Schimpansen behandeln Wunden mit einer Insektenpaste. Finken baden in Ameisensäure, um Parasiten im Gefieder loszuwerden. Die Wissenschaft weiß immer mehr darüber, was drin steckt in den tierischen Apotheken. Von Susi Weichselbaumer
Credits
Autorin dieser Folge: Susi Weichselbaumer
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Berenike Beschle, Thomas Birnstiel, Peter Weiß, Marcus Ter Hast, Christopher Mann, Marlen Reichert, Peter Veit
Technik: Christine Gerheuser-Kamp
Redaktion: Yvonne Maier
Prof. Simone Pika, Institut für Kognitionswissenschaft, Universität Osnabrück (Vergleichende Kognitionsbiologe)
Prof. Michael Hufmann, Wildlife Research Center, Universität Kyoto (Biologe)
Prof. Jaap (Jacobus) de Rhode, Emory University Atlanta (Biologe)
Prof. Michael Singer, Wesleyan Universität Michigan (Biologe)
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Das Kalenderblatt erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum. Ein Angebot des Bayerischer Rundfunks.
DAS KALENDERBLATT
De Rhode, Jaap (März 2025): Doctors by Nature. How Ants, Apes and other Animals Heal Themselves. Princeton University Press.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Dunkelgrün, hellgrün, apfelgrün, oliv- – Vereinzelte Sonnenstrahlen dringen durch die dichten Baumkronen.
Pausenlos tropft es von oben. Die Luft drückt schwülwarm. Es riecht nach nasser Erde. Und fauligem Holz.
Verborgen im Dickicht hält Simone Pika aus. Still. Stundenlang. Sie ist Biologin an der Universität Osnabrück. Im Loango Nationalpark in Gabun, an der westafrikanischen Atlantikküste beobachtet sie regelmäßig eine Gruppe Schimpansen.
Das verlangt Ausdauer, ist aber der einzige Weg, um herauszufinden: Wie funktioniert Schimpansen-Medizin?
Zum Beispiel, wenn es mal wieder handfesten Ärger gegeben hat mit einer der Schimpansengruppen ein paar Bäume weiter.
Typische „Schimpansen-Nachbarschafts-Fehde“…
Mal die einen, mal die anderen…
So eine satte Fleischwunde tut weh... und dann geschieht etwas Eigenartiges.
Man kann die Tiere dabei beobachten, wie sie unter einem Baum stehen oder unter einem Busch sitzen und gezielt in der Umgebung umher kucken, dann das Insekt, dass sie sich ausgesucht haben, fangen.
Erzählt Simone Pika. Sie und ihr Team vom Ozouga-Schimpansenprojekt haben vor kurzem entdeckt, dass Schimpansen bei Verletzungen nicht nur antibakteriell wirkende Blätter auflegen als Verband, sondern zusätzlich eine Art Insektentherapie anwenden:
Dann wird dieses Insekt in den Mund genommen, wird dort zwischen den Lippen gedrückt und dann nehmen die Tiere dieses Insekt mit den Fingern aus dem Mund, tragen es auf die Wunde auf, meistens auf den Wundrand.
Welche Tiere bevorzugt ausgequetscht werden, ist noch unklar. Auch wie sich die Flüssigkeit zusammensetzt, die als Balsam dient –
Und ob die tatsächlich wundheilend wirkt?
Das wird sich weisen. Hat es bislang immer, vertraut Michael Huffman. Er ist Biologe an der Universität Kyoto. Bei Feldversuchen im Nationalpark Tansania hat er vor gut 40 Jahren als erster Forscher nachgewiesen: Schimpansen können sich selbst medizinisch versorgen.
Geduld hat Michael Huffman dafür jede Menge gebraucht.
Glück und Zufall schaden in der Wissenschaft auch nicht.
I had no intention… light bulb over my head.
Ich habe zufällig gemerkt, dass es einem Tier aus unserer Beobachtungsgruppe nicht gut ging. Plötzlich fraß die Schimpansin etwas, was sie vorher nie gegessen hatte. Mein einheimischer Führer Mohammedi kannte diese bitteren Blätter, seine Familie macht daraus traditionelle Medizin gegen Darmkrankheiten. Da ging mir ein Licht auf!
MUSIK Be fed playfully 0.47 min
Ein aufgegangenes Licht allein reicht nicht, stellt Michael Huffman schnell fest. Vernonia Amygdalina – zu Deutsch: Bitterkraut – ist in den tropischen Regionen Afrikas heimisch. Aber wenn darüber hinaus noch viel mehr Pflanzen, Substanzen, was auch immer reingehören in den tierischen Erste-Hilfe-Koffer?
Der Primatologe entwickelt Untersuchungsdesigns, will Zusammenhänge finden: Was macht Schimpansen krank, was nehmen sie dagegen und: Hilft das?
Eine Lebensaufgabe. Zig Beobachtungsstunden, Tage, Monate, Jahre fließen in das Projekt.
Michael Huffman fuchst sich rein in Parasitologie, weil das vielleicht ein Hauptgesundheitsproblem sein könnte von Primaten. Und: Huffman ist nicht lange allein. Weltweit interessieren sich Forschende plötzlich dafür: Gibt es und was können tierische Doktoren?
Die Forschungsrichtung bekommt einen Namen: Zoopharmakognosie.
Und: Deren Repertoire ist –
Wie sich nach und nach herausstellt –
MUSIK/ Way of progress 2 0.59 min
Tierische Medizin – Gängige Therapien
Krähen, Elstern, Drosseln – viele Vögel hüpfen in Ameisenhaufen. Die Ameisen wehren sich mit Ameisensäure. Die Vögel baden ihr Gefieder darin. Läuse, Milben oder Zecken finden das unaushaltbar und ziehen aus aus dem Federkleid.
Hat ein Delfin Hautprobleme reibt er sich an Korallen oder Schwämmen. So angeschrabbert geben die ein Sekret ab, eine Art antibakteriellen Schleim. Spannkraft, Glätte, Frische – parasitenfrei – Die Delfinhaut dankts!
Haben Hunde und Katzen Verdauungsprobleme, fressen sie Gras. Das Restgeschäft erledigt sich von selbst. Studien zeigen: Füchse kennen den Trick auch.
There are four different ways…
Es gibt vier verschiedene Arten der Medikation wenn sich Tiere krank fühlen.
Erklärt Biologe Michael Huffman.
One is purely behavioural…
Strategie 1 ist sich schlicht fernzuhalten von allem, was krank macht. Brackiges Wasser zum Beispiel. Tiere haben zu ihrem Schutz ein ähnliches Ekelempfinden wie wir Menschen. Die zweite Stufe ist die Prophylaxe. Etliche Tiere fressen zu bestimmten Jahreszeiten besondere Pflanzen, die sie weniger anfällig machen für Parasiten. Bei Stufe 3 und 4 wird es richtig spannend im medizinischen Sinn. Einmal: Was nehme ich ein, also stecke ich als Heilmittel in den Mund? Und: Was trage ich auf? Wie eine Lotion auf die Haut oder auch als eine Art Raumspray oder Wandverputz in Höhle und Nest.
MUSIK/ Way of progress 1 0.41 min
Tierische Medizin – Pillen, Pasten, Prophylaxen
Das Summatra-Nashorn frisst Baumrinde, die besonders reich ist an Tannin. Danach schaut kein Magen-Darm-Parasit mehr freiwillig vorbei. Schafe holen Tannin aus Laub und Klee – auch für ein gutes Bauchgefühl.
Orang-Utans auf Borneo reiben ihre Arme und Beine mit einer grünlichen Paste aus Speichel und kleingekauten Blättern des Drachenbaums ein. Hilft gegen Muskelkater, Gelenkschmerzen und Schwellungen.
Die tierische Apotheke kennt viele Tricks. Manche Tierarten wenden ähnliche an, andere suchen Speziallösungen.
Aber: Woher wissen Tiere, was jeweils wem wogegen hilft?
MUSIK Towards progress A 0.27 min
Knifflig, sagt Michael Singer. Er ist Biologe an der Wesleyan University in Connecticut und hat unter anderem zu Pinken Tigermotten geforscht. Diese etwa zwei Zentimeter großen, schwarz-weiß-orange-pink gemusterten Falter kommen vor allem im Westen und Süden der USA vor. Anders als etliche andere Insektenarten ernähren sich ihre Raupen nicht von einer Pflanze oder einer Pflanzenart. Sie robben rum und mögen Mischkost.
Allerdings bloß, wenn sie sich fit fühlen!
Ursprünglich wollte ich nur das allgemeine Fressverhalten der Raupen untersuchen. Dann stellte sich heraus: Sobald sie ein tödlicher Parasit befällt, wählen die Raupen spezielle Pflanzenteile und die machen sie resistent gegen die tödlichen Parasiten.
Parasitenfreie Raupen würden diese Blätter nicht mal anknabbern.
Tiermedizinisch also schlichtweg ein: Gewusst wie?
Ich würde das jetzt nicht als Wissen bezeichnen. Das Verhalten der Raupen ist bestimmt durch natürliche Selektion. Das sind Reaktionen auf veränderte Umweltbedingungen. Die Raupen entscheiden nichts bewusst. Offenbar erzeugt das periphere Nervensystem andere Reize, wenn die Raupen von Parasiten befallen sind, als sonst. Nicht unbedingt das zentrale Nervensystem, das man vielleicht so ein wenig verstehen könnte als Raupengehirn. Nein, sobald eine Raupe befallen ist, bekommt sie Appetit auf eben diese medizinalen Stoffe. Ihr Geschmacksempfinden verändert sich.
Es setzt also eine Art medizinischer Mechanismus ein. Wie bei etlichen Insektenkindern:
MUSIK Towards progress C 0.38 min.
Von Bärenspinnerbabys zum Beispiel, die beiden oberen Flügel schwarz-weiß gepunktet, das untere Flügelpaar satt orange gibt es weltweit über 11.000 Arten. Mehr als 100 davon in Europa. Die Raupen dieser Schmetterlinge sind kleine graue Rundumpelzwesen.
Die sich häufig herumschlagen müssen mit parasitären Wespen, erzählt Verhaltensforscher Michael Huffman.
Diese Wespen legen ihre Eier in die Raupen, und dort wachsen die Larven wie so implantierte Kreaturen aus dem All. Die Schmetterlingsraupe wird immer dicker – und wenn das unbehandelt bleibt, tötet der Parasit die Raupe und dann platzt die so auf und raus kommt die junge Wespe… wie im Film „Alien“.
Bestimmte Blätter fressen – hilft. Der Raupe.
Für den Parasiten: Tschö mi Öh, sagt Jaap de Rohde. Er ist Biologe an der Emory University in Atlanta und Autor des Buches „Doctors by Nature“.
Diese Raupen müssen nichts lernen. Wenn sie befallen sind, stellt sich automatisch das Verlangen nach den heilenden Substanzen ein. Das ist ein Weg in der Natur. Andere Arten lernen aus Erfahrungen. Schafe und Ziegen, da gibt es Studien inzwischen: Die probieren verschiedene Pflanzen aus, wenn sie sich krank fühlen, und merken sich was ihnen hilft. Und dann gibt es das ganz große Feld des Sozialen Lernens.
Insekten verdanken medizinische Fähigkeiten wohl hauptsächlich der Evolution. Säugetiere sammeln pharmazeutische Kenntnisse im Laufe des Lebens. Ob es ausgewiesene Lehrer, Heiler, Weise gibt unter den Artgenossinnen und Artgenossen in der Primatengruppe, der Schafherde oder auf der Kuhweide – dafür sucht die Forschung noch Belege.
Was schon bewiesen ist, weil oft beobachtet: Ob Elefant, Delfin, Ziege, Hund, Katze, Maus – die medizinische Basisausbildung –
There are clear examples…
Junge Schimpansen folgen im Verhalten ihren Müttern. Wenn die ihnen etwas anbieten, was sie noch nie gegessen haben – dann geben sie dem eine Chance. Wenn ihr Junges krank ist, bringt die Mutter ihm bei: Diese Pflanze schafft Linderung. Bei Schafen hat man das auch festgestellt: Die Mama zeigt dem Lämmchen, dass Klee hilft gegen Bauchweh oder Infektionen. Das Lämmchen macht es nach.
In späteren Lebensjahren schauen sich Säugetiere weitere medizinische Kompetenzen ab von den Peers. Paradebeispiel: Die Schimpansen, die Verhaltensbiologin Simone Pika in Gabun begleitet.
MUSIK / ATMO Animals playing catch 0.31 min.
Unter dem dichten dampfigen Regenwaldblätterdach im Loango Nationalpark an der westafrikanischen Atlantikküste geraten die Tiere regelmäßig aneinander mit anderen Gruppen in der Nähe. Es geht um Futterstellen oder Schlafplätze –
Am Ende ist auf jeder Seite medizinische Versorgung zu leisten. Blätter auflegen auf die Wunde, herumwickeln als Verband. Plus, wie Simone Pika und ihr Team beobachtet haben:
MUSIK Be fed plafully 0.19 min.
Ist ein Schimpanse verwundet, schnappt er sich ein Insekt, nimmt es in den Mund, beißt drauf und trägt den Insektensaft sorgsam auf die Wundränder auf – falls nötig wird das wiederholt: Insekt in den Mund, draufbeißen, einreiben.
In der Regel sammeln sich bei so einer Behandlung medizinisch Wissbegierige!
Wenn eine Insektenmedikation stattfindet, führt das dazu, dass die Tiere, die in der Nähe sind, ganz interessiert sind und die kommen dann alle an und kucken sich an, wie dieses Insekt aufgetragen wird und wenn man sieht, wie so eine Verhaltensweise entsteht, die dann hoffentlich dazu führt, dass die Wunde vielleicht schneller oder besser heilt, das macht mich immer ganz glücklich.
Allerdings: Die Betonung liegt auf „hoffentlich“.
Klar ist, dass die Schimpansen die Insektentherapie voneinander abschauen.
Aber bislang kamen die Forschenden – unbemerkt – nicht nah genug heran, um sicher zu sagen: Wer wird da eigentlich zu therapeutischen Zwecken ausgepresst?
Das ist gerade unsere sehr faszinierende Forschungsfrage: Haben sich die Schimpansen auf bestimmte Insekten fokussiert, das heißt gibt es ein bestimmtes Wissen, welches Insekt verwendet werden kann?
Und: Was kommt aus dem Insekt raus – mit welcher nachweislichen Wirkung?
Viele offene Fragen – nach mehr als 40 Jahren Forschung zu tierischer Medizin oder wie der Fachausdruck heißt: Zoopharmakognosie. Das ist kein Wunder. Tatsächlich ist die Apotheke der Tiere so vielfältig und bunt wie das Tierreich. Parallelen gibt es. Manche Wirkstoffe nutzen mehrere Arten. Verbände oder Auflagen aus antibakteriellen Blättern sind gängig.
Cremes aus zerkauten Pflanzteilen gegen Entzündungen oder zur Insekten- und Parasitenabwehr – auch das ein Klassiker.
Am weitesten verbreitet aber ist wohl:
MUSIK / ATMO INFOKASTEN Wild mammoth
Primaten werden Würmer und Parasiten schneller los, wenn sie haarige Blattpillen schlucken, also raue Blätter zusammendrehen und unzerkaut runter damit. Das regt den Darm an und führt lästige Gäste dort ab. Vögel kennen diesen Trick auch. Bären genauso. Auch Stachelschweine.
Logisch, meint man: Je höher entwickelt die Spezies, desto ausgefuchster die medizinische Versorgung.
Nö. In Sachen perfektem Gesundheitssystem läuft Sozialen Insekten keiner den Rang ab.
Honigbienen greifen zu patenten Maßnahmen, wenn es die medizinische Situation erfordert. Breitet sich im warmfeuchten Stock beispielweise Kalkbrut aus, ein Schimmelpilz, der den Bienennachwuchs in den Waben bedroht, ändert sich die Arbeitsorder für die Sammelbienen.
Und der Speiseplan der Stockbienen.
Auslöser dafür sind vermutlich chemische Substanzen, die die infizierten Larven abgeben als Hilferuf.
S.O.S. und neue Order an alle
Statt Pollen und Nektar, liefern die Bienen im Außendienst ab sofort vermehrt Baumharze. Das ist sonst Job nur einiger Kittsammelbienen. Mit einer Mischung aus Speichel, Nektar und eben viel Baumharz kleiden dann die Brutpflegerinnen den Wabenbereich aus. Der Pilz gibt auf. Die kommende Generation ist gerettet.
Auch wenn den älteren Bienen dafür der Magen knurrt.
Im Superorganismus Bienenstaat geht es ums Überleben des Volkes.
Deswegen nutzen Bienen dieses Gemisch aus Baumharzen, Speichel und Nektar – Propolis – auch um das Flugloch des Stocks auszukleiden, als antibiotische Barriere. Bakterien, Viren und Pilze bleiben dadurch weitgehend draußen.
In menschlichen Apotheken findet sich Propolis auch. Als Schmerzmittel und gegen Entzündungen. Überraschend ist das nicht. Viele indigene Völker schauten und schauen von Tieren ab, was aus der Pflanzenwelt medizinisch wie wirken könnte, erzählt der Biologe an der Emory University in Atlanta, Jaap de Rhode. Pharmakonzerne in modernen Industriestaaten machen das inzwischen ebenso.
Eines der bekanntesten Arzneimittel der Menschheit haben Bären entdeckt. Wenn Bären nach dem Winterschlaf aufwachen, sind die Muskeln steif, oft haben die Tiere Entzündungen. Also fressen sie erstmal die Rinde von Weidenbäumen. Darin enthalten ist Salicylsäure. Schmerzstillend, fiebersenkend, blutverdünnend. Das erkannten früh Heiler und Schamanen. Später die Pharmaindustrie, die begann Aspirin und Co. herzustellen. Die Inspiration kam aus dem Tierreich.
Doch so simpel nach dem Motto: Was da hilft, hilft auch hier, ist es nicht. Von den weltweit bekannten rund 300.000 Pflanzenarten sind gerade mal 15 Prozent biologisch und chemisch vollständig erforscht. Was sich als Biopharmaka eignet wogegen – das bedarf ausführlicher Untersuchungen.
Tiere können sicherlich nützliche Hinweise geben, was Heilmittel, Kuren, Therapien anbelangt.
Hinweise, die man genau prüfen muss. Manche tiermedizinischen Ideen sind nämlich verwegen.
MUSIK/ ATMO_INFOKASTEN Be fed playfully
Die rötliche-braune Holzameise wird vier bis sechs Millimeter groß. Sind Nestkolleginnen verletzt, macht sie, was viele andere Ameisenarten auch machen: Erstmal antibakterielles Pflanzenmaterial auf die entzündete Stelle packen. Hilft das nicht, fackeln Holzameisen nicht lange – und kauen der Patientin ein Bein ab. Studien zeigen: 90 Prozent der Ameisen erholen sich nach einer solchen Operation wunderbar. Erfolgt die Amputation des kranken Beines nicht – etwa weil Forschende das künstlich im Laborexperiment verhindern – liegt die Überlebenschance bloß bei 40 Prozent. Und: Ohne diese OPs nimmt die Verbreitung von Infektionen innerhalb der Ameisenkolonie rapide zu.
The whole world out there…
Die ganze Welt da draußen ist eine Apotheke, aber zugleich ein Lebensmittelladen. Und das ist für die Tiere die Herausforderung.
Bilanziert Biologe Jaap de Rhode.
Wir Menschen haben es leicht. Wir gehen in den Supermarkt oder in die Apotheke. Das gilt als Arznei, das als Essen. Obwohl: Ingwer ist auch beides, Essen und Arznei. Oder Grüner Tee, Kaffee…
Bei Tieren müssen Forschende genau aufdröseln: Ist das Pausensnack und/ oder Therapeutikum? Das ist aufwendig.
Kann sich aber für den Menschen lohnen.
MUSIK/ ATMO_INFOKASTEN Wild mammoth
Primaten kauen bei Malariainfektionen die bitteren Blätter der Trichilia rubescens, das ist ein Mahagoni-Gewächs. Mit Erde vermischt wird daraus eine Blätterpampe. Deren chemische Struktur wirkt ähnlich wie Chloroquin, ein gängiges Malariamittel in unseren Apotheken. Gegen das allerdings entwickeln die Erreger zunehmend Resistenzen. Ein Problem für den Menschen. Nicht für die Primaten: Sie setzen bis zu acht verschiedene Blattsorten im Wechsel ein gegen die Krankheit. Die unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur und Wirkungsweise. So haben es Malariaerreger schwer.
Aktuell laufen Forschungsprojekte weltweit zum Thema tierische Medizin.
Da geht es um Parasitenabwehr mit pflanzlichen Mitteln. Anti-Mücken-Sprays aus Naturstoffen. Grundsätzlich um: Biopharmaka statt Chemie.
Was können wir von Tieren lernen? Diesen Ansatz verfolgt inzwischen auch die von Menschen bei Tieren angewandte Medizin. Studien auf großen Farmen im amerikanischen Mittleren Westen haben gezeigt: Landwirte können verzichten auf teure – und gesundheitlich bedenkliche – Antibiotika, wenn sie den Rindern oder Schweinen nicht nur Standardnahrung anbieten oder monotone Weideflächen, sondern Vielfalt.
MUSIK-INFOKASTEN Secret animal mission
Hausschweine, die von Spülwürmern befallen sind, suchen aus einem breiten Nahrungsangebot Sonnenhut, also Echinacea aus, und Zitronenmelisse. Damit sind sie schneller und schonender entwurmt als Artgenossen, die zum Standardfutter chemische Entwurmungsmittel bekommen.
Jede Spezies hat eine spannende Medizingeschichte zu erzählen, wenn man genau hinschaut, sich Zeit nimmt und die richtigen wissenschaftlichen Methoden findet.
Fasst Zoologe Michael Singer zusammen.
Überhaupt gibt es nach knapp 40 Jahren Forschung zu Tierischer Medizin noch zig Fragezeichen.
Die Apotheke Natur ist ja auch gigantisch groß.
ATMO/ MUSIK Z8032615 109 Animals playing catch
Nochmal zurück zur Primatengruppe im schwülen Regenwald des Loango Nationalparks in Gabun, an der westafrikanischen Atlantikküste.
Die sich regelmäßig mit den Nachbargruppen kloppt –
Schimpansen-Nachbarschaftsfehden.
Die Schimpansen setzen sich miteinander auseinander und die kämpfen miteinander, da greifen wir als Beobachter und Verhaltensbiologen nicht ein. Das schmerzt immer sehr im Herzen.
Erzählt Simone Pika und berichtet von einem Phänomen, das die Forschung bis vor Kurzem noch für unmöglich gehalten hätte:
Tiere betreiben nicht nur Selbstmedikation. Tiere helfen einander, Mütter den Jungen klar, aber –
Auch die Raufbolde sich gegenseitig!
Wenn man beobachtet: Wow, jetzt haben sie was gefunden, womit es ihnen besser geht und wenn man dann sieht, wie die Tiere sich umeinander kümmern.
Blätterverbände auflegen, Insektenpaste auftragen oder einfach nur da sein –
Unterm Strich heißt das: Tierische Medizin ist mehr als Biopharmaka und Co. Sie zeigt mitunter auch: Gesundwerden ist doppelt schön