rechte der Bundesländer bei den Beratungen zum Grundgesetz.
Archiv Hans Ehard
„Es gibt überhaupt nichts, kein Ding im Bund, an dem die Länder nicht ein ganz entscheidendes Interesse haben, weil sie eben Teile, weil sie Glieder des Bundes sind.“
Musik 9: Hoamgeh
Sprecher
Mit Wilhelm Hoegner stand in den frühen Nachkriegsjahren gleich zweimal ein Sozialdemokrat an der Spitze des Freistaates. Hoegners Vierer-Koalition von 1954 bis 1957 ist bis heute ein politisches Schreckgespenst für die später so erfolgsverwöhnte CSU geblieben. Seit 1957 aber, als Hanns Seidel das Amt übernahm, stellte die CSU in Bayern ununterbrochen den Ministerpräsidenten.
Sprecherin
Der war oft auch CSU-Parteivorsitzender – der Oberfranke Hans Ehard und der Unterfranke Hanns Seidel, später die Altbayern Franz-Josef Strauß, Edmund Stoiber und Horst Seehofer. Heutzutage auch der Mittelfranke Markus Söder.
Sprecher
Kein Parteivorsitzender, aber ein erfolgreicher Ministerpräsident, war der in der Oberpfalz geborene Bäckersohn Alfons Goppel. In seiner Ära ging es seit 1962 steil bergauf mit dem agrarisch geprägten und wirtschaftlich noch relativ schwachen Bayern, das sich erst in den 1950er Jahren auf den Weg zum Industrieland gemacht hatte.
Musik 10: Bayern- Hymne
Sprecherin
Goppel wirkte manchmal wie ein König, wenn er etwa die englische Queen in der Residenzstadt München mit der Bayernhymne empfing. Er war der erste, der den Typus des Landesvaters repräsentierte und dabei gleichzeitig die Modernisierung Bayerns vorantrieb. 1966 etwa, beim Startschuss für den Bau der Münchner S-Bahn.
Archiv Alfons Goppel
Und wenn´s eben schon hieß, reißt´s die Strassn auf. Dann möcht ich sagen: Ja, reißt sie auf und baut hinein und baut sie wieder zu. Damit wir weiterkommen in eine friedvolle und in eine glückliche Zukunft, dass diese heimliche Hauptstadt uns nicht unheimlich wird. In diesem Sinne möchte ich diesen Pfahl nun hinunterschicken in die Erde.
Sprecher
Alfons Goppel regiert bis 1978. Seine 16 Jahre sind die bis heute längste Amtszeit eines bayerischen Ministerpräsidenten. Und das in einer besonders wichtigen Phase, sagt Rainald Becker.
ZSP 9 Becker Landesvater 0,27
Aus dem Armenhaus der Bundesrepublik wird Bayern zu einem wirtschaftlichen Front Runner - das Ganze moderiert er sozusagen hinter dem Landesvater-Image und kann damit ebenso etwas wie Beruhigung, Beheimatung geben. Die ganzen Umbruchprozesse, die ja auch krisenhafte Züge tragen, sie können sozusagen in dieser Hinsicht gedeckelt werden, und das erklärt sicherlich auch den sehr starken Erfolg dann der CSU.
Sprecherin
Unter Alfons Goppel erreicht die Partei ihr historisch bestes Ergebnis: 62,1 Prozent der Wählerstimmen bei den Landtagswahlen 1974. Auch danach bleibt die CSU noch viele Jahre lang die alles bestimmende Partei im Freistaat. Und bringt nach der Ära Goppel wieder einen kernigen Landesvater hervor – einen Vollblut-Politiker, der wie kein Zweiter für Bayern steht: Franz Josef Strauß.
ZSP 10 Becker FJS 0,38
Er vertritt das barocke Bayern, er vertritt das gebildete Bayern, auch mit seinem humanistischen Bildungshintergrund. Seine kräftige Sprachlichkeit, die souveräne Art, sich zu bewegen in ganz unterschiedlichen Milieus – Bierzelt hier, Akademiker-Zirkel dort. Das andere ist sicherlich sein starkes bundespolitisches Profil. Von der Gründungszeit der Bundesrepublik an, hat er eine große politische Rolle und er vertritt auch diesen Anspruch der CSU auf Mitregierung und Gehört-Werden in Bonn, auf der Bundesebene. Und er hat ein großes internationales Profil.
Musik 11: Masskrug stemmen 32 Sek
Sprecher
Der Weg nach Bonn ins Bundeskanzleramt erwies sich für Strauß zwar als zu weit. Dafür betrieb er als bayerischer Ministerpräsident mit großer Leidenschaft eine Neben-Außenpolitik, die ihn in die ganze Welt führte. In die USA, nach Israel, England oder Frankreich. 1975 auch in die Volksrepublik China, wo der CSU-Vorsitzende als erster deutscher Politiker von Staats- und Parteichef Mao Zedong empfangen wurde. Musik aus
Sprecher
Als die CSU-Ikone Strauß im Herbst 1988 ganz überraschend stirbt, verlässt ein streitbarer bayerischer Ministerpräsident die Bühne. Bald darauf ändert sich auch die politische Großwetterlage – der Kalte Krieg geht zu Ende, die beiden Teile Deutschlands werden vereinigt, neue Bundesländer kommen hinzu. Die politischen Gewichte in Deutschland verschieben sich.
Sprecherin
2002 scheitert nach Strauß der nächste Bayer beim Versuch, deutscher Bundeskanzler zu werden – Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der erzielt immerhin im Jahr darauf bei den Landtagswahlen wieder ein historisches Ergebnis für die CSU ¬– mit 60,7 Prozent der Stimmen. Stoibers 14 Jahre währende Amtszeit ist die zweitlängste. Nach ihm kann die CSU nur noch einmal, in Horst Seehofers zweiter Amtszeit von 2013 bis 2018, eine absolute Mehrheit in Bayern holen. Immer öfter ist sie fortan auf Koalitionen angewiesen. Ein Prozess, der auch die Rolle des Ministerpräsidentenamtes verändert, sagt der Historiker Rainald Becker.
ZSP 11 Becker schwerer 0,22
Man darf auch die Globalisierung nicht unterschätzen. Das Europäische Zusammenwachsen, da versucht natürlich Bayern seinen Fuß drinnen zu haben und es wäre sicher auch eine sehr wichtige Aufgabe eines bayerischen Ministerpräsidenten, da Flagge zu zeigen. Aber es wird schwieriger. Es wird ja auch die wirtschaftliche Selbstbehauptung schwieriger, der ökonomische Hintergrund.
Musik 12: Masskrug stemmen
Sprecherin
Vielleicht war ja die Zeit, in der sich ein bayerischer Ministerpräsident felsenfest auf eine absolute Mehrheit stützen konnte, auch nur eine historische Ausnahme. Entscheidend aber dürfte bleiben, dass die Amtsträger auch künftig ein Gespür für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger haben – und nicht von oben herab entscheiden.
Archiv Horst Seehofer
„Es gibt bei uns keine Machtworte. Dialog und Entscheidung.“
Sprecher
Der Satz stammt von Horst Seehofer, der zwischen 2008 und 2018 bayerischer Ministerpräsident war. Er war es auch, der auf die Frage, ob sein Amt das schönste der Welt sei, verschmitzt lächelnd antwortete.
Archiv Horst Seehofer
(1,59-2,05)
„Das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten wäre das schönste auf der Welt, wenn ich nicht für meine Ideen immer wieder eine Zustimmung bräuchte.“
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