Wenn Morde geschehen, benutzen wir häufig den Namen des Ortes des Geschehens als Chiffre. Wir sagen „Kassel“, „Hanau“, „Halle“ oder „Mannheim“ und meinen natürlich nicht die Städte, sondern das, was dort vorgefallen ist. Darüber, wie sich Spuren von Trauma und Gewalt in Orte einschreiben, etwa in Gebäude und Denkmäler, hat die Schriftstellerin Asal Dardan ein Buch geschrieben: "Traumaland". Darüber und über Möglichkeiten des Erinnerns spricht Carolin Emcke mit ihr in dieser Folge des Podcasts.
Dardan, geboren 1978 in Teheran, ist nach der Flucht ihrer Eltern aus Iran in Köln und Berlin und Aberdeen aufgewachsen. Sie hat Kulturwissenschaften und Nahoststudien studiert. Ihr Buch "Betrachtungen einer Barbarin" war für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Dardan schreibt als freie Autorin für diverse Zeitungen und lebt mit ihrer Familie in Berlin und auf Öland in Schweden
Die eigene Biografie prägt den Blick auf die Landkarte
Im Gespräch mit Carolin Emcke erzählt Asal Dardan von einem Abendessen mit Freunden, bei dem die Idee für ihr Buch entstanden ist. "Ich sprach über Dessau und wie stark sich daran ein traumatischer Moment fest macht und hab erst im Laufe des Gesprächs gemerkt, dass alle am Tisch an das Bauhaus dachten, nur ich an den Mord an Oury Jalloh." Ihr sei dabei bewusst geworden, wie unterschiedlich der Blick auf die deutsche Landkarte sein könne, je nach persönlicher Erfahrung oder Biografie.
Dardan plädiert dafür, diese vielfältigen Geschichten und Erfahrungen, die Deutschland bis heute prägen, sichtbarer zu machen und miteinander in Beziehung zu setzen. Nur dann könne ein komplexes Verständnis der deutschen Geschichte und Gegenwart entstehen.
Die Menschlichkeit der anderen verteidigen
Im Podcast geht es außerdem um die Herausforderungen im Umgang mit belastender Vergangenheit, um Verdrängung sowie Möglichkeiten des Erinnerns und der Solidarität. Dabei argumentiert Dardan, auch die Biografien der Täter in den Blick zu nehmen: "Ich glaube der Fokus sollte primär auf den Opfern liegen." Trotzdem verrieten eben gerade die Biografien der Täter häufig viel über "Kontinuitäten von Gewalt" in unserer Gesellschaft. "Wo ist der Moment, wo sie sich zurückziehen, auch von ihrer eigenen Menschlichkeit?"
Sie spricht sich im Podcast für ein behutsames und reflektiertes Nachdenken über individuelle und gesellschaftliche Dimensionen von Trauma und Gewalt aus. Ihr sei es wichtig, dabei nicht vorschnell andere Positionen zu verurteilen. "Widerstand zu leisten in der Verteidigung der eigenen Menschlichkeit, das hat eine immense Kraft. Aber ich glaube gesellschaftlich geht es nur vorwärts, wenn wir für die Menschlichkeit des anderen kämpfen."
Empfehlung von Asal Dardan
Als Kulturtipp empfiehlt Asal Dardan einen Podcast, in den sie, wie sie sagt "regelrecht verliebt" ist. Und zwar "Past, Present, Future", moderiert von David Runciman. Dardan schätzt dessen Moderation erzählt sie, weil er sich "traut anders zu denken". Der Politikwissenschaftler lehrt in Cambridge und spricht in seinem Podcast alle zwei Wochen mit Gästen aus der Wissenschaft oder Literatur. Besonders beeindruckt hat Dardan eine Folge über "Gullivers Reisen" von Jonathan Swift. "Am Ende ist mir die Sprache weggeblieben", erzählt die Schriftstellerin. "Ich habe kaum atmen können, weil ich es so spannend fand."
Moderation, Redaktion: Carolin Emcke
Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt
Produktion: Imanuel Pedersen
Bildrechte Cover: Cihan Çakmak/Bearbeitung SZ