Die Welt des Wissens in einer Person: Walter Jens war Schriftsteller und Torwart, Kritiker und Übersetzer, Prediger und Dramatiker - und ein begnadeter Redner. Die Größen, an denen er sich orientierte, waren Voltaire, Lessing, Zola - aber auch der Bremer Fußball-Trainer Otto Rehhagel... Die politische Einmischung galt als das Markenzeichen des Zehnkämpfers Walter Jens. In Interviews, Reden und - wenn es sein musste - in einer Sitzblockade der Raketenbasis von Mutlangen. Walter Jens, 1923 geboren, fragte sich: Ist denn in den Texten der Antike auch etwas Aktuelles zu entdecken? Genau darum gehe es ihm, sagte der Altphilologe. In den Dramen von Aischylos, Euripides und Sophokles finde er die Gegenwart wieder. Wie auch in der Bibel. Jens war christlicher Sozialist, Kulturprotestant und bekennender Bildungsbürger. "Was zählt die Eroberung Trojas gegen die Erfindung des Alphabets?" So der Pazifist, der das Schimpfwort "Gutmensch" nur als Ehrentitel begreifen wollte. Mit Inge Jens, seiner Frau, wurde er zum Chronisten der Groß-Familie von Thomas Mann - und zum Analytiker seines Werks. Seine eigene hervorstechende Eigenschaft sei die Neugier. Befragt, warum er denn nie auf das Fahren eines Autos oder auf die Bedienung eines Computers neugierig gewesen sei, antwortete er: "Wissen Sie, ich bin eine schmale Begabung. Ich kann nur lesen und schreiben, beides aber ziemlich gut." Am Ende sollte eine fortschreitende Demenz sein Leben verdunkeln. Als Walter Jens starb, hieß es in einem Nachruf, ein "König in der Gelehrtenrepublik" sei abgetreten.