In aller Ruhe

"Zivilgesellschaft mitdenken" – Dagmar Pruin über die Krise im Sudan


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Ein Krieg treibt den Sudan in den Hunger. Es droht eine Katastrophe, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Jede zweite Person im Sudan hat nicht genug zu essen, fast 100 000 Menschen droht der Hungertod. Besonders Frauen und Kinder sind betroffen.

Während Europas Aufmerksamkeit auf den Kriegen in Nahost und der Ukraine liegt, scheint die Not im Sudan fast übersehen. Auch deshalb, weil es für Journalistinnen und Journalisten schwer ist, aus dem Land zu berichten. Aus den Kriegsgebieten gibt es keine unabhängig gesicherten Informationen. Um zu verstehen, wie es den Menschen im Sudan geht und was getan werden kann, um ihnen zu helfen, spricht Carolin Emcke in dieser Folge des Podcasts mit der evangelischen Theologin Dagmar Pruin.

Dagmar Pruin, geboren 1970 in Leer, hat evangelische Theologie und Judaistik studiert. 2013 wurde sie Co-Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF), außerdem arbeitete sie als Pfarrerin im Kirchenkreis Berlin Stadtmitte. Seit März 2021 ist Pruin Präsidenten der kirchlichen Hilfs- und Entwicklungswerke „Brot für die Welt“ und der Diakonie Katastrophenhilfe.

Dann veranschaulicht Dagmar Pruin die Folgen, die lang andauernder Hunger haben kann. „Hunger ist weit mehr, als dass ich nicht genug zu essen habe“. Wenn ein Körper hungert, funktionieren bestimmte Prozesse im Körper nicht mehr, die Anfälligkeit für Krankheiten steigt. Gerade Kinder werden dadurch langfristig geschädigt. Dabei gebe es noch Regionen, in der es bisher zwar Hunger gebe, aber noch keine Hungersnot.

Keine Nahrung kommt ins Land, keine Informatationen dringen nach außen

Im Gespräch mit Carolin Emcke veranschaulicht Pruin die Dramatik der Lage im Land. Sie berichtet von Menschen, die aus Verzweiflung Gras essen, und Familien, die sich entscheiden müssen, wen sie versorgen, weil nicht genug Nahrung für alle da ist. „Je nachdem, wohin man in Sudan schaut, ist die Lage zwischen einigermaßen erträglich und katastrophal.“ Das Land ist groß und die Regionen unterschiedlich, eine Notlage gebe es aber überall – insbesondere in den akuten Kriegsgebieten.

In vielen Regionen sei es durch die Kriegshandlungen inzwischen unmöglich, Felder zu bestellen – dabei lebt das Land eigentlich von der Landwirtschaft. Hilfsorganisationen schaffen es nicht, zu den betroffenen Gebieten durchzudringen, die Wege sind gefährlich, einige Gegenden sind komplett abgeriegelt. „Viele Nachrichten über die Situation im Sudan“, erzählt Dagmar Pruin, „erhalten wir von Menschen, die erst kürzlich aus dem Land geflohen sind“.

Hunger ist mehr, als ein Mangel an Nahrung

Wenn ein Mensch lang andauernd hungert, funktionieren bestimmte Prozesse im Körper nicht mehr. Die Anfälligkeit für Krankheiten steigt. „Hunger ist weit mehr, als dass ich nicht genug zu essen habe“, erklärt die Theologin. Gerade Kinder werden dadurch langfristig geschädigt. Um ein weiteres Fortschreiten der Krise zu verhindern, fordert Dagmar Pruin mehr finanzielle Hilfe aus der westlichen Welt und eine nachhaltige Entwicklungsarbeit. In Deutschland gebe es zurzeit Ressentiments dagegen, Geld und Ressourcen in andere Länder zu investieren. „Dabei zeigen Studien der Weltbank, dass man für jeden in der Entwicklungszusammenarbeit investierten Euro, ein vielfaches Mehr in der humanitären Hilfe sparen würde.“

Viele Menschen würden beim Stichwort Katastrophenhilfe an Säcke voll Reis oder Mehl denken, die von einem Karren gereicht werden. Doch die Katastrophenhilfe habe sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Es gehe darum, „Strukturen zu schaffen, die weiter vorausgehen“, um eine nachhaltige Veränderung. Das könnte nur funktionieren, wenn die Zivilgesellschaft vor Ort gestärkt wird, damit sie selbst auf Katastrophen reagieren kann.

Empfehlung von Dagmar Pruin

Dagmar Pruin empfiehlt allen Zuhörerinnen und Zuhörern, sich im Internet über die Krise im Sudan zu informieren. Auch wenn wenig Informationen zugänglich sind, gebe es trotzdem viel frei verfügbares Wissen über die Region und die drohende Hungernot. Auch zu Hilfsprojekte der Diakonie und von Brot für die Welt lohne sich eine private Google-Recherche, empfiehlt die Theologin. Unter diesem Link etwa gelangen Sie auf die Nothilfe-Seite Sudan der Diakonie Katastrophenhilfe.

Moderation, Redaktion: Carolin Emcke

Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt, Johannes Korsche
Produktion: Imanuel Pedersen
Bildcredit Cover: Hermann Bredehorst/Brot für die Welt/Bearbeitung SZ

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In aller RuheBy Süddeutsche Zeitung & Carolin Emcke

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