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Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwangen die Nationalsozialisten Tausende von KZ-Gefangenen aus dem ganzen Reich auf Todesmärsche Richtung Süden, oft nach Dachau. Viele Häftlinge starben auf dem Weg, der im April 1945 durch den Landkreis Freising führte. Von Ulrike Beck
Credits
Autorin dieser Folge: Ulrike Beck
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Katja Amberger, Johannes Hitzelberger
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Karl-Heinz Zenker, Heimatforscher und Autor des Buches „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“
Zeitzeugin aus Tüntenhausen, die anonym bleiben möchte
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
Alles Geschichte – Der History-Podcast
Literatur:
Zenker, Karl-Heinz, „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“– detaillierte und beeindruckende Recherche mit anschaulichen Zeitzeugenberichten über das Schicksal der Häftlinge, die im April 1945 auf Todesmärschen in Richtung des KZ Dachau im Landkreis Freising unterwegs waren.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
1.O-Ton (ab 4:02)
Die san über die Amperleiten daherkommen nach Tüntenhausen. Auf dem Weg nach Dachau (…) Und ja, das war natürlich, das waren angeblich 5000 Menschen und natürlich in der gestreiften Ding. Das waren ja alles abgemagerte Menschen und (…) Brillen haben so manche gehabt und die Schrubber und Stöcke als Gehhilfen und der ist ja ganz langsam vorankommen der Truck.
Musik 2
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'50
Erzähler
Eine alte Dame aus Tüntenhausen erinnert sich an den 27.April 1945. An den Tag, an dem rund 900 Häftlinge aus dem KZ Buchenwald auf ihrem Todesmarsch Richtung Dachau durch ihr kleines Dorf getrieben werden. Sie ist damals sieben Jahre alt und verängstigt beim Anblick der Männer in gestreifter Häftlingskleidung, die zu Skeletten abgemagert sind.
Erzählerin
Diese Szene ist ihr, die anonym bleiben will, bis heute lebendig. Genau wie die Tumulte und die brutale Gewalt des - in diesem Fall - weiblichen SS-Begleitkommandos, als der Zug beim Wirt in der Talsenke anhält und eine Frau beginnt, Brot zu verteilen:
Musik 3
"Fjølhøgget" - Album: The Senja Recordings - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Länge: 0'40
2.O-Ton (Zeitzeugin ab 4:51)
Dann war ein Fuhrwerk dabei. Da habens die rauf geschmissen, die halt nimmer haben können. Und der Treck ist dann dort irgendwann zum Stehen gekommen. Und da ist eben die Kramerin raus und hat das Brot - da hat es ja nur die großen Vierpfünder gegeben damals - aufgeschnitten und das da reingeschmissen. Und das war natürlich - da ist ja zugegangen. Und da waren auch Frauen dabei als Wachen, zur Bewachung. Die haben da zugedroschen, und Gewehrkolben da dreingehaut und es war schlimm, wo man das so gesehen hat. Es sind einige liegen geblieben und die sind dort in Tüntenhausen beerdigt worden.
Musik 4
"Whiten Featuring" - Album: Without Sinking - Komponistin: Hildur Gudnadottir - Länge: 0'15
Erzähler
Es gibt kaum eine Ortschaft im Landkreis Freising, in der Szenen wie diese im Frühjahr 1945 nicht allgegenwärtig sind.
Erzählerin
Denn um die Gräuel in den Konzentrationslagern zu vertuschen, beginnt die SS mit dem Vorrücken der Front schon ab dem Frühjahr 1944, nach und nach die Häftlinge aus fast allen Konzentrations- und Außenlagern zu evakuieren und sie auf Todesmärsche durch das Reich zu zwingen. Mit der Absicht, sie nicht den vorrückenden Alliierten in die Hände fallen zu lassen.
Musik 5
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'30
Erzähler
Die Gefangenen werden entweder in überfüllten Güterwaggons abtransportiert oder auf Gewaltmärschen mitten durch Dörfer und Städte getrieben.
Erzählerin
In den letzten Kriegstagen sind Tausende Häftlinge im Landkreis Freising unterwegs – Ziel ist das KZ Dachau. Der Hallbergmooser Heimatforscher Karl-Heinz Zenker:
3.O-Ton (Zenker ab 5:08)
Das waren ziemlich viele Züge, weil, die einen kamen ja bis aus Buchenwald. Die anderen kamen aus dem KZ Flossenbürg und weil die Buchenwalder wahrscheinlich auch über das KZ Flossenbürg gelaufen sind. Und dann die Hersbrucker. Es dürften schätzungsweise (…) zwischen zehn bis 20 Märsche gewesen sein. Dazu kam natürlich dieser sogenannte Häftlings-Marsch aus dem Zuchthaus Straubing, der sich am 25. April auch Richtung Dachau in Marsch gesetzt hat. Es waren teilweise zu Beginn bis zu 3000 Teilnehmer an diesen Todesmärschen. Allerdings haben sich die natürlich dezimiert, weil unterwegs natürlich ziemlich viele vor Erschöpfung zusammengebrochen sind. Und die sind in der Regel vor Ort erschossen worden und von einem Begleitkommando, das am Ende des Zuges war, dann halt so provisorisch verscharrt worden.
Musik 6
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'25
Erzähler
Wie im ganzen Reich sind die Märsche begleitet von Wachpersonal, das diejenigen brutal niederschlägt oder erschießt, die den Strapazen nicht mehr gewachsen sind. Allein im Landkreis Freising sterben noch während des Marsches oder danach mindestens 132 Menschen an den Folgen von Hunger, Gewalt und Entkräftung.
Erzählerin
Diese Zahl hat Karl-Heinz Zenker recherchiert durch ein akribisches Studium der Quellen. Damit die Ereignisse des Frühjahres 1945 im Landkreis Freising nicht in Vergessenheit geraten, machte er sich Jahrzehnte später auf Spurensuche. 2020 erschien sein Buch „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“.
Erzähler
Als eine der Hauptquellen bei der Recherche dienten ihm dabei die Einmarschberichte der Pfarrer aus der Erzdiözese München-Freising, die unmittelbar nach Kriegsende - im Juni 45 - vom damaligen Kardinal Faulhaber beauftragt, aber erst 2005 vollständig veröffentlicht wurden. Dokumente, die viel über die Endkriegszeit aussagen:
4.O.Ton (11:51)
Der damalige Kardinal hat in der Erzdiözese München-Freising seine Priester beauftragt, über den Einmarsch der Amerikaner zu berichten. Und ihm ging es vor allen Dingen darum, ob sich die Amerikaner an Kirchengut hier zu schaffen machen, also an goldenen Kelchen und so. Und das war natürlich sehr unterschiedlich. Manche Pfarrer haben halt geschrieben. Ja ne, bei uns sind keine Amerikaner durch, war nichts. Und manche haben praktisch geschildert, was sich den ganzen Zweiten Weltkrieg über alles in der Pfarrgemeinde zugetragen hat von Gefallenen und natürlich auch von einzelnen Luftangriffen, die man auf den Dörfern miterlebt hat. Und manche haben natürlich also auch über die Todesmärsche berichtet und was sie davon hielten. Und in einer Gemeinde in Zolling, da ist ein Häftlingsmarsch durch, und das muss der Pfarrer wohl mitbekommen haben. Anders geht es ja gar nicht hier, und in seinem Bericht steht diesbezüglich überhaupt nichts. Und da habe ich dann im Nachgang erfahren, das war ein Militärpfarrer im Ersten Weltkrieg und er hat die Sache halt natürlich ein bisschen anders gesehen.
Erzählerin
Genau so unterschiedlich sind die Angaben in den Fragebögen der Gemeinden im Landkreis Freising, die im Frühjahr 1947 genaue Informationen zu den Todesmärschen geben sollten - zum genauen Datum, zur Anzahl der Häftlinge, den Toten und möglichen Zeugen. Diese Listen konnte Zenker über das Online-Archiv des Internationalen Suchdienst - kurz ITS - in Bad Arolsen einsehen und auswerten.
Musik 7
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'20
Erzähler
Was ihn trotz der dürftigen Quellenlage motiviert hat, dieses Buch zu schreiben? Erstens die Erkenntnis, dass viele gar nicht mehr wissen, dass es Todesmärsche gab und zweitens:
4.O-Ton (0:20)
Geschichte hat mich Zeit meines Lebens interessiert, auch bereits schon in der Schule und auch in der Freizeit. und dann kam das Jahr 2014, der hundertjährige Jahrestag von Beginn Erster Weltkrieg und 75 Jahre Beginn Zweiter Weltkrieg. Und dann habe ich halt über den 1./2. Weltkrieg recherchiert, und da bin ich halt im Sterbebuch der Gemeinde auf den Eintrag gekommen von diesem Albert Labro, der auf einem Transport vom Zuchthaus Straubing ins KZ Dachau ums Leben gekommen ist. Ja und dadurch angestoßen, fängt man halt dann an und überlegt: Todesmärsche wusste ich schon, dass die gibt und dann hab ich halt angefangen zu recherchieren. Und dann stößt man halt immer mehr auf immer mehr Quellen und Zeitzeugen.
Erzählerin
Albert Labro war Bürgermeister der französischen Stadt Longwy, der laut einem Bericht der Stadt zu fünf Jahren Zuchthaus in Brüssel verurteilt wurde, weil er einem Menschen zur Flucht nach Großbritannien verholfen hatte. Von Brüssel aus wurde er über Rheinebach nach Kassel verlegt. Mitte März 1945 - als die Front näherkam - weiter nach Straubing.
Erzähler
Labro gehört zu denen, die ab dem 25.April vom Zuchthaus Straubing auf den Todesmarsch geschickt werden, den er nicht überlebt. Am 8.Mai stirbt er in Hallbergmoos. Im November 1946 wird er umgebettet nach Longwy.
Erzählerin
Labros Namen und sein Schicksal ließen sich eruieren. Genau wie das des niederländischen Rechtsanwalts Johann Backhuysen-Schuld, der am 26.Mai im Freisinger Hospital starb. Auch er war ein Häftling aus dem Zuchthaus Straubing:
5.O-Ton (Zenker 30:51)
Also, das konnte ich hier gut feststellen im Schlossgut Erching war eine Frau, die hat einen Niederländer aufgenommen. Als sich der Zug hier aufgelöst hat, ist halt der auch geflohen. (…) Der ist dann auch in das Hospital 1004 nach Freising gekommen und dort halt dann leider auch verstorben, weil er halt scheinbar zu krank war. Und da hat das Rote Kreuz dann seine Frau benachrichtigt, und die hat dann mitbekommen, dass ihn da diese Frau Selmayr versorgt hat und hat da auch einen Brief geschrieben, wo sie sich dafür bei dieser Frau Selmayr bedankt hat. Das war der Herr Backhuysen-Schuld.
Erzähler
Judith Selmayr, die Backhuysen-Schuld versteckt und pflegt, ist eine von den vielen in der Gesellschaft, die sich im Chaos der letzten Kriegstage hilfsbereit zeigen. Laut der Erzählung ihrer Enkelin stammte sie aus einer Familie, die aus Schlesien kam.
Musik 8
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'20
Erzählerin
Karl-Heinz Zenker macht es sich zur Aufgabe, die Namen weiterer Opfer herauszufinden. Schon, damit die Strategie der Nationalsozialisten nicht aufgeht, die auf dem Marsch gestorbenen Häftlinge als Namenlose vergessen zu machen.
6.O-Ton (Zenker 26:55)
Ja, in zwei oder drei Fällen war das bekannt, dann hat man im Sterbebuch der Gemeinde damals den Namen eingetragen. Das war natürlich relativ einfach. Ansonsten hat es ja in Freising auf dem Domberg ein Lazarett gegeben. Das Lazarett war ursprünglich gedacht für das Kriegsgefangenenlager bei Moosburg. Und mit Kriegsende haben die Amerikaner des zum Hospital 1004 umfunktioniert. Und da sind natürlich vermutlich auch diverse Opfer beziehungsweise Verletzte von dem Bombenangriff in Freising eingeliefert worden, als auch viele Überlebende von den Todesmärschen bis zu manchen, die sich aus Dachau also dann halt in die Pampa geschleppt haben und dann halt dort untergekommen sind. Und von denen waren dann die Namen bekannt. Die standen im Sterbebuch der Stadt Freising. Und dann konnte ich über das Archiv von Buchenwald namentlich 41 Häftlinge feststellen, die zuletzt im KZ Buchenwald registriert waren. Aber das Gros der Namen derjenigen, die in der Pampe verscharrt worden sind, da sind die Namen nicht mehr zu eruieren gewesen.
Erzähler
Unter den Todesopfern sind gut 60 Menschen namenlos geblieben. Sie wurden umgebettet. 59 von ihnen fanden 1955 ihre letzte Ruhestätte auf dem Waldfriedhof Dachau, 4 von ihnen 1958 in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Musik 9
"Whiten Featuring" - Album: Without Sinking - Komponistin: Hildur Gudnadottir - Länge: 0'25
Erzählerin
Doch das Gros der Häftlinge überlebt und wird entweder noch während des Marsches oder bei der Befreiung des KZ Dachau durch US-Truppen der 7.Armee am 29.April 1945 befreit. Wie viele genau überlebt haben, die in den letzten Kriegstagen auf einem Todesmarsch durch den Landkreis Freising zogen, das lässt sich nicht sagen. Sie wurden nicht mehr gezählt. Doch welche Szenen sich kurz vor der Befreiung durch die US-Truppen abgespielt haben, darüber gibt es viele Berichte, die Karl-Heinz Zenker für sein Buch zusammengetragen hat.
Musik 10
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'24
Erzähler
Wie beispielsweise der Zeitzeugenbericht eines Häftlings aus dem Zuchthaus Straubing, der am 25.April zusammen mit 3000 anderen Gefangenen auf Befehl der SS losmarschieren musste. Bewacht von Zuchthausbeamten mit Karabinern.
Musik 11
"Fjølhøgget" - Album: The Senja Recordings - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Länge: 0'45
Zitator
Wir marschierten gegen 7 Uhr vom Zuchthaus Straubing weg Richtung Landshut. Während des Marsches erfuhren wir von einem Mitgefangenen, dass es nach Dachau gehen sollte, wo wir unsere gemeinsame Massenhinrichtung zu erwarten hätten. Was dieser Marsch, der bis zum Abend des 30.April währte, alles an Entbehrung, Hunger, Elend, Misshandlung, Erschöpfung bis zum Tode, in sich schließt, kann kaum wiedergegeben werden. Nur summarisch sei einzelnes angedeutet: wir mussten den Marsch in Holzschuhen machen, an Verpflegung bekamen wir die ersten Tage noch zwei oder drei Stückchen Brot, dazu noch ein wenig Margarine oder ein Stücklein geräuchertes Rindfleisch von etwa 20 Gramm. Die letzten Tage fehlte jede Verpflegung.
Erzählerin
In dem Buch von Karl-Heinz Zenker ist zu lesen von Wachleuten, die Gefangene mit Stöcken und Gewehrkolben schlagen oder auf sie eintreten. Und von Häftlingen, die in großer Zahl ermordet werden - von SS-Soldaten, die sich noch nicht aus dem Staub gemacht haben. Allein im Wald zwischen Freising und Moosburg sollen 1273 Häftlinge erschossen worden sein. Ein Zeitzeuge berichtet:
Musik 12
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'40
Zitator
„Als unser Elendszug am Samstag 28.April 1945 bereits Freising in der Richtung Dachau passiert hatte, hieß es plötzlich gegen Abend: Umkehren! Dachau war bereits von den amerikanische Truppen genommen worden, so dass wir nicht mehr hineinkonnten. Es wurde kehrt gemacht und das Ziel war nun, uns so lange zwischen den Fronten herumzuführen, bis wir alle völlig erschöpft liegen geblieben wären, um dann von der SS den Todesstoß zu bekommen.“
Erzähler
Soweit kommt es zum Glück nicht. Karl-Heinz Zenker:
7.O-Ton (Zenker (ab 22:09)
Die wurden dann unterwegs befreit. Also dieser 3000 Marsch - die haben so ungefähr 100 Begleiter gehabt, die müssten sich wahrscheinlich aufgeteilt haben. (…) Also ein kleiner Teilzug, der ist also durch Goldack und Hallbergmoos marschiert. Ein anderer Teil, der ist kurz vor Eching von den Amerikanern befreit worden. Weil sie müssen sich das so vorstellen - vermutlich haben die Begleiter auch mitbekommen - die Amerikaner stehen kurz zuvor, und dann haben sich die genau wie viele SS-Leute, wenn die mitbekommen haben, die Amerikaner sind kurz vor uns - haben sich die aus dem Staub gemacht. Haben teilweise dann noch sich Zivilklamotten besorgt und sind dann stiften gegangen.
Erzählerin
Die Zeitzeugin aus Tüntenhausen ist eine von vielen, die den Einmarsch der Amerikaner als Tag der Befreiung erlebt:
8.O-Ton (Wimmer ab 0:35)
Die letzten Tage des hab ich erlebt: Wir waren dann, wo die Amerikaner kommen sind, bei meinen Großeltern in Zurrnhausen. (…) Die ganze Familie - meine Mama, mit die drei Kinder. Ich habe zwei Geschwister. Ich war die ältere. Und mein Vater, der war im Krieg. Ja, das war dann so, wie die Amerikaner kommen san, das war ein sonniger Tag, kann ich mich erinnern. Also wo die durchfahren san (…) Da waren da viele Leute, die haben die Friedensglocken geläutet. Dann ist der Truck stehen blieben. Das war ein Lastwagen, Panzer das war alles Mögliche. (…) Und dann haben die Amerikaner uns - wir waren da im Hof über den Gartenzaun, und die haben uns dann so viel Zeug zugeschmissen. Kaugummi und Schokolade und so. Also Sachen, die mir nicht kennt haben. Und die waren sehr freundlich.
Erzähler
Die amerikanischen Besatzungssoldaten sorgen dafür, dass viele Leichen, die teilweise nur notdürftig verscharrt waren, mit Hilfe der Bevölkerung umgebettet werden. Und eine Ruhestätte finden. Karl-Heinz Zenker:
9.O-Ton (Zenker ab 24:34)
Die Amerikaner haben in dem Fall (…) dann sich die Parteigenossen geholt, und die Parteigenossen mussten die ausgraben und auf dem Ortsfriedhof dann beerdigen. Und die anderen, die irgendwo verscharrt worden sind - und wo es bekannt war, hat dann nach dem Krieg das Landratsamt Freising veranlasst, dass die auf die Ortsfriedhöfe umgebettet werden. Diese Umbettungssaktionen haben entweder gleich mit dem Kriegsende oder nach dem Kriegsende stattgefunden und dann 56 und 58 hat eine französische Delegation diese Gräber also ausfindig gemacht. Und die sind dann entweder in Dachau auf dem Friedhof bestattet worden oder viele sind in Flossenbürg bestattet worden. Da können Sie sich natürlich vorstellen, das war elf, 13 Jahre nach Kriegsende. Da dürfte man wahrscheinlich nur noch die Skelette gefunden haben hier und vielleicht mal ein paar Stofffetzen. Und das Problem war, die Häftlinge hatten ja nur die Nummer, und die ist natürlich dann nicht aufgetaucht. Und deswegen sind es in Anführungszeichen lauter Namenlose, weil man die dann nicht mehr feststellen konnte, wer zu dieser Nummer gehört.
Erzählerin
Der Landkreis Freising ist eine Blaupause für das Schicksal aller Opfer der Todesmärsche im ganzen Reich. Aufgrund fehlender Dokumente lässt sich nicht genau ermitteln, wie viele es insgesamt waren, die auf diesen Räumungstransporten starben. Schätzungen gehen von etwa 250.000 Menschen aus.
Musik 13
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'45
Erzähler
Seit 2016 erinnert in Hallbergmoos ein Gedenkstein mit einer Informationstafel an die Opfer der Todesmärsche. Er konnte in Eigeninitiative des Heimat- und Trachtenvereins und mit Hilfe von Spenden aufgestellt werden, mit dem Ziel, die Erinnerungskultur im Landkreis Freising aufrecht zu erhalten.
Erzählerin
Karl-Heinz Zenker war damals Vorsitzender des Vereins. Im letzten Kapitel seines Buches findet sich ein Namensverzeichnis - zur Erinnerung an die Häftlinge, die unmittelbar vor oder nach Kriegsende getötet wurden, verhungert oder an Krankheit und Erschöpfung gestorben sind.
10.O-Ton (Zenker ab 43:01)
Das war mir wichtig, dass wir den Toten, wo ich es feststellen konnte, Namen geben konnten. Das waren, wie gesagt, schwerpunktmäßig diejenigen, die im Lazarett oder im Hospital gestorben sind. Dann sind im Moosburger Krankenhaus noch zwei oder drei verstorben, die dann auch im Sterbebuch der Stadt standen. Und das ist doch heute auch so, wenn irgendwo ein Attentat oder Anschlag ist, wird doch da auch mit einem Denkmal der Toten gedacht. Und da stehen natürlich auch die Namen. Und deswegen war mir das wichtig, vor allen Dingen, weil es hier für diese Leute keine Gräber mehr gibt. Die sind ja irgendwo in Flossenbürg beziehungsweise im Waldfriedhof. Da gibt es ja dann noch Gedenksteine, aber nicht für unsere. Und in Freising ist in im Schnoor Stifter Friedhof - der ist irgendwann in den 50er-Jahren eingeebnet worden. Und so sind diese Namen festgehalten. (…) Dass man den Toten ihre Namen zurückgibt, dass sie nicht nur eine Nummer sind.
4.5
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Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwangen die Nationalsozialisten Tausende von KZ-Gefangenen aus dem ganzen Reich auf Todesmärsche Richtung Süden, oft nach Dachau. Viele Häftlinge starben auf dem Weg, der im April 1945 durch den Landkreis Freising führte. Von Ulrike Beck
Credits
Autorin dieser Folge: Ulrike Beck
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Katja Amberger, Johannes Hitzelberger
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Karl-Heinz Zenker, Heimatforscher und Autor des Buches „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“
Zeitzeugin aus Tüntenhausen, die anonym bleiben möchte
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Literatur:
Zenker, Karl-Heinz, „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“– detaillierte und beeindruckende Recherche mit anschaulichen Zeitzeugenberichten über das Schicksal der Häftlinge, die im April 1945 auf Todesmärschen in Richtung des KZ Dachau im Landkreis Freising unterwegs waren.
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1.O-Ton (ab 4:02)
Die san über die Amperleiten daherkommen nach Tüntenhausen. Auf dem Weg nach Dachau (…) Und ja, das war natürlich, das waren angeblich 5000 Menschen und natürlich in der gestreiften Ding. Das waren ja alles abgemagerte Menschen und (…) Brillen haben so manche gehabt und die Schrubber und Stöcke als Gehhilfen und der ist ja ganz langsam vorankommen der Truck.
Musik 2
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'50
Erzähler
Eine alte Dame aus Tüntenhausen erinnert sich an den 27.April 1945. An den Tag, an dem rund 900 Häftlinge aus dem KZ Buchenwald auf ihrem Todesmarsch Richtung Dachau durch ihr kleines Dorf getrieben werden. Sie ist damals sieben Jahre alt und verängstigt beim Anblick der Männer in gestreifter Häftlingskleidung, die zu Skeletten abgemagert sind.
Erzählerin
Diese Szene ist ihr, die anonym bleiben will, bis heute lebendig. Genau wie die Tumulte und die brutale Gewalt des - in diesem Fall - weiblichen SS-Begleitkommandos, als der Zug beim Wirt in der Talsenke anhält und eine Frau beginnt, Brot zu verteilen:
Musik 3
"Fjølhøgget" - Album: The Senja Recordings - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Länge: 0'40
2.O-Ton (Zeitzeugin ab 4:51)
Dann war ein Fuhrwerk dabei. Da habens die rauf geschmissen, die halt nimmer haben können. Und der Treck ist dann dort irgendwann zum Stehen gekommen. Und da ist eben die Kramerin raus und hat das Brot - da hat es ja nur die großen Vierpfünder gegeben damals - aufgeschnitten und das da reingeschmissen. Und das war natürlich - da ist ja zugegangen. Und da waren auch Frauen dabei als Wachen, zur Bewachung. Die haben da zugedroschen, und Gewehrkolben da dreingehaut und es war schlimm, wo man das so gesehen hat. Es sind einige liegen geblieben und die sind dort in Tüntenhausen beerdigt worden.
Musik 4
"Whiten Featuring" - Album: Without Sinking - Komponistin: Hildur Gudnadottir - Länge: 0'15
Erzähler
Es gibt kaum eine Ortschaft im Landkreis Freising, in der Szenen wie diese im Frühjahr 1945 nicht allgegenwärtig sind.
Erzählerin
Denn um die Gräuel in den Konzentrationslagern zu vertuschen, beginnt die SS mit dem Vorrücken der Front schon ab dem Frühjahr 1944, nach und nach die Häftlinge aus fast allen Konzentrations- und Außenlagern zu evakuieren und sie auf Todesmärsche durch das Reich zu zwingen. Mit der Absicht, sie nicht den vorrückenden Alliierten in die Hände fallen zu lassen.
Musik 5
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'30
Erzähler
Die Gefangenen werden entweder in überfüllten Güterwaggons abtransportiert oder auf Gewaltmärschen mitten durch Dörfer und Städte getrieben.
Erzählerin
In den letzten Kriegstagen sind Tausende Häftlinge im Landkreis Freising unterwegs – Ziel ist das KZ Dachau. Der Hallbergmooser Heimatforscher Karl-Heinz Zenker:
3.O-Ton (Zenker ab 5:08)
Das waren ziemlich viele Züge, weil, die einen kamen ja bis aus Buchenwald. Die anderen kamen aus dem KZ Flossenbürg und weil die Buchenwalder wahrscheinlich auch über das KZ Flossenbürg gelaufen sind. Und dann die Hersbrucker. Es dürften schätzungsweise (…) zwischen zehn bis 20 Märsche gewesen sein. Dazu kam natürlich dieser sogenannte Häftlings-Marsch aus dem Zuchthaus Straubing, der sich am 25. April auch Richtung Dachau in Marsch gesetzt hat. Es waren teilweise zu Beginn bis zu 3000 Teilnehmer an diesen Todesmärschen. Allerdings haben sich die natürlich dezimiert, weil unterwegs natürlich ziemlich viele vor Erschöpfung zusammengebrochen sind. Und die sind in der Regel vor Ort erschossen worden und von einem Begleitkommando, das am Ende des Zuges war, dann halt so provisorisch verscharrt worden.
Musik 6
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'25
Erzähler
Wie im ganzen Reich sind die Märsche begleitet von Wachpersonal, das diejenigen brutal niederschlägt oder erschießt, die den Strapazen nicht mehr gewachsen sind. Allein im Landkreis Freising sterben noch während des Marsches oder danach mindestens 132 Menschen an den Folgen von Hunger, Gewalt und Entkräftung.
Erzählerin
Diese Zahl hat Karl-Heinz Zenker recherchiert durch ein akribisches Studium der Quellen. Damit die Ereignisse des Frühjahres 1945 im Landkreis Freising nicht in Vergessenheit geraten, machte er sich Jahrzehnte später auf Spurensuche. 2020 erschien sein Buch „Die Opfer der Todesmärsche im Landkreis Freising im Frühjahr/Sommer 1945“.
Erzähler
Als eine der Hauptquellen bei der Recherche dienten ihm dabei die Einmarschberichte der Pfarrer aus der Erzdiözese München-Freising, die unmittelbar nach Kriegsende - im Juni 45 - vom damaligen Kardinal Faulhaber beauftragt, aber erst 2005 vollständig veröffentlicht wurden. Dokumente, die viel über die Endkriegszeit aussagen:
4.O.Ton (11:51)
Der damalige Kardinal hat in der Erzdiözese München-Freising seine Priester beauftragt, über den Einmarsch der Amerikaner zu berichten. Und ihm ging es vor allen Dingen darum, ob sich die Amerikaner an Kirchengut hier zu schaffen machen, also an goldenen Kelchen und so. Und das war natürlich sehr unterschiedlich. Manche Pfarrer haben halt geschrieben. Ja ne, bei uns sind keine Amerikaner durch, war nichts. Und manche haben praktisch geschildert, was sich den ganzen Zweiten Weltkrieg über alles in der Pfarrgemeinde zugetragen hat von Gefallenen und natürlich auch von einzelnen Luftangriffen, die man auf den Dörfern miterlebt hat. Und manche haben natürlich also auch über die Todesmärsche berichtet und was sie davon hielten. Und in einer Gemeinde in Zolling, da ist ein Häftlingsmarsch durch, und das muss der Pfarrer wohl mitbekommen haben. Anders geht es ja gar nicht hier, und in seinem Bericht steht diesbezüglich überhaupt nichts. Und da habe ich dann im Nachgang erfahren, das war ein Militärpfarrer im Ersten Weltkrieg und er hat die Sache halt natürlich ein bisschen anders gesehen.
Erzählerin
Genau so unterschiedlich sind die Angaben in den Fragebögen der Gemeinden im Landkreis Freising, die im Frühjahr 1947 genaue Informationen zu den Todesmärschen geben sollten - zum genauen Datum, zur Anzahl der Häftlinge, den Toten und möglichen Zeugen. Diese Listen konnte Zenker über das Online-Archiv des Internationalen Suchdienst - kurz ITS - in Bad Arolsen einsehen und auswerten.
Musik 7
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'20
Erzähler
Was ihn trotz der dürftigen Quellenlage motiviert hat, dieses Buch zu schreiben? Erstens die Erkenntnis, dass viele gar nicht mehr wissen, dass es Todesmärsche gab und zweitens:
4.O-Ton (0:20)
Geschichte hat mich Zeit meines Lebens interessiert, auch bereits schon in der Schule und auch in der Freizeit. und dann kam das Jahr 2014, der hundertjährige Jahrestag von Beginn Erster Weltkrieg und 75 Jahre Beginn Zweiter Weltkrieg. Und dann habe ich halt über den 1./2. Weltkrieg recherchiert, und da bin ich halt im Sterbebuch der Gemeinde auf den Eintrag gekommen von diesem Albert Labro, der auf einem Transport vom Zuchthaus Straubing ins KZ Dachau ums Leben gekommen ist. Ja und dadurch angestoßen, fängt man halt dann an und überlegt: Todesmärsche wusste ich schon, dass die gibt und dann hab ich halt angefangen zu recherchieren. Und dann stößt man halt immer mehr auf immer mehr Quellen und Zeitzeugen.
Erzählerin
Albert Labro war Bürgermeister der französischen Stadt Longwy, der laut einem Bericht der Stadt zu fünf Jahren Zuchthaus in Brüssel verurteilt wurde, weil er einem Menschen zur Flucht nach Großbritannien verholfen hatte. Von Brüssel aus wurde er über Rheinebach nach Kassel verlegt. Mitte März 1945 - als die Front näherkam - weiter nach Straubing.
Erzähler
Labro gehört zu denen, die ab dem 25.April vom Zuchthaus Straubing auf den Todesmarsch geschickt werden, den er nicht überlebt. Am 8.Mai stirbt er in Hallbergmoos. Im November 1946 wird er umgebettet nach Longwy.
Erzählerin
Labros Namen und sein Schicksal ließen sich eruieren. Genau wie das des niederländischen Rechtsanwalts Johann Backhuysen-Schuld, der am 26.Mai im Freisinger Hospital starb. Auch er war ein Häftling aus dem Zuchthaus Straubing:
5.O-Ton (Zenker 30:51)
Also, das konnte ich hier gut feststellen im Schlossgut Erching war eine Frau, die hat einen Niederländer aufgenommen. Als sich der Zug hier aufgelöst hat, ist halt der auch geflohen. (…) Der ist dann auch in das Hospital 1004 nach Freising gekommen und dort halt dann leider auch verstorben, weil er halt scheinbar zu krank war. Und da hat das Rote Kreuz dann seine Frau benachrichtigt, und die hat dann mitbekommen, dass ihn da diese Frau Selmayr versorgt hat und hat da auch einen Brief geschrieben, wo sie sich dafür bei dieser Frau Selmayr bedankt hat. Das war der Herr Backhuysen-Schuld.
Erzähler
Judith Selmayr, die Backhuysen-Schuld versteckt und pflegt, ist eine von den vielen in der Gesellschaft, die sich im Chaos der letzten Kriegstage hilfsbereit zeigen. Laut der Erzählung ihrer Enkelin stammte sie aus einer Familie, die aus Schlesien kam.
Musik 8
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'20
Erzählerin
Karl-Heinz Zenker macht es sich zur Aufgabe, die Namen weiterer Opfer herauszufinden. Schon, damit die Strategie der Nationalsozialisten nicht aufgeht, die auf dem Marsch gestorbenen Häftlinge als Namenlose vergessen zu machen.
6.O-Ton (Zenker 26:55)
Ja, in zwei oder drei Fällen war das bekannt, dann hat man im Sterbebuch der Gemeinde damals den Namen eingetragen. Das war natürlich relativ einfach. Ansonsten hat es ja in Freising auf dem Domberg ein Lazarett gegeben. Das Lazarett war ursprünglich gedacht für das Kriegsgefangenenlager bei Moosburg. Und mit Kriegsende haben die Amerikaner des zum Hospital 1004 umfunktioniert. Und da sind natürlich vermutlich auch diverse Opfer beziehungsweise Verletzte von dem Bombenangriff in Freising eingeliefert worden, als auch viele Überlebende von den Todesmärschen bis zu manchen, die sich aus Dachau also dann halt in die Pampa geschleppt haben und dann halt dort untergekommen sind. Und von denen waren dann die Namen bekannt. Die standen im Sterbebuch der Stadt Freising. Und dann konnte ich über das Archiv von Buchenwald namentlich 41 Häftlinge feststellen, die zuletzt im KZ Buchenwald registriert waren. Aber das Gros der Namen derjenigen, die in der Pampe verscharrt worden sind, da sind die Namen nicht mehr zu eruieren gewesen.
Erzähler
Unter den Todesopfern sind gut 60 Menschen namenlos geblieben. Sie wurden umgebettet. 59 von ihnen fanden 1955 ihre letzte Ruhestätte auf dem Waldfriedhof Dachau, 4 von ihnen 1958 in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.
Musik 9
"Whiten Featuring" - Album: Without Sinking - Komponistin: Hildur Gudnadottir - Länge: 0'25
Erzählerin
Doch das Gros der Häftlinge überlebt und wird entweder noch während des Marsches oder bei der Befreiung des KZ Dachau durch US-Truppen der 7.Armee am 29.April 1945 befreit. Wie viele genau überlebt haben, die in den letzten Kriegstagen auf einem Todesmarsch durch den Landkreis Freising zogen, das lässt sich nicht sagen. Sie wurden nicht mehr gezählt. Doch welche Szenen sich kurz vor der Befreiung durch die US-Truppen abgespielt haben, darüber gibt es viele Berichte, die Karl-Heinz Zenker für sein Buch zusammengetragen hat.
Musik 10
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'24
Erzähler
Wie beispielsweise der Zeitzeugenbericht eines Häftlings aus dem Zuchthaus Straubing, der am 25.April zusammen mit 3000 anderen Gefangenen auf Befehl der SS losmarschieren musste. Bewacht von Zuchthausbeamten mit Karabinern.
Musik 11
"Fjølhøgget" - Album: The Senja Recordings - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Länge: 0'45
Zitator
Wir marschierten gegen 7 Uhr vom Zuchthaus Straubing weg Richtung Landshut. Während des Marsches erfuhren wir von einem Mitgefangenen, dass es nach Dachau gehen sollte, wo wir unsere gemeinsame Massenhinrichtung zu erwarten hätten. Was dieser Marsch, der bis zum Abend des 30.April währte, alles an Entbehrung, Hunger, Elend, Misshandlung, Erschöpfung bis zum Tode, in sich schließt, kann kaum wiedergegeben werden. Nur summarisch sei einzelnes angedeutet: wir mussten den Marsch in Holzschuhen machen, an Verpflegung bekamen wir die ersten Tage noch zwei oder drei Stückchen Brot, dazu noch ein wenig Margarine oder ein Stücklein geräuchertes Rindfleisch von etwa 20 Gramm. Die letzten Tage fehlte jede Verpflegung.
Erzählerin
In dem Buch von Karl-Heinz Zenker ist zu lesen von Wachleuten, die Gefangene mit Stöcken und Gewehrkolben schlagen oder auf sie eintreten. Und von Häftlingen, die in großer Zahl ermordet werden - von SS-Soldaten, die sich noch nicht aus dem Staub gemacht haben. Allein im Wald zwischen Freising und Moosburg sollen 1273 Häftlinge erschossen worden sein. Ein Zeitzeuge berichtet:
Musik 12
"Lie to me" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'40
Zitator
„Als unser Elendszug am Samstag 28.April 1945 bereits Freising in der Richtung Dachau passiert hatte, hieß es plötzlich gegen Abend: Umkehren! Dachau war bereits von den amerikanische Truppen genommen worden, so dass wir nicht mehr hineinkonnten. Es wurde kehrt gemacht und das Ziel war nun, uns so lange zwischen den Fronten herumzuführen, bis wir alle völlig erschöpft liegen geblieben wären, um dann von der SS den Todesstoß zu bekommen.“
Erzähler
Soweit kommt es zum Glück nicht. Karl-Heinz Zenker:
7.O-Ton (Zenker (ab 22:09)
Die wurden dann unterwegs befreit. Also dieser 3000 Marsch - die haben so ungefähr 100 Begleiter gehabt, die müssten sich wahrscheinlich aufgeteilt haben. (…) Also ein kleiner Teilzug, der ist also durch Goldack und Hallbergmoos marschiert. Ein anderer Teil, der ist kurz vor Eching von den Amerikanern befreit worden. Weil sie müssen sich das so vorstellen - vermutlich haben die Begleiter auch mitbekommen - die Amerikaner stehen kurz zuvor, und dann haben sich die genau wie viele SS-Leute, wenn die mitbekommen haben, die Amerikaner sind kurz vor uns - haben sich die aus dem Staub gemacht. Haben teilweise dann noch sich Zivilklamotten besorgt und sind dann stiften gegangen.
Erzählerin
Die Zeitzeugin aus Tüntenhausen ist eine von vielen, die den Einmarsch der Amerikaner als Tag der Befreiung erlebt:
8.O-Ton (Wimmer ab 0:35)
Die letzten Tage des hab ich erlebt: Wir waren dann, wo die Amerikaner kommen sind, bei meinen Großeltern in Zurrnhausen. (…) Die ganze Familie - meine Mama, mit die drei Kinder. Ich habe zwei Geschwister. Ich war die ältere. Und mein Vater, der war im Krieg. Ja, das war dann so, wie die Amerikaner kommen san, das war ein sonniger Tag, kann ich mich erinnern. Also wo die durchfahren san (…) Da waren da viele Leute, die haben die Friedensglocken geläutet. Dann ist der Truck stehen blieben. Das war ein Lastwagen, Panzer das war alles Mögliche. (…) Und dann haben die Amerikaner uns - wir waren da im Hof über den Gartenzaun, und die haben uns dann so viel Zeug zugeschmissen. Kaugummi und Schokolade und so. Also Sachen, die mir nicht kennt haben. Und die waren sehr freundlich.
Erzähler
Die amerikanischen Besatzungssoldaten sorgen dafür, dass viele Leichen, die teilweise nur notdürftig verscharrt waren, mit Hilfe der Bevölkerung umgebettet werden. Und eine Ruhestätte finden. Karl-Heinz Zenker:
9.O-Ton (Zenker ab 24:34)
Die Amerikaner haben in dem Fall (…) dann sich die Parteigenossen geholt, und die Parteigenossen mussten die ausgraben und auf dem Ortsfriedhof dann beerdigen. Und die anderen, die irgendwo verscharrt worden sind - und wo es bekannt war, hat dann nach dem Krieg das Landratsamt Freising veranlasst, dass die auf die Ortsfriedhöfe umgebettet werden. Diese Umbettungssaktionen haben entweder gleich mit dem Kriegsende oder nach dem Kriegsende stattgefunden und dann 56 und 58 hat eine französische Delegation diese Gräber also ausfindig gemacht. Und die sind dann entweder in Dachau auf dem Friedhof bestattet worden oder viele sind in Flossenbürg bestattet worden. Da können Sie sich natürlich vorstellen, das war elf, 13 Jahre nach Kriegsende. Da dürfte man wahrscheinlich nur noch die Skelette gefunden haben hier und vielleicht mal ein paar Stofffetzen. Und das Problem war, die Häftlinge hatten ja nur die Nummer, und die ist natürlich dann nicht aufgetaucht. Und deswegen sind es in Anführungszeichen lauter Namenlose, weil man die dann nicht mehr feststellen konnte, wer zu dieser Nummer gehört.
Erzählerin
Der Landkreis Freising ist eine Blaupause für das Schicksal aller Opfer der Todesmärsche im ganzen Reich. Aufgrund fehlender Dokumente lässt sich nicht genau ermitteln, wie viele es insgesamt waren, die auf diesen Räumungstransporten starben. Schätzungen gehen von etwa 250.000 Menschen aus.
Musik 13
"Eternity And A Day - 4. Parting A" - Komponistin: Eleni Karaindrou - Album: Eternity And A Day - Länge: 0'45
Erzähler
Seit 2016 erinnert in Hallbergmoos ein Gedenkstein mit einer Informationstafel an die Opfer der Todesmärsche. Er konnte in Eigeninitiative des Heimat- und Trachtenvereins und mit Hilfe von Spenden aufgestellt werden, mit dem Ziel, die Erinnerungskultur im Landkreis Freising aufrecht zu erhalten.
Erzählerin
Karl-Heinz Zenker war damals Vorsitzender des Vereins. Im letzten Kapitel seines Buches findet sich ein Namensverzeichnis - zur Erinnerung an die Häftlinge, die unmittelbar vor oder nach Kriegsende getötet wurden, verhungert oder an Krankheit und Erschöpfung gestorben sind.
10.O-Ton (Zenker ab 43:01)
Das war mir wichtig, dass wir den Toten, wo ich es feststellen konnte, Namen geben konnten. Das waren, wie gesagt, schwerpunktmäßig diejenigen, die im Lazarett oder im Hospital gestorben sind. Dann sind im Moosburger Krankenhaus noch zwei oder drei verstorben, die dann auch im Sterbebuch der Stadt standen. Und das ist doch heute auch so, wenn irgendwo ein Attentat oder Anschlag ist, wird doch da auch mit einem Denkmal der Toten gedacht. Und da stehen natürlich auch die Namen. Und deswegen war mir das wichtig, vor allen Dingen, weil es hier für diese Leute keine Gräber mehr gibt. Die sind ja irgendwo in Flossenbürg beziehungsweise im Waldfriedhof. Da gibt es ja dann noch Gedenksteine, aber nicht für unsere. Und in Freising ist in im Schnoor Stifter Friedhof - der ist irgendwann in den 50er-Jahren eingeebnet worden. Und so sind diese Namen festgehalten. (…) Dass man den Toten ihre Namen zurückgibt, dass sie nicht nur eine Nummer sind.
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