Deutschland von Ost nach West: gute halbe Stunde Unterschied beim Sonnenstand
Es kommt darauf an, wo in Deutschland man lebt. Wir haben alle mal in der Schule gelernt: Mittags um 12 Uhr steht die Sonne am höchsten. Die Wahrheit ist: Das stimmt fast nirgends in Deutschland. Im Sommer trifft das für keinen einzigen Ort zu, im Winter nur für eine Stadt. Ich sage gleich, welche.
In Deutschland gilt überall die gleiche Zeit, wir haben nur eine Zeitzone fürs ganze Land. Das ist im Winter die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) und im Sommer die Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ). Allerdings erreicht die Sonne keineswegs überall gleichzeitig ihren Höchststand. Denn die Erde dreht sich von Westen nach Osten. Deshalb sind die östlichsten Gegenden Deutschlands den westlichsten Zipfeln eine gute halbe Stunde voraus, was den Sonnenstand betrifft. Die Sonne geht im Osten früher auf, erreicht früher ihren Höchststand und geht früher unter.
Sonne erreicht im Winter in Greenwich um 12 Uhr ihren Höchststand
Wie weit östlich ein Ort liegt, kommt im Längengrad zum Ausdruck. Die Längengrade oder "Meridiane" sind die gedachten Linien, die vom Nordpol zum Südpol verlaufen. Die Zählung beginnt in Greenwich (London): Durch das Observatorium in Greenwich läuft der sogenannte Nullmeridian. Dort hat die Sonne nach britischer Zeit tatsächlich mittags um 12 Uhr ihren höchsten Punkt erreicht, jedenfalls in der Winterzeit. Dort beginnt also die Zählung der Längengrade nach Osten und nach Westen, in beide Richtungen jeweils 180 Grad.
Deutschland erstreckt sich über 9 Längengrade
Geht man also auf dem Globus vom Nullmeridian nach Osten, dann stößt man beim 6. Längengrad auf die westlichste Ecke Deutschlands; die liegt bei Aachen. Die östlichste Ecke bei Görlitz liegt auf dem 15. Längengrad. Deutschland erstreckt sich also von West nach Ost über 9 Längengrade.
Das bedeutet: Überall in Deutschland gilt dieselbe vereinheitliche Uhrzeit. Doch die entspricht fast nirgends der natürlichen Sonnenzeit am jeweiligen Ort. Also der Zeit, die gelten würde, wenn man sich dort streng nach der Sonne richten würde. Diese natürliche Sonnenzeit, die dem wahren Sonnenstand entspricht, heißt deshalb auch wahre Ortszeit.
Die Erde dreht sich 15° pro Stunde
Jetzt habe ich gesagt: Die östliche Gegend in Deutschland liegt bei Görlitz auf dem 15. östlichen Längengrad. Dieser Längengrad ist deshalb interessant, weil der 15. Längengrad quasi die zentrale Achse der Mitteleuropäischen Zeitzone ist und 15 Längengrade auf dem Globus genau einer Stunde Zeitverschiebung entsprechen. Das kommt daher:
Ein Kreis hat 360°, also hat auch die Erde 360 Längengrade – eben von London aus je 180 nach Osten und nach Westen. Wenn sich die Erde einmal um sich selbst gedreht hat, also einmal um 360°, dann ist ein Tag vergangen, also 24 Stunden. So kann man leicht ausrechnen: 360° geteilt durch 24 Stunden macht 15° pro Stunde. Die Erde dreht sich also in jeder Stunde 15 Grad weiter. Das heißt umgekehrt: Immer, wenn man sich 15 Längengrade weiter nach Osten bewegt, ist man eine Stunde weiter, was den Sonnenstand betrifft.
15. Längengrad berührt Deutschland in Görlitz und Neißeaue
Und das bedeutet: Wenn der Nullmeridian in Greenwich der Mittelpunkt der englischen Ortszeit ist – dann bildet der 15. östliche Längengrad die zentrale Achse unserer Zeitzone, der Mitteleuropäischen Zeit. Dieser 15. Längengrad berührt Deutschland aber nur ganz im Osten, eben in Görlitz und in der kleinen Nachbargemeinde Neißeaue. Das sind die einzigen Orte in Deutschland, in denen im Winter wirklich die Sonne genau mittags um 12 Uhr Ortszeit am höchsten steht. (Es gibt noch kleinere Schwankungen, die lassen wir hier aber außen vor. Wer sich dafür interessiert, findet sie unter dem Stichwort "Zeitgleichung") Ansonsten zieht sich der 15. Längengrad in unseren Breiten vor allem durch Polen, Tschechien und Österreich.
Linie Aurich – Dortmund – Pirmasens
Im Rest von Deutschland – westlich von Görlitz – hinkt die Uhrzeit dem Sonnenstand immer hinterher: Die Sonne erreicht fast überall erst nach 12 Uhr ihren höchsten Punkt. Es gibt sogar Gegenden im Westen Deutschlands, die astronomisch eigentlich schon näher an der Greenwich-Zeit sind, also an der Londoner Ortszeit.
Welche das sind, kann man leicht ermitteln. Denn wenn 15 Längengrade einer Stunde entsprechen, dann entspricht eine halbe Stunde 7,5°. Der Längengrad 7,5° zieht sich von Ostfriesland bei Aurich über Dortmund bis in die Pfalz bei Pirmasens. Alles, was westlich dieser Linie liegt, ist, was den Sonnenstand betrifft, näher an Greenwich als an Görlitz. Gäbe es keine Ländergrenzen, würde man diese Orte also eher der britischen Zeit zuordnen.
Doch im deutschen Westen hört die Mitteleuropäische Zeit noch gar nicht auf. Frankreich und Spanien benutzen sie ebenfalls, obwohl sie geografisch größtenteils in der britischen Zeitzone zuzuordnen wären.
MESZ entspricht der mittleren Sonnenzeit in Kiew
Bisher haben wir nur über den Winter geredet. Im Sommer, wenn die Uhren eine Stunde vorgestellt sind, ist es noch krasser. Dann gibt es in Deutschland keinen einzigen Ort mehr, in dem die Sonne mittags um 12 Uhr am höchsten steht, sondern frühestens um 13 Uhr. In Aachen ist der Sonnenhöchststand im Sommer fast um 13:40 Uhr.
Der Grund: Unsere Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) entspricht dem, was im Winter die Osteuropäische Zeit ist. Die entspricht dann nicht mehr dem Sonnenstand in Görlitz, sondern dem in Kiew. Das gilt wieder nicht nur für uns, sondern auch die Uhren im Westen Spaniens zeigen immer Sommer eine Zeit an, die dem Sonnenstand in der zentralen Ukraine entsprechen.