Wer heute verstehen will, wie Meinung entsteht, muss nicht nur auf Inhalte schauen, sondern auf die Strukturen, die sie sichtbar machen. Früher waren es Redaktionen, heute sind es Algorithmen, die entscheiden, was Aufmerksamkeit bekommt – und was verschwindet. Der mediale Raum ist längst kein Ort der offenen Debatte mehr, sondern ein System der Erregung, das durch kleine, gezielt platzierte Impulse eine Atmosphäre erzeugt, die uns glauben lässt, wir wüssten, wie die Welt fühlt. Der Medientheoretiker Douglas Rushkoff warnt vor der daraus entstehenden geistigen Verhärtung: Wer permanentem Reizdruck ausgesetzt ist, sehnt sich nach einfachen Wahrheiten – und wird anfällig für autoritäre Erzählungen.
Noch gefährlicher wird es, wenn man sich die Denkwelten derer anschaut, die diese Systeme bauen. Viele der Tech-Milliardäre, so Rushkoff, stammen aus Milieus, in denen Kontrolle über andere ein erlerntes Sicherheitsprinzip war – ein Denken in Angst, Abgrenzung und technokratischer Überlegenheit. Die Plattformen, die sie geschaffen haben, sind keine neutralen Werkzeuge, sondern Ausdruck einer Weltsicht, die dem alten Feudalismus nähersteht als dem demokratischen Diskurs. Die Hoffnung, dass sich ausgerechnet diese Konzerne gegen politische Extreme stellen, hält Rushkoff für trügerisch. Denn deren Loyalität gilt weniger gesellschaftlichen Werten als den eigenen Geschäftsmodellen – koste es, was es wolle.
Was also tun? Rückzug ins Private? Im Gegenteil. Rushkoff plädiert für eine bewusste Rückbesinnung auf Nähe, Gemeinschaft und echte Beziehungen – nicht als Flucht, sondern als Form politischer Resilienz. Wer lokal verankert lebt, weniger konsumiert und mehr teilt, macht sich unabhängiger vom globalen Systemdruck. Widerstand, so seine These, beginnt nicht mit lautem Protest, sondern mit der Entscheidung, sich der algorithmischen Dauerüberforderung zu entziehen – indem man tanzt, lacht, liebt und sich erinnert, was Menschsein eigentlich bedeutet.
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Fotoquelle: Enno Kapitza for DLD / Hubert Burda Media